Im zweiten Teil unseres Interviews mit dem designierten Linken-Parteichef Jan van Aken, der Mitte Oktober zur Wahl antritt, geht es um seine Friedenspositionen im Ukraine-Krieg. In seinem neuen Buch „Worte statt Waffen – Wie Kriege enden und Frieden verhandelt werden kann“ setzt er sich auch mit dem Konflikt in der Ukraine und mit dem Putin-Regime auseinander.
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Im Gespräch mit unserer Redaktion kritisiert van Aken er die „Friedensposition“ von der Wagenknecht-Partei BSW und der AfD als nicht zu Ende gedacht und bedauert, dass Olaf Scholz nur Wolodymyr Selenskyj hinterherlaufe.
Die Linke und Frieden in der Ukraine: „Man braucht nicht auf einen Regimewechsel in Moskau hoffen“
Herr van Aken, immer wieder liest und hört man gerade von jungen Leuten: Die Linke ist an sich gut, aber deren Außenpolitik geht gar nicht, weil man gegen einen Imperialisten wie Putin nicht klare Kante zeigt. Was antworten Sie solchen Wählerinnen und Wählern?
Ihr habt Recht, nach außen war das nicht wahrnehmbar, dass wir klare Kante zeigen. Alle Beschlüsse waren an sich zwar klar, aber nach außen gab es immer prominente Stimmen, die etwas anderes dargestellt haben. Die meisten sind jetzt mit dem BSW weggegangen. Das ist schon mal gut!
Die Außenwahrnehmung wird sich jetzt ändern. Erstens, weil die BSWler weg sind und zweitens, wenn ich Vorsitzender werde, denn ich habe eine absolut klare Position, die so überhaupt gar nichts mit dem Kreml gemein hat. Die kann man in meinem Buch nachlesen, die kann man in meinem Podcast nachhören und auf jeder Veranstaltung rede ich davon.
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In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie Verständnis für Menschen haben, die für Waffenlieferungen an die Ukraine sind. Warum ist die Linke dann auch gegen die Bereitstellung von Waffen, die eher der Verteidigung dienen, wie dem Flugabwehrsystem Patriot?
Jeder Soldat lacht bei der Unterscheidung zwischen Defensiv- und Offensivwaffen. Das ist eine künstliche Unterscheidung der Politik. Ich bin gegen Waffenlieferungen,weil ich finde, dass noch nicht alle zivilen Mitteln ausprobiert wurden. Ich bin für einen sofortigen Stopp der Waffenlieferungen, wenn gleichzeitig andere Dinge unternommen werden, damit die Ukraine nicht überrannt wird. Es darf keinen Diktatfrieden geben.
Ich bin überzeugt davon, wenn heute Olaf Scholz nach Peking fliegt und mit Chinas Staatschef Xi Jinping zusammen zu Friedensverhandlungen einlädt, dann könnte er am gleichen Tag aufhören, Waffen zu liefern. Dann hätten wir erstmal einen Waffenstillstand. Aber das muss man zusammendenken.
Das wird von einer Wagenknecht oder einer AfD nicht getan. Die “Friedensposition” von AfD und BSW läuft am Ende auf einen russischen Diktatfrieden hinaus. Und das möchte ich auf gar keinen Fall. Aber wir müssen zuerst die nicht-militärischen Möglichkeiten nutzen.
Aber wenn man dieser reinen Lehre der Linkspartei gefolgt wäre, dann hätten wir die Voraussetzung für einen russischen Diktatfrieden doch schon, weil die Ukraine längst wehrlos gewesen wäre.
Das setzt voraus, dass ich über Waffenlieferungen hätte entscheiden können. Aber wenn ich diese Macht gehabt hätte, dann hätte ich nach Kriegsausbruch auch diplomatische Macht gehabt. Dann hätte ich über Nacht ein komplettes Öl-Embargo beschlossen und zusammen mit Xi Jinping noch an diesem Tag einen Friedensplan aufgesetzt. Ich glaube, dann wäre der Krieg mittlerweile beendet. Und zwar mit sehr viel weniger Toten und Zerstörung und ohne Diktatfrieden.
Sie schreiben im Buch, die beiden realpolitischen Lösungen, Waffen liefern oder nicht liefern, haben beide katastrophale Folgen. Machen Sie bitte Ihren dritten Weg noch mal deutlicher.
Ich nenne als Antwort drei Zeiträume. Am 25. Februar 2022: Öl-Sanktionen und diplomatische Initiativen. Im November 2022, als die Ukraine auf dem Vormarsch war, hätte man sagen müssen: Es gibt keine militärische Unterstützung mehr aus dem Westen, wenn ihr nicht heute ein Verhandlungsangebot an Moskau macht. Man muss immer dann verhandeln, wenn man militärisch stark ist. Das ist übrigens ein Zitat des damaligen US-Generalstabschefs Mark Miley. Der sagt das genauso.
Diese beiden Situationen sind leider vorbei. Das ist vergossene Milch. Heute würde ich aber immer noch sagen, dass die Verhandlungsoption extrem erfolgversprechend ist. Im Mai dieses Jahres gab es einen gemeinsamen Vorschlag von Brasilien und China. Den könnte man endlich mal aufgreifen.
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In Ihrem Buch schreiben Sie, dass ein Krieg “reif” sein muss für Verhandlungen. Es brauche ein militärisches Patt und eine lose-lose-Situation. Sind wir da schon nach über zwei Jahren?
Ich habe jüngst mit einem ukrainischen Kriegsfotografen gesprochen, der oft an der Front ist. Er sagte mir: Je weiter du nach Westen kommst in der Ukraine, sind die Menschen gegen Verhandlungen. Je weiter du in den Osten gehst, wenn du die Soldaten an der Front fragst, wollen sie sofort verhandeln. Denen ist es dann auch egal, wenn die Krim weg ist. Aber insgesamt gibt es in der ukrainischen Gesellschaft noch überhaupt kein gemeinschaftliches Gefühl, dass es jetzt reicht.
Und in Russland sowieso nicht, die Sanktionen lächelt man weg. Es gibt keine Initiative aus China, die Putin unter Druck setzen könnte. Wenn wir nicht von außen etwas tun, dann wird das noch viele Jahre so weitergehen. Moskau will nach dem Angriff auf Kursk überhaupt nicht verhandeln. Deswegen brauchen wir den “großen Bruder” als Anstoß für Verhandlungen auf der anderen Seite, wir brauchen China.
Wie bewerten Sie die jüngste Rolle von Kanzler Scholz dabei? Er will eine neue Friedenskonferenz.
Ich glaube, das hat mit dem Sinneswandel in Kiew zu tun. Scholz hat abgewartet, was Kiew sagt und jetzt wo Präsident Selenskyj verhandeln will, läuft er hinterher. Der Kanzler hätte das seit 2,5 Jahren machen müssen. Es kommt zu spät.
Wie kann neues Vertrauen entstehen? Braucht es dafür nicht zwingend einen Regimewechsel in Moskau?
Man braucht nicht auf einen Regimewechsel hoffen. Alle Russland-Experten, mit denen ich im Austausch bin, sagen, dass die Putin-Alternativen eher schlechter als besser sind. Im Moment ist das unvorstellbar mit Putin, oder dem, der nach seinem Tod folgen wird, neues Vertrauen aufzubauen. Das muss man langsam anfangen. Aber das darf man nicht koppeln an einen Regimewechsel.