Der Hamburger Jan van Aken (63) will zusammen mit Ines Schwerdtner (35) das neue Spitzen-Duo der Linkspartei bilden. Zusammen treten sie bei der Vorstandswahl auf dem Parteitag Mitte Oktober an. Im Gespräch mit unserer Redaktion nimmt der designierte Linke-Chef van Aken offen Stellung zur Krise seiner Partei und verrät, ob er nun die abtrünnigen Jungpolitiker der Grünen abwerben will. Außerdem geht es darum, wieso die Abgehängten und die Arbeiterschaft mittlerweile breit AfD wählen.
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Im zweiten Teil unseres Interviews geht es dann um seine Ideen und Positionen zum Ukraine-Krieg. Der frühere UN-Biowaffeninspekteur hat frisch das Buch „Worte statt Waffen: Wie Kriege enden und Frieden verhandelt werden kann“ herausgebracht (Econ, 22,99 Euro).
Interview mit Jan van Aken: „Wagenknecht lebt in einer Millionärsblase“
Herr van Aken, machen Sie den Funktionären der Grünen Jugend, die nun austreten, ein Angebot, in die Linkspartei einzutreten? Gibt es schon Kontakte?
„Gemach. Ich habe das natürlich mit Interesse verfolgt und sehe da große inhaltliche Überschneidungen. Aber ich halte nicht viel davon, jetzt mit Gewalt an den jungen Leuten zu zerren. Das muss sich in Ruhe entwickeln.“
Es gab nach der BSW-Abspaltung eine kleine Welle an Neueintritten von Aktivistinnen und Aktivisten in die Linkspartei. Aber kann man mit Leuten wie Carola Rackete, Co-Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl, die Arbeiterschaft lebensweltlich erreichen?
„Sie meinen, das sind jetzt alles so grün versiffte Städter? Wenn Sie sich Sahra Wagenknecht angucken: Sie ist lebensweltlich weiter weg von jedem Industriearbeiter als wir beide zusammen. Wagenknecht lebt in einer Millionärsblase und ist eine totale Theoretikerin. Aber sie kann die Menschen ansprechen. Gregor Gysi ist ein studierter Anwalt, auch er kann die Menschen ansprechen. Das Lebensweltliche ist das eine – das andere ist, ob man versucht, mit den Menschen zu sprechen und die Lebenssituation zu verstehen.
Ich selbst komme aus einer Arbeiterfamilie, habe aber auch studiert und lebe seit 40 Jahren in einem städtischen Großstadtmilieu und nicht neben der VW-Fabrik. Trotzdem habe ich aus meiner eigenen Kindheit und Jugend ziemlich viel mitgenommen und Erfahrung, was es heißt, keine akademischen Eltern zu haben. Da gibt es viele Aktive bei uns, bei denen das auch so ist.“
Also fehlen der Linkspartei in den Spitzenpositionen keine Betriebsräte, die aufs Gendern verzichten?
„Wenn Sie in solche Betriebe gehen, was glauben Sie, wie viele von diesen Industriearbeitern gendern? Arbeiter sein und auch die weibliche Form mitzudenken, das schließt sich nicht aus!
Aber die Frage, die sie aufwerfen, finde ich ganz spannend. Wir haben angefangen darüber zu diskutieren, ob wir bei der Liste der Bundestagswahl darauf achten, ob Kandidatinnen und Kandidaten einen direkten Arbeiterhintergrund haben oder wenigstens nicht aus einer Akademikerfamilie kommen. Wir werden da keine Quote machen, aber das mitdenken bei der Aufstellung. Ich weiß zum Beispiel, dass in Hamburg bei der nächsten Bürgerschaftswahl ein Hafenmitarbeiter kandidieren wird, weil das einfach zur Stadt gehört.“
In aktuellen Umfragen liegt die Linke bei 3-4 Prozent bundesweit. Wieso wird das Bundestagswahlergebnis mit Ihnen und Frau Schwerdtner als neue Parteivorsitzende 2025 besser?
„Einiges wird grad auch schon ohne uns besser: Wir sind jetzt an der Talsohle angelangt. Das BSW hat sich abgespalten. Ich merke es jetzt schon: Die Partei redet mit einer anderen Stimme und hat eindeutige Positionen. Für uns ist das deswegen ein relativ leichter Start. Wenn wir das halten können, dann wird es schnell wieder aufwärtsgehen.“
Früher Linke gewählt, heute AfD: „Es wird Menschen geben, die wir nicht zurückgewinnen werden“
Und wie wollen Sie die Partei inhaltlich neu orientieren?
„Sichtbarer machen. Wir sind die Partei der sozialen Gerechtigkeit. Wir waren es immer. Das trauen uns die Leute auch noch zu. Das müssen wir in den Mittelpunkt stellen. Bei Greenpeace habe ich gelernt: Man muss eine Kampagne auf einen Punkt fokussieren. Immer wieder den gleichen sozialen Punkt machen und diesen konkreten Punkt stark machen. Welcher das ist, das werden wir bis Weihnachten entscheiden. Das wird wahrscheinlich etwas aus dem Bereich Gesundheit oder Wohnen sein. Mit so einer Fokussierung haben wir vor 15 Jahren den Mindestlohn gewonnen. Jetzt können wir es wieder schaffen, so etwas wie den Mietendeckel durchzusetzen oder eine Bürgerversicherung. Die Zeit ist reif und es gibt eine große Zustimmung dafür.“
Reicht das schon, um Abgehängte und die Arbeiterschaft zurückzugewinnen? In Sachsen und Thüringen haben rund 50 Prozent der Menschen, die sich in “schlechter wirtschaftlicher Situation” oder als Arbeiter sehen, der AfD ihre Stimmen gegeben.
„Es wird Menschen geben, die wir nicht zurückgewinnen werden. Offen gesagt: Wir haben auch früher schon Stimmen von Menschen bekommen, die uns gesagt haben: ‘Bei Asyl habt ihr ‘ne Meise, aber ich wähle euch trotzdem!’ Da war bei diesen Menschen ihr eigenes Portemonnaie das Wichtigste bei der Wahlentscheidung. Im Moment ist bei ihnen der Rassismus wichtiger. Diese Menschen werden wir als Linke vielleicht aktuell nicht zurückholen. Es gibt viele andere, denen ist das Gefühl, endlich wieder Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu haben, wichtiger. Diese Menschen können wir zurückgewinnen. Das glaube ich sehr.“
Niedergang der Industrieregionen im Osten: „In Duisburg ist das nicht so viel anders“
Braucht Ihre Partei dafür eine eigene Ost-Strategie?
„Ich glaube nicht, dass man da groß unterscheiden muss. Zum Beispiel ist die Mietenfrage in fast allen Städten ein Problem, ob in Ost oder West. Anders auf dem Land, ob ich jetzt in Thüringen oder in Niedersachsen bin. Insofern ist das ist oft eine Stadt-Land-Frage. Es sind auch frühere blühende Industrieregionen, die im Niedergang begriffen sind. Das ist im Osten in vielen Regionen so, aber ich war kürzlich in Duisburg und Moers, da ist es nicht so viel anders. Die Kreise mit den geringsten Durchschnittseinkommen liegen nicht alle im Osten. Insofern glaube ich, dass die Ost-West-Frage eine Rolle bei Ungerechtigkeiten spielt – die Renten im Osten liegen zum Beispiel weiter unter dem Durchschnitt, aber ich würde jetzt keine reine Ost-Kampagne machen.“
In Sachsen holten SPD, Grüne und Linke zusammen knapp 17 Prozent. Alle drei Parteien kämpften gegen mit der 5-Prozent-Hürde. Wären nicht in solchen Bundesländern neue Konzepte denkbar und möglich, wie gemeinsame linke Wahllisten nach Vorbild Frankreich?
„Ich finde, in Deutschland ist viel zu wenig möglich. Auch die Idee von Minderheitsregierung ist hierzulande völlig verpönt. Bodo Ramelow hat gezeigt, wie man das machen und dabei noch gute Dinge durchsetzen kann. Eine Absprache bei Direktmandaten finde ich auch völlig in Ordnung. Dass man sagt: Hier seid ihr stark, da stellen wir gar keinen Direktkandidaten auf – und andersherum. Solche Dinge finden ja in Frankreich und Großbritannien regelmäßig statt. Bis jetzt war das noch nicht richtig erfolgreich möglich, aber vielleicht kommen wir da noch hin.
Dass die anderen Parteien aber im Moment so abstürzen, hat mit ihrer Politik zu tun. Und da möchte ich nicht mit verhaftet werden. Wir als Linke sind einfach auch eine andere Partei als die anderen. Ich mache das nicht aus Karrieregründen, sondern ich will die Welt verbessern. Das hört sich naiv an, aber so bin ich nun mal. Deswegen kommt für mich im Moment eine gemeinsame Liste nicht in Frage, solange SPD und Grüne so sind wie sie sind.“
Die Linke zu biodeutsch geprägt? „Müssen in die erste Reihe“
Die Linke tritt an für eine offene, multikulturelle Gesellschaft – das spiegelt sich im aktuellen Vorstand aber nicht wider. Mit Ausnahme von Bundesgeschäftsführer Ates Gürpinar ist der Vorstand sehr weiß.
„Ich finde auch, dass das ein Problem ist. Wir werden überdurchschnittlich viel von Menschen mit Migrationshintergrund gewählt und wir haben auch viele Aktive. Da arbeiten wir dran.“
Wie konkret?
„Wir haben aktive tolle Leute wie Cansu Özdemir, Co- Fraktionsvorsitzende in Hamburg, oder Elif Erap und Ferat Koçak im Berliner Abgeordnetenhaus. In der zweiten Ebene haben wir schon relativ viele, die das Bild der Linken bunter machen – nur noch nicht in der ersten Reihe. Und darum geht es jetzt. Das wir mit ihnen sprechen und sie ermuntern, dass sie perspektivisch in die erste Reihe treten.“
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Also keine eigene Quote für Migrationshintergrund?
„Ich finde das mit der Frauenquote total wichtig und richtig, weil es ein strukturelles gesamtgesellschaftliches Problem ist. Aber dann hätten wir schon die dritte weitere Quote sozusagen: Akademisch und nicht-akademisch, Ost-West und Migrationshintergrund oder nicht. Das ließe sich auch noch weiter ausdifferenzieren: Nehmen wir die, deren Eltern russische Einwanderer waren, aber sehr deutsch aussehen oder die, die auch anders aussehen. Sie haben ganz andere lebensweltliche Erfahrungen gemacht, denn sie werden häufiger auf der Straße bedroht als jene, die eher weiß aussehen.
Eine Quotenlösung finde ich nicht richtig, aber ich finde das Bewusstsein sehr wichtig. Dass man es auf dem Zettel hat und alle auf Diversität achten. Auf einer Liste mit 10 Leuten sollten gesamtgesellschaftlich mindestens 2,5 mit Migrationshintergrund sein. So weit sind wir noch nicht. Aber es ist das Ziel, dorthin zu kommen.“