Erdoğan sorgte vergangenen Mittwoch (25. Oktober) für Empörung mit seinen Äußerungen über den Krieg in Israel. Der türkische Präsident sagte laut der Deutschen Presse-Agentur bei einer Rede vor seiner AKP: „Die Hamas ist keine terroristische Organisation. Die Hamas ist eine Befreiungsgruppe, die kämpft, um ihr Land zu schützen“. Weiterhin machte er den westlichen Ländern den Vorwurf, sie seien nicht in der Lage, „Israel zu stoppen“.
Recep Tayyip Erdoğan (69) rief sowohl Israel als auch die Hamas dazu auf, unverzüglich eine Feuerpause zu vereinbaren. „Wir haben kein Problem mit dem israelischen Staat. Aber wir haben Probleme mit Israels Politik gegenüber den Palästinensern“. Ein Experte erklärt uns die Rolle Erdoğans und der Türkei im Nahostkonflikt.
Krieg in Israel: Solidarität mit Palästinensern
„Die Türkei und ihr Präsident spielen keine zentrale Rolle im Nahostkonflikt“, sagt Yunus Ulusoy, der Programmverantwortliche für transnationale Verbindungen Deutschland–Türkei der Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung zu unserer Redaktion. Vor dem Anschlag der Hamas auf Israel Anfang Oktober war die Türkei dabei, ihr von früher belastetes Verhältnis zu Israel und den Anrainerstaaten zu stärken, so Ulusoys Einschätzung. Zum Zeitpunkt des aktuellen Konflikts war die Türkei daran interessiert, die Lage zu entspannen.
In der Türkei gebe es ein solidarisches Verhältnis zu den Palästinensern. Gleichzeitig war die Türkei der erste Staat der muslimischen Welt, der Israel 1949 völkerrechtlich anerkannte, lange bevor Deutschland es tat. „Bis 2009 hat die Türkei eng militärisch mit Israel zusammengearbeitet, wirtschaftlich bestehen noch immer enge Beziehungen. So nimmt Israel den 10. Platz bei den Exporten ein (2022)“. Dieses Verhältnis versetze die Türkei in eine ambivalente Lage, so Ulusoy.
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Erdoğan selbst schwankte in den ersten Tagen „aufgrund seiner religiös islamischen Konnotation zwischen einer emotionalen Reaktion und dem nationalen Interesse hin und her, bis er nun die Hamas als Befreiungsorganisation bezeichnete“.
Die Türkei sei weit entfernt von der Konfliktlage, könne sich gewiss neutraler verhalten. „Man muss aber auch betrachten, dass Politiker die öffentliche Meinung widerspiegeln“. Die Öffentlichkeit in der Türkei und anderen Ländern der muslimischen Welt solidarisiere sich in großen Teilen mit den Palästinensern. „Palästinenser werden deshalb als Opfer angesehen, weil der Konflikt zwischen ihnen und Israel seit 70 Jahren angeschwollen ist und sich nicht lösen lässt. Aus Sicht der muslimischen Welt geht der Konflikt jedes Jahr zulasten der Palästinenser.“
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Der Unterschied der Bilder
Das Verhältnis zwischen Türkei und Israel könnte sich verschlechtern, wenn der Nahostkonflikt weiter andauert, erklärt Ulusoy. „Wir müssen auch bedenken, dass unsere Öffentlichkeiten unterschiedliche Bilder liefern. Wir haben exzessiv die Bilder des schrecklichen Terrorangriffes der Hamas auf Israel mitbekommen, wohingegen wir vom Leid der Palästinenser nicht so viel sehen. Das ist in muslimischen Ländern anders. Dadurch entsteht eine Wahrnehmungsdiskrepanz zwischen der muslimischen und der westlichen Welt.“
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„So wie wir in Deutschland, nicht zuletzt durch unsere Geschichte, eine eigene Öffentlichkeit haben und eine emotional-solidarische Haltung zu Israel aufweisen, haben Staaten mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit eine entsprechende öffentliche Meinung und Anteilnahme mit den palästinensischen Glaubensbrüdern“, erklärt der Experte im Gespräch mit dieser Redaktion.
„In der Türkei beispielsweise gibt es den Konflikt um die Kurden. Hier verhält sich Deutschland beziehungsweise der Westen mit den USA an der Spitze diametral anders als gegenüber Israel.“ In einigen muslimischen Ländern werde das als Doppelmoral des Westens wahrgenommen. Wenn es um Friedenspolitik, Konfliktbeilegung und Menschenrechte gehe, obwohl sie sich selbst daran nicht halten würden, so Ulusoy.
Erdoğan genieße „hohe Popularität“
Erdoğans AKP hat für Samstag zu einer Großkundgebung in Istanbul aufgerufen, an der auch der türkische Präsident teilnehmen wird. Es soll um den Krieg in Israel gehen. „Diese Demonstration richtet sich vor allem an die türkische aber auch an die arabische Öffentlichkeit. Erdoğan genießt eine hohe Popularität auf den Straßen der muslimischen Welt, wenn auch nicht immer in deren Regierungshäusern. Ich erwarte, dass er weiterhin zur Konfliktlösung und zur Beendigung der zivilen Opfer aufrufen wird.“
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„Die Türkei wird wahrscheinlich weiterhin balancieren zwischen der Verurteilung von Israel, ohne die Brücken zu dem Staat gänzlich abzureißen und gleichzeitig zu einer Beendigung des Konflikts aufzurufen.“