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Schulen in NRW pfeifen aus dem letzten Loch – Expertin kritisiert bestimmte Maßnahme: „Keinen Sinn“

Die Lage an Schulen in NRW spitzt sich zu. Fast jede Einrichtung leide unter Lehrermangel. Große Sorgen bereitet jetzt das Jahr 2026.

© IMAGO / Jochen Tack

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In Düsseldorf liegt das politische Machtzentrum von Nordrhein-Westfalen. Doch seit wann ist das so und wie viele Politiker sitzen eigentlich im Landtag.

Die Schulen in NRW schlagen Alarm. Ein verheerender Lehrermangel „belastet die Kollegien sehr“, sagt Anne Deimel, Co-Vorsitzende des NRW-Landesverbands Bildung und Erziehung (VBE). Die ehemalige Grundschulleiterin steht im engen Austausch mit Kollegen in ganz NRW. „Egal mit wem man spricht – alles dreht sich um den Personalmangel. Da hängt alles dran.“

Mit „alles“ meint die Schul-Expertin etwa die Lernrückstände von Kindern nach der Corona-Pandemie, den zum Teil gewaltigen Sanierungsbedarf an Räumlichkeiten oder die weiterhin schleppend verlaufende Digitalisierung an Schulen. Ausgerechnet in dieser Phase müssen tausende geflüchtete Kinder und Jugendliche aus der Ukraine – aber auch aus anderen Ländern – integriert werden. Ein Blick auf das Jahr 2026 bereitet Anne Deimel zusätzliche Sorgen.

Schulen in NRW: Ein „Armutszeugnis“

Rund zwei Drittel aller Schulen in NRW leiden unter Personalmangel. Das ist das Ergebnis der letzten Befragung unter Schulleiterin in NRW. Ein „Armutszeugnis“, findet Anne Deimel. Ein Zustand, der einen Teufelskreis mit sich bringe. Durch fehlende Lehrkräfte steige die Belastung der übriggebliebenen Kollegen – und damit auch die akute Krankenrate. Die Grippewelle unter Schülern und Lehrern im Winter sei dann das I-Tüpfelchen.

Als Folge müssten Klassen teilweise zusammengelegt oder in den Distanzunterricht geschickt werden. Die Erfahrung aus der Pandemie zeigt: „Je jünger die Kinder sind, desto problematischer ist das“, so die VBE-Landesvorsitzende. Sie fordert deshalb die Landesregierung dazu auf, massiv Geld in die Hand zu nehmen, um die Probleme an Schulen zu beheben.

Anne Deimel
Anne Deimel ist Co-Vorsitzende beim Landesverband Bildung und Erziehung in NRW. Foto: Caro Simon Photography

Schulen in NRW: Das muss sich ändern

Konkret brauche es neues Personal. Und zwar viel davon. „Es müssen viele Menschen ausgebildet werden. Das kostet Zeit und Geld. Aber Bildung muss ganz oben auf die Agenda. Nur gute Schulen bilden gut ausgebildete Kinder und Jugendliche aus“, sagt Anne Deimel. Das sei nicht nur wichtig für die Zukunft der einzelnen Kinder, sondern auch für unserer Demokratie. Schließlich könne die Schule als Institution Kontakt zu Kindern und Jugendlichen halten, die drohen, auf die schiefe Bahn zu geraten.

Doch auch an der Stelle hake es aktuell. Es brauche viel mehr sozialpädagogische Fachkräfte und Alltagshelfer, die Schülern in Problemlagen helfen. „Die Vielfalt der Schülerschaft erfordert eine ganzheitliche Herangehensweise, die nur von vielen Professionen gemeinsam geschultert werden kann“, so die ehemalige Schulleiterin. Das betreffe etwa auch den IT-Support, der aktuell an vielen Schulen von Lehrkräften übernommen werden müsse.

Tausende geflüchtete Kinder warten auf Schulplatz in NRW

Durch den Ukraine-Krieg hat sich die Lage noch weiter verschärft. Seit Ausbruch des Krieges seien knapp 36.000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine neu ins NRW-Schulsystem gekommen. Insgesamt liege die Zahl in dem Zeitraum bei über 81.000 Kindern, die deutsch als Zweitsprache lernen müssen.

Alarmierend: 50 Prozent der Schulleitungen sagen, dass es keine neuen Kapazitäten gebe. So warten nach Recherchen von „Westpol“ 3.560 geflüchtete Kinder und Jugendliche in NRW auf einen Schulplatz – 1.182 davon aus der Ukraine. Ohne Schule gibt es kaum eine Chance auf Integration. Gerade deshalb müssten Ressourcen nun richtig verteilt werden.

Schulen in NRW: Das muss aufhören

Fragwürdig wirkt in diesem Zusammenhang etwa die Sprachstandsfeststellung „Delfin“. Dabei wird unter großem Personalaufwand die Sprachfähigkeit von Vierjährigen untersucht, die keine Kita besuchen. „Das hat oft keinen Sinn“, findet Anne Deimel. Viele Kommunen hätten ohnehin keine Kapazitäten auf die Ergebnisse zu reagieren. Stattdessen sollten die Ressourcen lieber genutzt werden, um Kinder individuell (in Schulen) fördern zu können.


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Und der Bedarf dürfte weiter steigen. Denn es deutet wenig darauf hin, dass der Zuzug aus anderen Ländern abnimmt. Außerdem haben Eltern schon bald einen gesetzlichen Anspruch auf Ganztagsbetreuung an Grundschulen. Und das erhöhe nicht nur weiter den Bedarf an Personal. Auch die Räumlichkeiten müssten nach Ansicht der Schul-Expertin angepasst werden. Kinder in dem Alter bräuchten Rückzugsmöglichkeiten, müssten sich bewegen können. „Wenn Kinder den ganzen Tag in der Schule sind, muss Leben möglich sein“, erklärt Anne Deimel. Die Zeit drängt. Schon zum Schuljahr 2026/27 tritt der Ganztagsanspruch in Kraft. NRW-Schulministerin Dorothee Feller versprach vor Amtsantritt 10.000 neue Lehrkräfte für NRW gewinnen zu wollen – und das wichtige Gelder aus Bundes- und Landeshaushalt „an den Schulen ankommen, die es benötigen“, sagte sie der „taz“. Jetzt muss die CDU-Politikerin ihren Worten Taten folgen lassen.