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Türkei-Wahl: Nervosität steigt! Experte warnt: „Denkzettel für Deutschland“

Behält Erdogan seine Macht? Politikwissenschaftler und Türkei-Experte Burak Copur teilt im Interview seine Einschätzungen zur Türkei-Wahl.

Türkei-Wahl Erdogan
© IMAGO/APAimages

Erdogan: Das ist der Machthaber der Türkei

Recep Tayyip Erdogan ist langjähriger Machthaber in der Türkei. Wir stellen den türkischen Präsidenten vor.

Es sind nur noch wenige Tage: Am Sonntag (14. Mai) entscheidet sich, ob der amtierende türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (69) seine seit 20 Jahren gefestigte Macht behalten oder verlieren wird. Dann wählen die Menschen in der Türkei das Parlament und den Präsidenten.

In Deutschland konnten türkische Staatsangehörige bereits ihre Stimme in Wahllokalen abgeben. Aktuellen Umfragen deuten auf einen möglichen Sieg von Kemal Kılıçdaroğlu (74), Erdogans Gegner, hin. Burak Çopur ist Politikwissenschaftler und Türkei-Experte aus Essen. Im Interview mit dieser Redaktion teilt er seine Einschätzung zum Ausgang der Wahl, möglichen Folgen und erklärt, welche Bedeutung die Abstimmung auch für Deutschland hat.

Türkei-Wahl: Ist ein friedlicher Machtwechsel möglich?

Redaktion: Der amtierende türkische Präsident ist seit 20 Jahren an der Macht. Zum ersten Mal gilt er nicht als Favorit, selbst spricht Erdogan von einer „Schicksalswahl“. Mit welchem Ausgang für die Wahl rechnen Sie?

Burak Copur: „Ich bin nach Muharrem Inces Rückzug als Präsidentschaftskandidat sehr optimistisch, dass die Opposition nun unter Führung von Kemal Kılıçdaroğlu die Präsidentschaftswahl gewinnen und die Opposition gemeinsam mit der prokurdischen HDP die Mehrheit im Parlament erlangen wird. Dieser Wahlsieg wird allerdings kein Spaziergang. Erdogan und sein Regime werden mit allen Mitteln gegen einen solchen Wahlsieg vorgehen, wenn sie eine Chance dafür sehen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass, wenn die Wahl am 14. Mai knapp ausgehen sollte, es zu großen Ausschreitungen, Konflikten und Verwerfungen in der Türkei kommen kann, mit der Gefahr innertürkischer Konflikte in Deutschland.“

Die Gewalt in der Türkei verschärft sich vor der Wahl. Der Istanbuler Bürgermeister İmamoğlu wurde angegriffen. Wie groß ist das Gewaltrisiko, sollte Erdogan verlieren?

Copur: „Die Vorfälle in Erzurum waren ein Vorbote für das, was der Opposition bevorstehen wird, sollte es zu einer Stichwahl kommen. Deswegen wünscht sich die Opposition einen klaren Sieg im ersten Wahlgang, weil nicht absehbar ist, was das Erdogan-Regime an Gewalt noch ausüben wird, um die Opposition weiter zu unterdrücken und das Ergebnis für sich zu entscheiden.

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Je knapper die Wahl ausfällt, desto höher die Wahrscheinlichkeit von Konflikten und Auseinandersetzungen in der Türkei und desto höher der Export innerpolitischer Konflikte nach Deutschland. Je deutlicher der Wahlsieg für die Opposition bei der Präsidentschaftswahl ausfallen wird, und davon ist jetzt nach dem Rückzug Muharrem Inces als Präsidentschaftskandidat auszugehen, umso weniger wird sich das Erdogan-Regime trauen, sich diesem Ergebnis zu widersetzen. Ansonsten wird das System Erdogan mit allen Mitteln versuchen, das Wahlergebnis anzufechten beziehungsweise zu manipulieren – mit Instrumenten wie dem Hohen Wahlausschuss. Deswegen ist die Wahlsicherheit und -beobachtung durch europäische Institutionen wie der OSZE und dem Europarat wichtig.“

Ein Berater des Präsidenten sagte, dass ein Regierungswechsel „einem Putsch gegen die Unabhängigkeit“ in der Türkei gleichkäme. Ist ein friedlicher Machtwechsel überhaupt möglich?

Copur: „Wenn Präsident Erdogan die Wahl nicht akzeptieren wird oder versucht, sie zu manipulieren, dann ist davon auszugehen, dass die Opposition und große Teile der türkischen Gesellschaft sich dem widersetzen werden. Das kann dazu führen, dass Präsident Erdogan die Staatsgewalt nutzt, um die Opposition zu unterdrücken und mögliche Demonstrationen blutig niederzuschlagen. Der Türkei stehen in den nächsten Wochen vermutlich schwierige Zeiten bevor.“

Türkei-Wahl: „Auch ein Denkzettel für Deutschland“

Welche Auswirkungen hätte ein Wahlsieg Erdogans auf Deutschland und die EU?

Copur: „Ein Wahlsieg Erdogans würde nur eine weitere Verfestigung und Fortsetzung seines autokratischen Ein-Mann-Systems bedeuten – mit erheblichen sicherheitspolitischen Gefahren für die Region und für Europa. Ein ‚Weiter so‘ mit Erdogan bedeutet für die Europäische Union und Deutschland keine Stabilität, sondern Instabilität und Unsicherheiten. Ein Wahlsieg Erdogans kann nicht im Interesse Europas sein.“

Politikwissenschaftler und Türkei-Experte Burak Copur teilt im Gespräch mit dieser Redaktion seine Einschätzungen zur Türkei-Wahl.
Politikwissenschaftler und Türkei-Experte Burak Copur teilt im Gespräch mit dieser Redaktion seine Einschätzungen zur Türkei-Wahl. Foto: privat/BurakCopur

Die Opposition heizt Überfremdungsängste an und will Flüchtlinge massiv nach Syrien abschieben – Erdogan hat sich der Haltung angeschlossen. Welche Auswirkungen hätte eine Niederlage Erdogans auf Deutschland und die EU in Hinblick auf die Flüchtlingsfrage?

Copur: „Eine Niederlage Erdogans bedeutet für große Teile der türkischen Gesellschaft ein Aufatmen und ein ‚Zurück zur parlamentarischen Demokratie‘. Auch ist eine Verbesserung der türkisch-europäischen Beziehungen absehbar. Kemal Kılıçdaroğlu ist überwiegend pro-europäisch und westlich eingestellt. Was die Flüchtlingsfrage angeht, so sind die Forderungen und Überlegungen von Kılıçdaroğlu höchst populistisch und unrealistisch. Es wird ohne den Bruch des internationalen Völker- und Flüchtlingsrechts nicht möglich sein, über Jahrzehnte in der Türkei ansässige Flüchtlinge, die zum Teil dort bereits geboren sind, nach Syrien zwangsweise zu überführen. Viele dieser Flüchtlinge sind Oppositionelle, vor Assad geflohen und müssten mit ihrem Leben bezahlen, wenn sie wieder nach Syrien zurückkehren.“


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Die Wahllokale in Deutschland sind geschlossen: Ist es bei dieser Wahl auch so, dass hierzulande Erdogan eine satte Mehrheit kriegen wird?

Copur: „Bei dieser Wahl geht es für die AKP-Wähler in Deutschland nicht nur um die Wahl in der Türkei. Es ist gleichzeitig eine Protest- und Trotz-Wahl gegenüber der Erdogan-kritischen, deutschen Öffentlichkeit und Politik – auch ein Denkzettel für Deutschland. Sie protestieren damit auch gegen die von ihnen empfundene Diskriminierung und Ausgrenzungserfahrung. Die AKP-Wähler sagen: ‚Wenn weiterhin schlecht über den großen Anführer Recep Tayyip Erdogan gesprochen wird, werden wir Deutschland dafür eine Quittung erteilen‘.“