Am 9. Juni findet die Europawahl 2024 statt. Neben der SPD, CDU und den Grünen stehen 32 weitere Parteien zur Wahl. Brandneu auf dem Stimmzettel: Die „Letzte Generation“.
Denn als politische Vereinigung will die Aktivistengruppe das Parlament in Brüssel aufmischen. Doch können die Aktivisten tatsächlich Wähler gewinnen oder haben sie durch ihre umstrittenen Klebeaktionen das Vertrauen verloren? Darüber sprach unsere Redaktion mit der Spitzenkandidatin Lina Johnsen.
++ Zum ersten Teil des Interviews: Europawahl: Spitzenkandidatin der „Letzten Generation“: „Sehen, wie die Welt verbrennt“ ++
Europawahl: Kann die „Letzte Generation“ viele Stimmen gewinnen?
Vielen ist die Aktivistengruppe „Letzte Generation“ durch ihre umstrittenen Klebeaktionen und Straßenblockaden bekannt. Anfang des Jahres verkündeten die Klimaschützer allerdings, ihre Strategie zu ändern. Ihr Protest soll nun unter anderem im Brüsseler EU-Parlament weitergehen. Zur Europawahl steht sie dafür als politische Vereinigung auf dem Stimmzettel. Die Spitzenkandidatin Lina Johnsen sieht im Gespräch mit unserer Redaktion sogar Erfolgsaussichten: „Natürlich wäre es sehr cool, wenn wir ins Parlament kommen, um diese Bühne auch zu bespielen. Und die Chancen stehen gar nicht so schlecht.“
Doch schafft es die politische Vereinigung nach all dem Gegenwind sowohl die jüngere als auch die ältere Wählerschaft auf ihre Seite zu ziehen? Johnsen findet, ja. Denn „das Fatale an der Klimakatastrophe ist, dass sie eine riesige soziale Ungerechtigkeit mit sich bringt.“
„Riesen Fossil-Unternehmen, die am meisten zur Katastrophe beitragen, bereichern sich an der Zerstörung, während eine große Mehrheit jetzt schon unter den spürbaren Folgen leidet. Gleichzeitig birgt diese Krise auch gesamtgesellschaftliches Handlungspotenzial: Denn sie betrifft nicht nur die Jungen, die die Kosten und schwindenden Ressourcen ertragen müssen, sondern auch die Älteren, die vermehrt einen Hitzetod riskieren, wenn sie heutzutage im Sommer rausgehen. Es betrifft uns alle gleichermaßen auf unterschiedliche Weise. Und viele alte Leute, haben Kinder und Enkel. Viele junge Leute haben Eltern und Großeltern. In einer Gesellschaft sitzen wir alle in einem Boot und es ist egal, wo wir uns gerade auf der Welt befinden und in welchem Erkenntnis-Stadium.“
Lina Johnsen, Spitzenkandidatin „Letzte Generation“, im Interview mit der Redaktion
Grüne wählen statt Aktivistengruppe?
Die Letzte Generation will für den Klimaschutz das Parlament in Brüssel aufmischen. Gleichzeitig stellt sich aber die Frage, ob Klimaschützer eher etablierte Parteien wie die Grünen wählen sollten als die politischen Newcomer. Was unterscheidet die Gruppe von der Partei? „Die Grünen haben es endlich geschafft, in die Regierung zu kommen und haben sich dann aber über Kompromisse so runter reden lassen, dass am Ende nicht das dabei herumgekommen ist, was sie eigentlich von Anfang an versprochen haben“, prangert Johnsen an. Im Gegensatz zu den Grünen sei die Aktivistengruppe kompromisslos in Bezug auf radikalen Klimaschutz, der Menschheitsschutz bedeute.
„Wir sind gerade im Grunde dabei, alles zu verlieren, alles aufs Spiel zu setzen. Und das unterscheidet uns ganz klar davon, dass wir eine Protestbewegung sind und auch bleiben. Die Grünen haben sich auch durch eine Protestbewegung überhaupt erst entwickelt. Jetzt sind aber vor allem etablierte große Parteien am Machterhalt interessiert und wollen ihre eigenen Wählerinnen und Wähler abgreifen. Und das sind wir nicht. Wir sind nicht daran interessiert, noch mal wiedergewählt zu werden. Uns geht es vor allem darum, den Menschen klarzumachen, dass wir hier ein riesiges Problem haben. Das müssen wir angehen und kompromisslos in Bezug auf Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit sein.“
Lina Johnsen, Spitzenkandidatin „Letzte Generation“
Die ehemaligen sogenannten „Klimakleber“ treten als Protestbewegung an. Auch die AfD oder das Bündnis Sahra Wagenknecht inszenieren sich als Protestpartei. Befürchtet die Gruppe, ihnen könnte durch die beiden größeren Parteien Stimmen verloren gehen? „Welche Menschen wir ansprechen, sind vor allem jene, die zutiefst demokratisch sind und soziale Gerechtigkeit im Fokus haben. Diese merken, dass sie mit einer Stimmabgabe nicht den notwendigen Wandel geschafft haben, der bisher hätte geschafft werden müssen“, betont die Aktivistin.
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„Ich würde nicht sagen, dass wir Angst haben, uns gehen irgendwelche Stimmen verloren. Es geht darum, Plattformen zu nutzen und Druck auszuüben. Wichtig ist es, gewaltfrei zu bleiben und friedlich zu sein. Und jegliche Menschenfeindlichkeit muss dabei absolut abgelehnt werden. Alle Leute, die menschenfeindlich sind oder soziale Gerechtigkeit ablehnen, die wollen wir auch gar nicht bei uns in der Bewegung haben.“
Lina Johnsen, Spitzenkandidatin „Letzte Generation“ gegenüber unserer Redaktion