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Junkies am Rande des Bochumer Bermuda-Dreiecks: Wo du am Abend feiern gehst, versteckt sich eine Parallelwelt

Junkies am Rande des Bochumer Bermuda-Dreiecks: Wo du am Abend feiern gehst, versteckt sich eine Parallelwelt

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So sieht es im Konsumraum der Bochumer Krisenhilfe aus. Foto: Alexander Keßel
  • Zu Gast im Konsumraum der Krisenhilfe Bochum
  • Hier fixt und raucht die Bochumer Drogenszene ihren Stoff
  • Ein Modell, die Junkies und auch dich zu schützen

Bochum. 

Morgens halb zehn an der Viktoriastraße 67 in Bochum. Am Rande von Bochums größter Feiermeile verbirgt sich ein Ort, den du abends beim Feiern im Bermuda Dreieck wohl kaum wahrnimmst.

Nur eine unscheinbare Tür trennt die Außenwelt vom Konsumort der Bochumer Krisenhilfe, von dem was draußen als unnormal gilt. Dahinter geht es zu einem Anmeldetresen. Es sieht aus wie in einem etwas provisorisch möblierten Jugendzentrum.

Im Aufenthaltsraum sieht es ein bisschen aus wie in einer typischen Ruhrpott-Kneipe. Es ist verraucht. Es wird Bier getrunken. An rustikalen Tischen versammeln sich die Besucher in kleinen Gruppen. Hier bekommen sie eine günstige Mahlzeit und können ihre Wäsche waschen.

In erster Linie kommen sie aber hierher, um sich ihr Heroin in die Vene zu drücken. Sozialarbeiter Simon Maier (33) beschreibt das so: „Hier wird vieles als Normalität gelebt, was eigentlich nicht normal ist.“

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Nadine raucht ihr Heroin

„Guten Tag, Ich würde gerne meine Rauchware in Anspruch nehmen.“ Mit einem kindlich wirkenden, aufgeregten Grinsen betritt Nadine* den Empfang in der Krisenhilfe. Nadine ist Mitte vierzig, blond und trägt eine Dauerwelle, wie man sie in den 90ern oft gesehen hat.

Simon Maier reicht ihr ein Stück Alufolie. Darauf wird sie ihr mitgebrachtes Heroin nebenan im Konsumraum erhitzen. Den Rauch wird Nadine mittels eines Röhrchens inhalieren. Es wird ihr den nötigen Kick geben, bevor sie weiter den Schal für ihre Enkelin strickt, wie sie erzählt.

„Zum Glück hat mich das Zeug nicht bescheuert gemacht. Viele können hier ja keinen Satz mehr geradeaus reden“, sagt Nadine lachend, bevor sie die Tür hinter sich schließt.

Männer in der Überzahl

Als Frau gehört Nadine zu einer Minderheit im Bochumer Konsumraum. Bis 11 Uhr ist sie eine von lediglich drei Frauen, die an uns vorbei läuft. Gegenüber 30 Männern im gleichen Zeitraum.

Im Gegensatz zu Nadine verlieren die meisten anderen Besucher weniger Zeit bei der Anmeldung. Sie brauchen ihren Stoff. Sofort. Sie wollen kein Schwätzchen halten. Und sie kommen mehrmals am Tag. Manche sehe ich zwei, andere sogar drei mal innerhalb weniger Stunden.

„Dennis* war heute schon vier Mal da“, erzählt Maier. „Für ihn versuche ich dringend, einen Platz in der Entzugsklinik zu besorgen.“ Der Sozialarbeiter weiß, wann es Zeit ist, seine Klienten vor dem Absturz zu bewahren.

Wo, wenn nicht hier?

Seit 2002 gibt es den Konsumraum an der Vikoriastraße. Es ist Treffpunkt einer Szene, in der schwere Infektionskrankheiten weit verbreitet sind: HIV, Hepatitis B und C.

Deshalb gibt es den Konsumort: Es geht darum das Schlimmste zu verhindern. Weitere Infektionen zu vermeiden, Anlauf- und Beratungsstelle für Abhängige zu sein.

Die Spritze als Tauschware

Am Empfang versorgt der Sozialarbeiter die Abhängigen mit sauberem Spritzbesteck. Das kostet die Junkies nichts, wenn sie vor Ort konsumieren. Wer lieber zuhause fixt, kann sich seine Nadel auch mitnehmen, für fünf Cent. Auch die Spritze gibt’s zum Einkaufspreis von 25 Cent.

Ziel ist jedoch ein Tausch: Wer seine benutzte Nadel mitbringt, bekommt kostenlos eine neue. Ein Versuch, infizierte Spritzen von der Straße zu bekommen und beispielsweise spielende Kinder zu schützen. Letztlich geht es beim Konsumraum also auch um Unbeteiligte.

„Wir haben 30.000 Nadeln im Jahr 2016 tauschen können und 6.600 Stück verkauft“, so Maier.

Junkies werden immer älter

Doch der über 40 Jahre alte Verein leistet noch mehr. „Mit den Jahren haben sich die Bedürfnisse und Probleme der Abhängigen verschoben“, sagt Esther Nock (40). Die Krankenpflegerin ist zur Stelle, wenn sich einer der Junkies eine Überdosis spritzt.

Das komme aber vergleichsweise selten vor. Stattdessen muss Nock zusammen mit der Ärztin, die für eine Stunde am Tag vorbeikommt, viele Wunden versorgen. „Unser Klientel wird immer älter“, erklärt die Krankenpflegerin.

Das Spritzen in die Vene führt zu Spätfolgen: Durchblutungsstörungen, schlecht heilende Wunden bei schwacher Immunabwehr. Deshalb rät die Krankenpflegerin vielen Junkies zum kleineren Übel: Dem Rauchen der Drogen.

Diese Konsumart birgt deutlich weniger Risiken. Wie Nadine konsumiert etwa die Hälfte der bis zu 200 verschieden Junkies auf diese Art, so Nock.

Plötzlich ermittelt die Polizei

Kurz bevor ich die Krisenhilfe verlasse, betreten zwei Polizisten den Raum. Die Zivilfahnder erkennen mich nicht als Journalisten. Ich stehe unbeteiligt dabei, als die Beamten Simon Maier nach einem 26-jährigen Mann befragen. Er soll einer 14-Jährigen gegen ihren Willen Heroin in die Vene gejagt haben.

Die Zivilfahnder hatten die Jugendliche mit zehn Heroin-Bubbles (also Heroin in kleinen, runden Verpackungen) aufgegriffen. Der 26-Jährige habe ihr den Stoff gegeben und sie gezwungen, sich zu prostituieren.

Auch wenn Simon Maier täglich mit dem Schicksal Drogenabhängiger zu tun hat, ist dieser Fall für ihn schockierend. Schließlich handelt es sich fast noch um ein Kind. Der Sozialarbeiter sagt aus, dass es unter seinem Klientel einen solchen Mann nicht gibt.

Die Geschichte mit der 14-Jährigen geht auch mir nahe. In der Redaktion klemme ich mich ans Telefon. Im Lauf der Recherche stellt sich heraus, dass das Mädchen den Mann nur erfunden hat. Sie leidet unter psychischen Problemen, sagt die Polizei.

Ein Tag im Konsumraum in Bochum. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Heroin und Co. einen langsam zerstören. Die Drogen werden aber ein Teil der Gesellschaft bleiben, ob es uns passt oder nicht. Der Konsumraum leistet dabei einen wichtigen Beitrag, die Schicksale der Junkies aufzufangen.

*(Name von der Redaktion geändert)