Bereits zwei Mal saß Malte Nierobisch aus Bottrop (Ruhrgebiet) im Gefängnis. Der 19-Jährige ist kein Straftäter, sondern ein Mitglied der „Letzten Generation“. Einer Klimabewegung, die seit rund einem Jahr mit aufsehenerregenden Aktionen für hitzige Diskussionen in der Gesellschaft sorgt.
Aber genau das wollen die Aktivisten auch. Sie glauben, dass sie die sprichwörtlich letzte Generation sind, die den Klimawandel aufhalten könne. Doch mit ihren Aktionen überschreiten die größtenteils jungen Leute aus Sicht der Politik Grenzen. Im Interview mit DER WESTEN hat Malte Nierobisch über seine Motivation, seine Ängste und die Reaktion der Mitbürger gesprochen.
Ruhrgebiet: SO fing alles an
Mehrere Straßenblockaden durch Festkleben auf dem Asphalt oder auf dem Rollfeld des Münchener Flughafens sowie das Auslösen des Feueralarms im Bundestag – an all diesen Aktionen war Malte Nierobisch beteiligt. Inzwischen gehören solche Aktivitäten für das Mitglied der „Letzten Generation“ zur „Gewohnheit“, wie er selbst sagt.
Auf den ersten Blick ist Malte Nierobisch ein unauffälliger junger Erwachsener. Der 19-Jährige kommt aus bürgerlichem Haus, hat das Abitur abgeschlossen und steht vor dem Beginn seines Soziologie-Studiums. Beim ersten Aufeinandertreffen kommt er fast ein bisschen schüchtern rüber, doch wenn er über seine Ideale spricht, wirkt er abgeklärt und selbstsicher. „Stoppt den fossilen Wahnsinn“ steht auf seinem T-Shirt.
Während seiner Schulzeit habe er sich bereits mit dem Thema Klimawandel beschäftigt, an Fridays-For-Future-Demos teilgenommen. Da habe er aber eher im Hintergrund agiert. Erst das Buch „Handeln statt hoffen“ von Carola Rackete habe ihn dazu bewegt, aktiv gegen die Klimakrise vorzugehen. Die Autorin ist die bekannte deutsche Kapitänin, die im Juni 2019 trotz eines Verbots durch italienische Behörden insgesamt 53 aus Libyen kommende Flüchtlinge auf See rettete. „Was mich daran besonders inspiriert hat, war ihre Haltung. Einfach, dass sie das tat, weil sie es für richtig erachtet hat und dafür bereit war, die Strafe zu akzeptieren“, erklärt er gegenüber DER WESTEN.
Selbst das Gefängnis schreckt ihn nicht ab
Seitdem kämpfe auch er aktiv für seine Überzeugungen, die ihn allerdings auch schon zwei Mal in den Knast brachten – zuletzt nach der Aktion am Flughafen München. Doch dieses Risiko nehme der Bottroper in Kauf. „Von jetzt auf gleich wurde einem die Freiheit entzogen. So richtig kann man sich nicht darauf einstellen. Wir haben Medikation teilweise nicht bekommen, hatten keine Bücher oder sonstige Beschäftigung“, beschreibt er die Erfahrung. Davor sei er bereits für 23 Tage in Stadelheim in Präventivhaft gekommen, damit er nicht weitere Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begehen kann. „Ich konnte mich in der Zeit nicht draußen bewegen und saß am Ende da drin, weil ich eigentlich etwas Gutes tun will“, sagt Nierobisch.
23 Stunden am Tag habe er nur in der Zelle verbracht und sich mit sich selbst beschäftigt – viel Zeit, um nachzudenken. „Natürlich kommt man da auch ins Grübeln, ob das alles so richtig ist. Allerdings hilft es mir auch, mir nochmal klarzumachen, wie bedrohlich die Lage ist. Das hilft damit klarzukommen.“ Auch von einer erneuten Gefängnisstrafe wolle sich der Aktivist nicht abschrecken lassen – selbst wenn sich das seine Familie vielleicht wünschen würde.
„Angst macht mir die Vorstellung schon – natürlich auch für meine Familie und Freunde. Es bedrückt mich auch, dass sie von meiner Entscheidung betroffen sind. Ich glaube aber, dass es das wert ist. Wenn der Staat uns einsperrt, weil wir sie eigentlich warnen wollen, dann akzeptiere ich das“, wird Malte Nierobisch deutlich. Am Ende des Tages würde seine Familie jedoch seine Beweggründe verstehen und ihn unterstützen. Bei seiner jüngsten Protest-Aktion protestierte er mit Mitglieder der Umweltbewegung Extinction Rebellion in Essen vor der RWE-Zentrale gegen den Braunkohleabbau in Lützerath.
Zukunft bereitet Klimaaktivist größte Angst
Doch eins will der Aktivist ganz deutlich klarstellen. Bei den Aktionen gebe es für die „Letzte Generation“ eine Grenze, die sie niemals überschreiten würden. „Alles wo körperliches Leid miteinhergehen würde, das machen wir nicht. Wir bleiben gewaltfrei!“ Anders dagegen sehe es bei einigen Passanten aus. „Uns kann auch immer was passieren, nur ich sehe, dass wir gerade wirklich auf eine Welt zusteuern, dessen Zukunft mir viel mehr Angst bereitet“, erklärt Nierobisch. Der Frust und das Unverständnis wachsen bei einigen Menschen in der Bevölkerung, denn nicht selten haben sie unter den Folgen zu leiden. Denn durch Straßenblockaden wird teilweise der ganze Verkehr für einige Zeit lahmgelegt.
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Der Klimaaktivist kann die Verärgerung verstehen, doch glaubt, dass die Regierung nur so zum Handeln zu bewegen sei. Aktionen beispielsweise vor dem Kanzleramt hätten nicht die gewünschte Wirkung erzielt. Bleibt jedoch die Frage, wie das zusammenpasst, wenn die „Letzte Generation“ eigentlich Menschen für den Klimaschutz gewinnen will, sie aber durch die Taten gegen sich aufbringt? „Alle Leute stimmen uns zu, dass wir mehr Klimaschutz brauchen, doch es wird nicht gehandelt. Unsere Aktionen sind gar nicht dafür gemacht, dass wir Mehrheiten für uns gewinnen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass diese kleinen Gruppen, die die Bevölkerung mit radikalen Aktionen gegen sich aufgebracht hat, viele unserer heutigen Rechte erkämpft haben“, so der 19-Jährige. Die Polizei fordert hingegen härtere Konsequenzen für Klimakleber (mehr hier).