Ein Mensch als Kapitalanlage: Um sein Studium zu finanzieren, hat der Wittener Wolfgang Machur Aktien ausgegeben
Essen.
Wolfgang Machur ist ein Student, der zur Kapitalanlage geworden ist. Um seine Ausbildung an der Universität in Witten-Herdecke zu finanzieren, hat er „Aktien“ an Investoren ausgegeben.
Einer seiner Geldgeber wohnt in Amsterdam, ein anderer in Bern, ein dritter in Graz. Machur verspricht ihnen Anteile an seinem künftigen Gehalt. Je besser Machur später verdient, desto höher fällt die Rendite für die Investoren aus. Wer es böse formulieren will, könnte den Studenten auch als Spekulationsobjekt bezeichnen. Die Frage lautet: Ist die Wolfgang-Machur-Aktie eine gute Wertanlage?
Der 25-Jährige ist Mitglied des Vereins Studienaktie.org. Die Organisation mit Sitz im schweizerischen Winterthur stellt den Kontakt her zwischen Studenten und potenziellen Investoren.
Gegründet wurde der Verein von Lars Stein, einem gebürtigen Saarländer, der vor mehr als zehn Jahren die Idee hatte, sein Wirtschaftsstudium in St. Gallen durch Investoren zu finanzieren. Das Vorhaben sei aus der Not entstanden. „Überraschend habe ich einen Studienplatz in St. Gallen erhalten, aber als Deutscher in der Schweiz konnte ich kein BAföG bekommen“, erzählt Stein. Seine „Inspirationsquelle“ sei ein Radiobericht über eine Studentin gewesen, die ihre Ausbildung durch Malerei finanzierte. „Ich habe mir überlegt: Was kann ich als Betriebswirt verkaufen? Und das war mein eigenes Gehalt. So habe ich mein eigenes Studium finanziell gerettet.“
Seit einigen Monaten ist Stein damit beschäftigt, das Projekt Studienaktie zu professionalisieren. „Wir sehen uns als soziales Unternehmen, das Menschen ermöglicht, den eigenen Weg zu gehen“, sagt er. „Unsere Mission ist, mehr und bessere Bildung zu ermöglichen.“
Derzeit seien es rund 70 Geldgeber, die in die Bildungsprojekte von 46 Studierenden investieren, berichtet Stein. Mancher Geldgeber überweise einige hundert Euro, zum Teil gehe es auch um fünfstellige Summen. „Zu den Investoren gehören ganz unterschiedliche Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft“, erzählt Stein. „Viele sind Idealisten. Sie wollen mit ihrem Geld etwas Sinnvolles tun.“
Wolfgang Machur ist ein nachdenklicher Mensch, der Sätze sagt wie: „Geld ist ein Mittel zur Selbstverwirklichung.“ Er trägt ein weißes Hemd und einen Kapuzenpulli. Sein Lieblingsthema heißt Nachhaltigkeit. In einigen Jahren will er einen Job haben, mit dem er sich „identifizieren kann“ – in einer internationalen Organisation oder als sozialer Unternehmer.
In Witten-Herdecke studiert Machur „General Management“. Wenn er über die Studienaktie spricht, betont er: „Es geht nicht nur um den finanziellen Aspekt.“ Auch die Gespräche mit seinen Investoren seien eine Bereicherung. Die Bewerbung für Studienaktie.org ist relativ aufwendig. Machur musste unter anderem einen persönlichen „Lebensentwurf“ formulieren, den seine Investoren einsehen konnten. „Durch die Auseinandersetzung mit sich selbst lernt man eine Menge“, sagt der Student. Auch viele Bankhäuser vermitteln Studienkredite. Doch Machur hat sich bewusst gegen sie entschieden. Kürzlich war er zwei Monate in Paris, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern. „Das hätte mir keine Bank finanziert“, glaubt er.
Formal ist die Studienaktie ein Darlehen mit Erfolgsbeteiligung. Der Verein verfügt nicht über eine Banklizenz, sondern ist in der Schweiz als gemeinnützige Organisation eingetragen. Eckpunkte der Darlehensverträge verhandeln die Partner individuell – zum Beispiel das Investitionsvolumen und die Laufzeit. Der Gewinn der Investoren orientiert sich am Einstiegsgehalt der Absolventen. Die vereinbarte Verzinsung kann zwischen 2,5 und 7 Prozent schwanken – je nach Gehalt.
Risiko Privatkonkurs
„Unsere Investoren können durchaus Geld mit dem Projekt verdienen. Für Studienaktie.org gilt das nicht“, sagt Lars Stein. Sein Ziel sei, „dass sich das Projekt langfristig selbst trägt“. Für die Investoren sei „das einzige Risiko“ ein Privatkonkurs des Studierenden, sagt Stein. „Die Studienaktie ist risikoärmer als ein Geschäft an der Börse. Unsere Investoren können den Menschen, denen sie Geld anvertrauen, in die Augen schauen.“