Tengelmann hat die Zahl der Beteiligungen an Onlinefirmen binnen kürzester Zeit auf mehr als ein Dutzend gesteigert. Klassische Supermärkte bereiten der Mülheimer Handelsgruppe Probleme: Die Region Nordrhein leidet unter kräftigen Umsatzverlusten.
Mülheim.
Manchmal sei man ganz hin- und hergerissen zwischen Tradition und Moderne, sinnierte Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub gestern. Er sagte das mit Blick darauf, dass er die Bilanz der Mülheimer Handelsgruppe nicht mehr im historischen Saal an der Wissollstraße vorlegte, sondern erstmals in neu gestalteten Räumen der Zentrale. Er hätte damit auch die Neuausrichtung des Familienkonzerns meinen können, die er vorantreibt: Haub hat die Zahl der Beteiligungen an Internetfirmen binnen kürzester Zeit auf mehr als ein Dutzend hochgeschraubt, um sich vom stationären Geschäft (Kaiser’s Tengelmann, Obi, Kik) unabhängiger zu machen.
Geschäft schwächelt in Region Nordrhein
Auf diesem Feld bereiten weiter die Supermärkte Probleme – in Deutschland und in Übersee. So kämpft die Gruppe mit der Stabilisierung der in Schieflage geratenen Tochter Kaiser’s Tengelmann. Besonders schwächelt das Geschäft in der Vertriebsregion Nordrhein: Sie fuhr im vergangenen Jahr mit 181 Filialen ein Umsatzminus von 4,6 Prozent ein. „Das ist unsere größte Herausforderung“, sagte Haub.
Weil die Geschäfte in Bayern und Berlin besser liefen, konnte Kaiser’s Tengelmann 2010 mit knapp 18 000 Beschäftigten in 531 Filialen den Umsatz im Vergleich zum Vorjahr bei 2,1 Milliarden Euro stabil halten. Geld verdiente man mit den Supermärkten aber nicht. So stand 2010 „im Zeichen der Zukunftssicherung“ bei Kaiser’s Tengelmann. Der Firmensitz wurde von Viersen nach Mülheim verlegt, die Region Rhein-Main-Neckar mit ihren 118 Filialen ganz aufgegeben. Haub versicherte aber, an der deutschen Supermarktsparte insgesamt festhalten zu wollen.
Dies gelte auch für die Region Nordrhein. Nach der Schließung von elf Filialen im Raum Münster sollen hier keine Standorte mehr aufgegeben werden. Alte Filialen würden modernisiert beziehungsweise durch neue ersetzt.
Mitarbeiter verzichten auf einen Teil ihres Gehalts
Für Modernisierung, Ersatz unrentabler Standorte und Neueröffnungen bei Kaiser’s Tengelmann in Deutschland will der Konzern insgesamt einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag investieren. Damit die Wende gelingt, leisten die Mitarbeiter bei Kaiser’s Tengelmann einen wesentlichen Beitrag: Gemeinsam mit der Gewerkschaft Verdi einigte sich das Unternehmen auf einen Sanierungstarifvertrag, der am 1. Januar in Kraft trat. Demnach verzichten die Beschäftigten drei Jahre lang auf je die Hälfte des Weihnachts- und Urlaubsgeldes. Das soll Einsparungen in knapp zweistelliger Millionenhöhe bringen. Haub sprach optimistisch von „erstklassigen Zukunftsperspektiven“ für die deutschen Supermärkte.
Die Beteiligung an der US-Tochter A&P haben die Mülheimer hingegen komplett abgeschrieben. Das Unternehmen war in die Insolvenz geschlittert. „Ich glaube kaum, dass wir nach Beendigung des Insolvenzverfahrens noch ein maßgeblicher Teilhaber sein werden“, sagte Haub.
Tengelmann will Praktiker nicht übernehmen
Während den Textil-Discounter Kik zuletzt dramatisch gestiegene Baumwollpreise bremsten, punktete die international rasant expandierende Baumarkt-Tochter Obi 2010 mit einem Umsatzplus von sechs Prozent auf 6,4 Milliarden Euro. Haub erwartet durch die Energiewende zudem eine Sonderkonjunktur in der Branche. Den kriselnden Rivalen Praktiker hat er aber nicht im Visier: „Wir schließen irgendeine Art von Übernahme komplett aus.“ Es gebe aber Vermieter von Praktiker-Märkten, die Obi Mietverträge anbieten würden.
Seine Online-Aktivitäten baut Tengelmann konsequent aus. Mit dem gestrigen Einstieg beim Kaffee-Versender Coffee Circle stieg die Zahl der Beteiligungen an Internetfirmen auf 13, darunter Babymarkt.de oder der Schuhhändler Zalando.de. Bis zum Jahresende könnten es bereits 20 sein. Den Grundstein seiner E-Commerce-Sparte hatte Tengelmann 2001 mit dem Onlineshop des mittlerweile in Netto aufgegangenen Discounters Plus gelegt. Nun setzt Haub auf junge Internet-Start-ups – Tradition und Moderne.