Veröffentlicht inWirtschaft

Die neue Lust auf Wurst

Die neue Lust auf Wurst

0025741920-0055049141.JPG
Foto: Marlo Scheder-Bieschin

Essen. Es geht um die Wurst. Mal hat man sie schlechtgeredet, mal schlecht gemacht. Schade drum. Eine Einladung zur Wiederentdeckung einer oft verkannten Größe unserer Esskultur. Ein Gespräch über Dinge, von denen man sich eine Scheibe abschneiden kann.

Genießer pilgern zu ihm. „Der Feinschmecker” zählt seine Würste zu den besten Deutschlands. Dabei steht Marcus Bauermann am liebsten in seiner Rügener Wurstküche und arbeitet. Lars von der Gönna sprach mit dem leidenschaftlichen Metzger und Genießer über Dinge, von denen man sich eine Scheibe abschneiden kann.

Um eine Gemeinheit Bismarcks zu zitieren: „Je weniger die Leute wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie!”

Bauermann: Guter Spruch, aber so arg ist es nicht. Eigentlich haben die deutschen Metzger es gar nicht nötig, irgendwas zu verbergen.

Bismarck meinte wohl eher unappetitliche Zutaten…

Bauermann: Es gibt ein paar Dinge, die kommen, Legenden zum Trotz, niemals in die Wurst. Augen zum Beispiel. Ansonsten muss man sagen: Am Tier gibt es keine „Abfälle”. Alles ist für etwas gut – ein guter Metzger weiß das und arbeitet so.

Sind gute Metzger selten?

Bauermann: Es gibt viele Gute. Aber es gibt auch die, die das Interesse verloren haben. Natürlich unterliegen wir alle der Ökonomie. Wenn ein Kollege eine Wurst nicht in Ruhe reifen lässt, sondern das durch einen Zusatzstoff beschleunigt, muss er weniger Kapital aufwenden. Aber ich finde: Gut Ding will Weile haben.

Während uns Cholesterin-Päpste den Untergang prophezeien, singen Sie das Hohelied des fetten Specks…

Bauermann: Es gibt eine irre, meiner Meinung nach doofe Bewegung in Deutschland, die hat Essen mit Gesundheit gleichgesetzt. Das ist absurd. Essen ist Nahrung. Man isst, um satt zu werden, nicht, um ein Heilmittel zu sich zu nehmen. Außerdem ist Fett ein Geschmacksträger. Ich möchte keine kalorienarme Wurst machen. Weil mit jedem Gramm Fett weniger da die Zusatz- und Ersatzstoffe reinwandern. Ich will meinen Körper nicht verarschen und Dinge aus Lebensmitteln verbannen, die total natürlich und nützlich sind. Zusatzstoffe brauchen wir nicht. Der Werbungsterror verbietet es uns ja regelrecht, geradeaus zu leben. Früher haben wir das Essen gejagt, jetzt jagt das Essen uns! Das ist einer der Gründe, warum ich seit sieben Jahren keinen Supermarkt betreten habe. Und es geht wunderbar.

Sie stammen aus den neuen Bundesländern. Was war für Sie vor 1989 anders?

Bauermann: Wissen Sie, ich bin echt der Letzte, der den Sozialismus zurück will, aber dass die Menschen in der DDR weniger profitorientiert gedacht haben, das hatte auch gute Seiten. Aus dem Material, was wir hatten, haben wir wirklich das Beste herausgeholt. Wenn echter Pfeffer kam, war das für Metzger ein Fest. Oft reichte er nicht bis zum Ende des Monats. Umso mehr staune ich, dass viele Kollegen jetzt fertige Aromamischungen nehmen. Ich wäre ja wahnsinnig, wenn ich in diesem Gewürz-Paradies Fertiggewürze nähme.

In Deutschland gibt es über 1500 Wurstsorten. Wer ist schuld, dass so viele von denen fad und langweilig schmecken?

Bauermann: Es ist ein bisschen einfach, das alles nur den total durchautomatisierten Großbetrieben zuzuschieben, in denen zehn Mann 20 Tonnen Würstchen am Tag machen. Der Kunde spielt da auch eine Rolle. Jeden Tag haben Sie jemanden, der sagt: „Das ist aber fett!” oder „Das ist aber nicht lange genug haltbar!”. Wenn einer im großen Stil Leberwurst macht, auf Zusatzstoffe verzichtet, und dann geht mal bei einem von 1000 Gläsern der Deckel hoch, steht das gleich in der Bild. Da sagt der Industrielle natürlich: dann doch lieber mit Zusatzstoffen – und weniger Ärger.

Wie finde ich einen guten Metzger, der hervorragende Wurst macht?

Bauermann: Es gibt nur ein Kriterium: Geschmack! Den hat man instinktiv, nur der zählt. Wer aber noch mehr wissen will, der fragt, woher die Tiere stammen, welche Region, welche Aufzucht und so weiter.

Und dann stehen wir alle in der Schlange und nerven den armen Metzger…

Bauermann: Na und? Der Kunde ist geradezu verpflichtet, Lebensmittelherstellern auf den Wecker zu gehen! Was ist denn wichtig für uns? Sex und Essen, das sind doch die schönen Dinge. Soll man Kunden vorwerfen, dass sie sich für Lebensqualität interessieren?

Im Verlag Mosaik bei Goldmann: Marcus Bauermann, Lust auf Wurst, Bewusst Genießen, 160 Seiten, 19,95 €

Der Liebling: die Fleischwurst

Wenn wir an dieser Stelle vermelden, dass an der Spitze der deutschen Wurstlieblinge immer noch die Brühwurst liegt, laden wir geradezu zum Missverständnis ein.

Denn dahinter verbirgt sich in der Fachsprache nicht etwa das Wiener Würstel sondern die große Gruppe der beliebten Brötchenbeläge: ganz vorne die Fleischwurst, Paprikawurst, dann Jagdwurst, Bierschinken etc. Sie garen in der Brühe – daher der Name. Vom Pro-Kopf-Verzehr an Wurst, der in Deutschland im letzten Jahr 30,6 Kilogramm betrug, entfielen auf sie 7,4.

Platz zwei der Favoriten in Pelle und Darm sind mit 5,6 Kilo Jahresverzehr Rohwürste. Die sind aber (auch wieder ein Problem des Fachvokabulars) nicht so roh, wie sie klingen – denn das sind all die bekannten Dauerwürste wie Cervelat, Salami etc.

Schinken (2008: 4,9 Kilogramm) ist zwar keine Wurst, hat aber in der Beliebtheit kräftig zugelegt – vielleicht, weil er so offensichtlich pur ist.

Was kleine Metzgerbetriebe weniger freuen dürfte: Rasant zu nimmt der Kauf von SB-verpackter Wurst. Seit 1990 hat sich die Nachfrage nach „frischer Bedienungsware” mehr als halbiert. Die altvertraute Rückfrage der Metzgereifachverkäuferin „Geschnitten oder am Stück?” hören immer weniger Kunden.

Und dann fiel bei unserer Recherche noch diese kalorienarme Scheibe ab: Wurst als Teppich. Preis nach Größe!

Wurst auf Rezept

  • Salat von der Stadtwurst
  • Cordon Bleu vom Kasseler
  • Gebratene Kalbsleberwurst