Oberhausen.
„Ich habe seit langem meine Mutter nicht mehr gesehen. Seit vier Jahren. 2015 bin ich hierher gekommen, jetzt ist schon 2019. Vier Jahre! Ich kann nicht mehr ohne meine Mutter leben. Könntet ihr auch nicht ohne eure Mutter leben?“, fragt die elfjährige Ruqayah.
Im Video, selbst mit dem Handy aufgenommen, sitzt die Schülerin im rosa Nachthemd auf dem Bett im dunklen Zimmer. „Könnt ihr mir helfen?“, fragt sie unter Tränen.
Ruqayah lebt im hessischen Cölbe und vermisst ihre Eltern und ihre Schwester.
Oberhausen: Nadia El-Zein setzt sich für kleine Ruqayah ein
Rückblick: Als die Flüchtlingskrise 2015 ihren traurigen Höhepunkt erreicht hatte, machte sich Familie Al-Gurabi aus dem Irak auf, Großeltern, zwei Onkel, die Eltern Asaad und Noor mit Ruyaha (damals sieben) und ihrer kleinen Schwester Taif. Ihr Ziel: Europa.
Gemeinsam wagen sie die Überfahrt von der Türkei nach Griechenland – per Boot. In einem Boot sitzen Ruqayah, ihre Großeltern und die beiden Onkels. Im anderen ihre Eltern und die kleine Schwester. Unterwegs kentert das Boot der Eltern, sie treiben im Wasser, können gerettet werden und werden zurück in die Türkei gebracht. Ruqayah sitzt im anderen Boot und kommt nach Griechenland durch. So berichten sie es.
Gemeinsam mit ihren Großeltern und den beiden Onkeln schlägt sie sich nach Deutschland durch, landet im September 2015 in Oberhausen in der Erstaufnahmeeinrichtung. Hier lernt die kleine Ruqayah Nadia El-Zein (36) aus Oberhausen kennen. Sie kümmert sich seither um die Familie. Und setzt sich dafür ein, dass die auseinandergerissene Familie endlich wieder zusammenfindet.
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Großeltern und Onkels droht Abschiebung
Gemeinsam mit ihren Großeltern und den beiden Onkeln lebt das Mädchen mittlerweile im hessischen Cölbe. Doch ihre Mutter, ihren Vater und die kleine Schwester hat sie seitdem nicht mehr gesehen.
Ein Familiennachzug wird abgelehnt. Weil bei Ruqayah der Flüchtlingsstatus nicht anerkannt wurde. Auch der Antrag auf Asyl-Anerkennung und subsidiären Schutz wurde abgelehnt. Begründung: Es drohen ihr keine ernsthaften Schäden in Form von Folter oder ähnlichem im Irak.
Einzig ein Abschiebeverbot erlaubt ihr, in Deutschland zu bleiben. Doch bald schon könnte die Elfjährige ganz alleine in Deutschland dastehen. Denn Großeltern und Onkeln droht die Abschiebung. „Seit zwei Jahren laufen ein Verfahren und eine Klage “, sagt Nadia El-Zein. Das Verwaltungsgericht Gießen bestätigt den abgelehnten Asylbescheid und die Abschiebeandrohung für die Großeltern und Onkels.
Wie geht es bei Abschiebung mit Ruqayah weiter?
Wie es mit der kleinen Ruqayah im Falle einer Abschiebung weitergehen würde, ist unklar. „Dazu kann ich nichts sagen, denn dies wäre zum einen reine Spekulation und obliegt zum anderen weder meiner Entscheidung noch – jedenfalls in diesem Stadium – der des Gerichts“, antwortete die Sprecherin des Gerichts auf Nachfrage von DER WESTEN.
Eine Abschiebung erfolge durch die Ausländerbehörde nach Abschluss eines Asylverfahrens. Die Ausländerbehörde entscheidet wann und wie gegebenfalls abgeschoben werde.
Familiennnachzug in weiter Ferne
Die Eltern von Ruqayah sind mittlerweile zurück im Irak. Die Oberhausenerin Nadia El-Zein steht regelmäßig in Kontakt mit ihnen: „Ihre Mutter kann nicht mehr, sie ist am Durchdrehen. Sie sagt schon, dass es besser wäre, wenn Ruqayah zurückkommt.“
Doch im Irak drohe der Familie eine ungewisse Zukunft. Denn der Opa der Elfjährigen arbeitete einst im berüchtigten Gefängnis Abu Ghreib – dort wurden während der Besetzung der US-Streitkräfte irakische Insassen gefoltert und misshandelt. Er ist Sunnit, die Oma ist Shiitin. Sie war im Irak einst entführt worden, weil sie als Shiitin mit einem Sunniten verheiratet ist, berichtet die Famile.
Im Irak herrschen mittlerweile vom Iran unterstützte schiitische Milizen. Die USA zogen bereits ihr Personal aus der US-Botschaft ab, die deutsche Bundesregierung setzte ein Ausbildungsprogramm für irakische Militärs aus. Die Spannungen sind groß, Krieg droht in der Region.
Schule und Psychologen setzen sich für Ruqayah ein
Entsprechend besorgt ist Nadia El-Zein um die Familie, die ihr so ans Herz gewachsen ist. Sie war schon beim Bürgermeister in der hessischen Gemeinde Cölbe, hat dem Außenministerium geschrieben, erhält Unterstützung von Ruqayahs Schule.
„Häufig erzählt Ruqayah im Unterricht oder in Pausensituationen, wie sehr sie ihre Eltern und ihre kleine Schwester vermisst. Sie wirkt dann sehr traurig und niedergeschlagen, was wir sehr gut verstehen können“, so die Rektorin der Schule in einem Brief an das Verwaltungsgericht und das Ausländeramt, der der Redaktion vorliegt.
Auch ein psychologisches Gutachten der Kinder- und Jugendambulanz Marburg kommt zu einem eindeutigen Schluss: „Aus psychologischer Sicht sollte die Trennung von R. und ihren Eltern sowie ihrer Schwester daher schnellst möglich beendet werden, weshalb wir umgehend einen Familiennachzug für R. empfehlen.“
Termin für das Verfahren noch nicht bestimmt
Doch bislang bleibt die Ungewissheit, wie es mit Ruqayah und ihrer Familie weitergeht. „Entscheidungen sind noch nicht ergangen“, teilte das Verwaltungsgericht Gießen mit. Ein Termin für das Verfahren sei noch nicht bestimmt worden.
Ein Familiennachzug komme ohnehin erst in Frage, wenn ein Asylverfahren positiv abgeschlossen wurde. Davon und von einem Happy-End ist Ruqayah und ihre Familie derzeit weit entfernt. (ms)