Der Siemens-Konzern will seine Energiesparte umbauen. Die Folgen bekommt auch das größte NRW-Werk in Mülheim zu spüren. Dort sollen bis zu 900 Arbeitsplätze wegfallen.
Mülheim/München.
Der Siemens-Konzern will seine für den Standort NRW so wichtige Energiesparte umbauen. Nach Informationen dieser Zeitung sollen im Mülheimer Dampfturbinen- und Generatorenwerk dadurch mehr Arbeitsplätze wegfallen als bislang geplant. Wie aus Konzernkreisen zu erfahren war, stehen bis zu 900 Stellen auf der Streichliste.
Für den Industriegiganten Siemens hat einmal mehr eine Schicksalswoche begonnen. Am heutigen Mittwoch tagt der Aufsichtsrat. Am Donnerstag will Konzernchef Joe Kaeser in London die Halbjahreszahlen präsentieren. Analysten erwarten, dass sie noch schlechter ausfallen werden als befürchtet. An diesem Tag tritt auch der Wirtschaftsausschuss zusammen, in dem die Arbeitnehmervertreter über die Ergebnisse des „Transformationsprogramms PG2020“ informiert werden sollen.
Umbau des Energiegeschäfts
Mit Unterstützung der Unternehmensberatung McKinsey hat Siemens über Monate darüber beraten, wie die unter Druck geratene Division Power and Gas (PG) wieder wettbewerbsfähig gemacht werden kann. Wie andere Konzerne auch, die in der Energietechnik unterwegs sind, leidet Siemens darunter, dass mit dem Vormarsch der Erneuerbaren Energien die Bestellungen von konventionellen Kraftwerken eingebrochen sind. Es gibt weltweit Überkapazitäten und einen immensen Preisdruck.
Zuletzt hatte Siemens erheblich in die großen Gas- und Dampfturbinen investiert. Der Trend geht aber zu einer dezentralen Energieversorgung mit kleineren Einheiten. Entsprechend groß sind die Sorgen im Mülheimer Werk, das mit seinen 4800 Mitarbeitern für Entwicklung, Bau und Servicegeschäft der großen Dampfturbinen und Generatoren ausgelegt ist.
Protest der Belegschaft erwartet
Fest steht bislang, dass an dem Standort an der Ruhr rund 450 Arbeitsplätze wegfallen werden. Die Anpassung ist auf bereits laufende Umstrukturierungsprogramme zurückzuführen. Wie sich „PG2020“ auf Mülheim und die anderen Werke auswirken wird, soll den Arbeitnehmervertretern am Donnerstag im Siemens-Wirtschaftsausschuss erläutert werden. Nach Informationen dieser Zeitung könnten im Werk mehrere Hundert weitere Stellen zur Disposition gestellt werden. Die IG Metall hatte zuletzt davor gewarnt, dass bei Siemens in Mülheim insgesamt 1000 Jobs wegfallen könnten.
Die Einschnitte werden nicht ohne den erbitterten Protest des Betriebsrats und der Belegschaft vonstatten gehen. Das Mülheimer Siemens-Werk ist kampferprobt. Im Jahr 1999 zeichnete sich eine ähnliche Entwicklung ab. Damals wollte der Konzern 550 Stellen abbauen und stockte die Zahl plötzlich auf 850 auf. Der Betriebsrat stellte demonstrativ 850 Kreuze auf dem Werksgelände auf, um auf das Schicksal jedes Betroffenen aufmerksam zu machen.
Betriebsräte warnen vor Verlagerungen ins Ausland
Die damaligen Pläne, die Produktion des Generators in die USA zu verlagern, kamen aber nicht zum Tragen, weil sich in Amerika ein unerwarteter Auftragsboom entfachte. Mit der Konsequenz, dass in Mülheim daraufhin deutlich weniger Stellen abgebaut wurden als vorgesehen.
Ob sich Geschichte nach 16 Jahren wiederholen wird, ist völlig offen. Die Betriebsräte der deutschen Siemens-Standorte der Division Power and Gas, die 13.000 Beschäftigte vertreten, haben bereits einen Appell an die Konzernleitung verfasst. „Die geplanten Maßnahmen zur Neuausrichtung dürfen nicht zu einseitigen Auslandsverlagerungen führen“, fordern sie.
Die Betriebsräte verweisen zudem auf das Abkommen „Radolfzell 2“. Die im Jahr 2010 vereinbarte Beschäftigungs- und Standortsicherung schließt betriebsbedingte Kündigungen auf Dauer aus. Aus Konzernkreisen in München hieß es gestern, dass sich Siemens daran auch künftig gebunden fühle.