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„Wir sind nicht nur der Aufsichts-Rat“

„Wir sind nicht nur der Aufsichts-Rat“

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Foto: WAZ FotoPool
Thomas Kufen (CDU) über Lehren aus dem Oebbecke-Gutachten, Detailverliebtheit der Politik und die „Selbstverzwergung“ des OB.

Essen. 

Das Bürgerbegehren „Kulturgut“ – unzulässig. Der Oberbürgermeister – im politischen Alltag viel mächtiger als gedacht. Der Rat – eher für die großen politischen Linien als für die Detailfragen zuständig. Mit diesen zentralen Aussagen in seinem Gutachten hat der Münsteraner Jura-Professor Janbernd Oebbecke nicht nur in Essen aufhorchen lassen. Und nun? Ein NRZ-Gespräch mit Thomas Kufen, dem Fraktionschef der CDU im Rat der Stadt und Frontmann des Viererbündnisses.

Herr Kufen, als Ihnen das Rechtsgutachten vor zwei Wochen präsentiert wurde, baten Sie um eine Denkpause. „Erst mal sacken lassen“, hieß die Devise. Und? Was ist dabei herausgekommen?

Dass ich gelassen bin. Was den Rat angeht, kann ich feststellen: Bisher hat der Oberbürgermeister alle Beschlüsse des Stadtparlaments umgesetzt, auch dort, wo es um Stelleneinsparungen ging. Da gibt’s aus meiner Sicht nichts zu beanstanden.

Vielleicht auch, weil der OB dachte, gegen den Rat sei er machtlos. Jetzt stellt sich heraus: Er darf viel mehr, als er sich bislang herausnahm.

Gut, dann muss er im Zweifelsfall vor den Rat treten und abweichend argumentieren. Ich habe da bislang keine Veranlassung zu glauben, er könnte den richtigen Pfad des Sparkurses verlassen, den wir als CDU mit Grünen, FDP und EBB gegangen sind. Ohnehin fällt der OB bislang nicht dadurch auf, dass er übertrieben Verantwortung auf sich lädt. Er scheint immer auch sehr dankbar, wenn andere diese für ihn und die Stadt übernehmen.

Dabei soll der Rat ja nur noch die Grundpfeiler der Stadtpolitik bestimmen, und der OB sagt innerhalb dieses Rahmens, wo’s lang geht.

Damit habe ich kein Problem, auch wenn die Realität in Rat und Bezirksvertretungen in der Vergangenheit gelegentlich anders aussah.

Gelegentlich? In der Praxis greift doch die Politik in einem Ausmaß ins Geschehen ein, bei dem man sich wundert, dass sie nicht noch bestimmt, ob der Herr Meier oder doch lieber Frau Müller an der Infotheke steht und welche Strecke die Doppelstreife längs geht. So viel Regelungsbegehren gilt ja zu Recht auch als ein Zeichen von Bürgernähe.

Da ist was dran. Dieser Konflikt steht auch weiterhin im Raum, weil die Bürger die Erwartung haben, dass wir nicht nur hehre Ziele verabschieden, sondern am Ende auch Probleme lösen, die in der Umsetzung auftauchen. Die spannende Frage ist, wie unser OB mit dem Rat umgeht, wenn er selbst sagt: ,Ich bin umzingelt von Opposition.’

Nicht mehr sein Problem. Denn ist das Gutachten nicht so zu lesen, dass künftig der OB jenen Hut aufhat, zu dem stets der Rat griff?

Der OB kann sich den Hut aufsetzen, den er will, Farbe und Aussehen entscheidet am Ende der Rat.

Also lassen Sie sich Ihren Zugriff auf politische Details nicht nehmen?

Können wir doch auch gar nicht. Da haben wir einen Anspruch an uns selbst. Allerdings müssen wir nicht so weit gehen, das Fliesendekor und die Fugenfarbe im neuen Schwimmbad festzulegen. Da darf man auch ehrenamtlich agierende Ratsmitglieder nicht überfordern, ja, man muss sie gelegentlich sogar vor sich selbst schützen, was die Detailversessenheit bei Entscheidungen angeht. Dabei ist mein Eindruck, dass die Verwaltung und an ihrer Spitze der OB ganz froh waren, wenn es diese sehr detaillierten Beschlüsse gab.

Waren nicht vielleicht auch die Bürger ganz froh, Ansprechpartner vor Ort zu haben und nicht eine – bei aller Gesprächsbereitschaft – oft als anonym empfundene Verwaltung, mit der man sonst im Wesentlichen ja schriftlich umgeht?

Das sehe ich durch das Gutachten auch gestärkt. Wir sind Teil der kommunalen Selbstverwaltung und nicht nur der Aufsichtsrat.

Das klang beim OB anders: Er will sich gerne mit dem Rat „beraten“. Aber am Ende wohl selbst bestimmen, wo’s lang geht. Wenn sie das auch wollen, gibt Ärger. Entscheidet am Ende also ein Gericht?

Das ist wahrscheinlich so, auch wenn es der OB – wie gesagt – zu diesem Konflikt noch nicht hat kommen lassen.

Vielleicht aus der Unsicherheit heraus, was er darf und was nicht.

Ich glaube, eher aus der klugen Erkenntnis heraus, dass vielfach das Richtige beschlossen wurde. Und weil mit Blick auf den Sparkurs gerade das Viererbündnis zu Entscheidungen fähig war, die er mit seiner eigenen SPD nie durchbekommen hätte. Etwa bei der höheren Grundsteuer.

Gutachter Oebbecke ist überzeugt, dass die Stadt es im Zweifelsfall auch von einem Gericht schriftlich bekommt: Der OB darf viel mehr, als ihm bislang zugemessen wurde.

Ich kann dem OB jetzt dennoch nicht empfehlen, das Gutachten so umzudeuten, dass der Rat nichts mehr zu bestimmen hätte. Wir sind auf ein gutes Miteinander angewiesen, leiden aber ein bisschen unter der Selbstverzwergung des Oberbürgermeisters.

Selbstverzwergung?

Ja, weil er sich jetzt auch per Gutachten hat bestätigen lassen: Er hat auch Rechte. Und ist kein Zwerg, sondern Oberbürgermeister dieser Stadt. Und jetzt ruft er sich plötzlich zum Riesen aus. Das finde ich ein bisschen albern. Der Rat ist gewählt, und der OB ist gewählt, wir sind beide in der Verantwortung für diese Stadt, und die sollten wir angehen.