Der Buchhändler Thalia verlässt das Baedekerhaus an der Kettwiger Straße. Bald werden dort keine Bücher mehr verkauft. Damit endet ein Stück Stadtgeschichte: Die aufstrebende Firma der Familie Baedeker prägte lange Zeit das kulturelle Leben in Essen. Ein Blick ins Geschichtsbuch.
Essen war ein unbedeutendes Landstädtchen, als der Buchdrucker und Buchhändler Gottschalk Diederich Baedeker 1817 beschloss, ein Haus an der heutigen Kettwiger Straße zu kaufen. Die „Harrach’sche Kurie“, Adresse „In der Burg Nr. 686“ stammte aus dem Besitz der ehemaligen Stiftsdame Maria Theresia Gräfin von Harrach-Rohrau und lag sehr günstig gegenüber der Münsterkirche und dem Burgplatz, der Keimzelle des historischen Essen.
Es war ein hervorragender Standort für eine aufstrebende Firma, zu deren Besitz Verlag, Druckerei, Buchhandlung, Leihbibliothek sowie die „Essendische Zeitung von Kriegs- und Staatssachen“ gehörte – letzteres war lange Zeit das einzige Presseorgan in Essen. Handel rund ums gedruckte Wort wird an diesem Standort demnach seit fast 200 Jahren betrieben, was noch einmal den Verlust unterstreicht, den Essen erleidet, wenn im Herbst die Thalia-Buchhandlung aus dem zweiten Baedekerhaus auszieht, das auch schon fast 90 Jahre alt ist.
Lehr-Fibel mit 1141 Auflagen
Wenn Krupp früh das industrielle Leben der Stadt prägte, dann machte sich Baedeker ums Intellektuelle verdient und trug so das Seine dazu bei, dass sich Essen zur Metropole des Ruhrgebiets entwickelte. In den Anfängen war man davon weit entfernt. Durch Einheirat kam die schon in einigen Nachbarstädten sehr rege Dynastie 1775 nach Essen, das unscheinbare Stammhaus der Firma lang noch am unteren Ende der Limbecker Straße, etwa dort, wo heute der Haupteingang des Einkaufszentrums ist. Die Kombination aus Wohn- und Arbeitsstätte wurde zu eng, Gottschalk Diederich Baedeker entschloss sich 1801, die Gebäude des ehemaligen Hospitals am Kopstadtplatz zu pachten.
Doch auch dort fehlten nach kurzer Zeit die Räumlichkeiten, „um den drey Zweigen des Geschäfts den nöthigen Spielraum zu verschaffen“, wie es hieß. Das Anwesen am Burgplatz bot die Lösung, es wurde ständig erweitert, der Aufschwung setzte sich schnell fort. Ab 1850 wurde eine Schnellpresse angeschafft und ein neues Druckereigebäude eingeweiht. Pädagogische Literatur wurde genauso herausgegeben wie das Bergbau-Jahrbuch oder die Zeitschrift „Glückauf“.
Eines der verbreitetsten Bücher der Welt
Auch die berühmten Reiseführer des Sohnes von G.D. Baedeker, Karl Baedeker, wurden eine Zeit lang in Essen gedruckt, nicht aber verlegt. Denn Karl, einem weltoffenen jungen Mann mit großer Reiselust, war seine unscheinbare Geburtsstadt Essen zu eng und klein. In Koblenz, der Hauptstadt der preußischen Rheinprovinz, gründete er 1827 den noch heute unter seinem Namen bestehenden Verlag. Der Erfinder des praktisch orientierten Reisebegleiters schaffte, was für jeden Unternehmer ein Traum ist: Produkt und Name wurden synonym. „Der Baedeker“ war noch bis vor wenigen Jahrzehnten der Reiseführer schlechthin.
Zu den größten Erfolgen des in Essen verbliebenen Verlags seines Bruders Zacharias gehörte 1853 ein Buch mit dem umständlichen Titel: „Fibel oder der Schreib-Lese-Unterricht für die Unterklassen der Volksschule“. Autor Albert Haester war 25 Jahre als Lehrer in Werden tätig und brachte es bis 1889 auf immerhin 1141 Auflagen und mehr als 3,4 Millionen Exemplaren. Das Buchhändlerlexikon von 1901 zählt das Werk „unzweifelhaft zu den verbreitetsten Büchern der Welt.“