Weniger Klamauk: Der CSD war 2016 ein bisschen anders
Parade der Schwulen und Lesbenzog am Samstag durch die Innenstadt.
Die Organisatoren zählten Tausende Besucher, auch OB Thomas Kufen war dabei
Das gewohnte Gute-Laune-Getümmel stand diesmal aber nicht im Vordergrund
Essen.
Ein schwuler Oberbürgermeister, eine Community, die vor allem nach dem Orlando-Massaker vom Juni ein Stück Sicherheit verloren hat und ein Umzug, bei dem das gewohnt schrille Element weitgehend politischem Ernst gewichen ist: Der 13. Essener Ruhr Christopher Street Day (CSD) unterschied sich spürbar von seinen Vorgängern.
Latex-Boys und Drag-Queens
13 Uhr, Samstag, Willy-Brandt-Platz: Schon von weitem sind die Trommeln der Anheizer zu hören. Zum ersten Mal haben die Organisatoren des CSD-Umzugs mit der Formation „Samba Ruhrgebeat“ Live-Musik gebucht. Doch wo normalerweise um diese Zeit das große Schaulaufen von Latex-Boys und Drag-Queens in Stöckelschuhen stattfindet, sorgen die gelb-grün gekleideten Damen und Herren der Kapelle für einige der wenigen Farbtupfer.
Angesagt bei den rund 600 Teilnehmern ist luftiger Freizeitlook. Einige sind ganz in Schwarz gekommen, nur ein paar Männer in Frauenkleidern oder die grell-orangefarbene Truppe von „Posithiv Handeln“ sorgen für Hingucker, ein Mitläufer in Latex-Hot-Pants und mit Hundemaske erinnert noch an alte Zeiten. Grell ist anders.
„Ich finde, wir sind bunter geworden“, sagt Markus Willecke, Organisator des Zugs und Geschäftsführer der Aids-Hilfe Essen, und meint damit eben gerade nicht die „Kulisse“ für die die Community in Hetero-Kreisen so berühmt ist. Willecke redet über fast 30 beteiligte Gruppen, die vielen neuen und jungen Teilnehmer oder die älteren Schwulen, deren Mitwirken keineswegs selbstverständlich sei.
„Auch in Schutzräumen nicht sicher“
Traurig sind die Organisatoren sicherlich nicht über das kleinere Theater. Zu leicht werden die politischen Botschaften vom Spaßgetümmel übertönt. Gerade der 13. Ruhr-CSD steht unter politischen Vorzeichen, wie selten. „Die 49 getöteten Menschen im Schwulen-Club in Orlando haben uns geschockt. Dass wir auch in Schutzräumen nicht sicher sind, ist schon einschneidend“, beschreibt Willeke die Stimmungslage.
Auseinander setzen mussten sich die Organisatoren im Vorfeld auch mit erhöhten Sicherheitsauflagen wegen der jüngsten Amokläufe und Attentate in Deutschland.
Doch die andere Seite der Medaille, wenn man so will die regenbogenfarbene, die strahlte weiter als je zuvor. „Oberbürgermeister Thomas Kufen hat uns einen Motivationsschub gegeben“, berichtet CSD-Organisator Dietrich Dettmann vom Organisationsverein Ruhrpride. Am Donnerstag hatte Kufen erstmals überhaupt zum CSD-Empfang ins Rathaus geladen. „Symbolträchtiger wäre es gewesen, wenn dies ein heterosexueller OB getan hätte“, so Kufen am Rande des CSD. Vorher hatte er das Regenbogen-Banner durch die Stadt getragen, auf der Kennedy-Platz-Bühne die bunte Ruhrstadt ausgerufen.
15 Jahre „Homoehe“
Dass politisch noch eine ganze Menge zu tun ist, das war die große Botschaft auch dieses CSD. Denn obwohl die Eintragung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften im August 2016 ihren 15. Geburtstag feierte – 1254 Personen leben in Essen in einer so genannten Homo-Ehe – ist eine wirkliche Gleichstellung noch in weiter Ferne. Das spüren auch der Essener Lokalpolitiker Thomas Mehlkopf-Cao (CDU) und sein Partner Liu Cao.
Der Christdemokrat berichtet: „Ich nenne Liu zwar immer meinen Mann, aber eine völlige Gleichstellung mit der Ehe ist es eben nicht. Es gibt zwar Fortschritte, aber nach wie vor sind die Behörden und andere gar nicht immer auf Paare wie uns eingestellt.“ Steuerveranlagung, Sonderbescheinigungen für den Arbeitgeber, unpassende Behördenformulare, Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche, natürlich das fehlende Adoptionsrecht: Hörte man sich bei den CSD-Teilnehmern um, dann konnten viele von ihnen eine Geschichte dazu erzählen. Und die war häufig ziemlich ernst.