Veröffentlicht inEssen

Vorher von anderen Kliniken abgelehnt – Darum werden in Essen so viele minderwertige Leberorgane transplantiert

Vorher von anderen Kliniken abgelehnt – Darum werden in Essen so viele minderwertige Leberorgane transplantiert

Lebertransplantation.jpg
Ist es am Universitätsklinikum Essen erneut zu Verstößen bei Transplantationen gekommen? Foto: Imago (Symbolbild)
  • 350 von 850 minderwertigen Leberorganen werden in Essen transplantiert
  • Die Uniklinik ist damit deutschlandweit führend
  • Der Grund ist völlig einleuchtend

Essen. 

Eine Prüfungskommission will bei den Organtransplantationen in der Uniklinik Essen systematische Verstöße gegen geltende Richtlinien festgestellt haben

. Ein Vorwurf: Bei minderwertigen Organen sollen häufig Patienten eine neue Leber bekommen haben, die ursprünglich überhaupt nicht als möglicher Spenderempfänger vorgesehen waren.

Bei einer Pressekonferenz hat die Uniklinik am Dienstag diese und weitere Anschuldigungen der „Prüfungs- und Kontrollkommission“ (PÜK) als falsch bezeichnet. Der Anwalt der Klinik rät dem Krankenhaus sogar, gegen den Bericht zu klagen.

Betrachtet man die Lebertransplantationen in Essen unanhängig von den Vorwürfen, fällt auf: Die Uniklinik pflanzt sehr oft Organe in besonders schlechten Zustand in ihre Patienten. Das sind Lebern, die zuvor bereits auf der Nationalen und danach auch auf der regionalen Warteliste (Fachbegriff „Extended Allocation“) keinen Spender gefunden haben und von den Kliniken abgelehnt wurden. C-Ware also. Doch warum ist das so?

Immer weniger junge Organspender

„Die Zeit, dass Organspender junge Menschen waren, die bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen sind, ist vorbei“, erklärt Professor Kurt Werner Schmid, Direktor der Pathologie des Uniklinikums. Die Unfallzahlen sinken jedes Jahr. Eigentlich eine gute Nachricht. Aber schlecht für Menschen, die auf eine Organspende angewiesen sind.

Deshalb müssen Alternativen her. In der Uniklinik habe man sich deshalb schon vor über zehn Jahren damit beschäftigt, auch Organe von Menschen zu transplantieren, die auf den ersten Blick grenzwertig erscheinen.

Das ist bitter nötig. Mehr als 200 Patienten warten alleine in der Uniklinik auf eine neue Leber. Deutschlandweit sind es noch einmal viele mehr. Ein Beispiel zeigt, wie verzwickt die Lage ist.

Knapp 20 Prozent aller Lebertransplantationen in der Uniklinik sind C-Ware. Ihre Spender hatten Krebs, waren alt oder hatten andere Krankheiten. Doch ein mangelhaftes Spenderorgan ist für die Menschen, die Spenderorgan brauchen oft besser als gar keins: Deshalb sagt die Klinik, ihr Bestreben sei es, „soweit medizinisch vertretbar, möglichst jedes grenzwertige Organ möglichst effektiv zu verwenden.“

Schmid erzählt von einem 93-jährigen Organspender, der in Kroatien gestorben ist. Auf der Nationalen Warteliste wurde kein passender Spender gefunden. Auch regional hat sich keine Klinik gefunden, die die Organe des Mannes gebrauchen konnte. Dabei sagt Schmid: „Eigentlich hat eine Leber kein Alterslimit.“ Und so kam Essen zum Zug.

Essen hat einen 24-Stunden-Dienst

In der dritten Runde, im sogenannten „Beschleunigten Verfahren“ geht es vor allem um eins: Zeit. Der Patient ist jetzt schon mehrere Stunden lang tot. Der Zustand der Organe verschlechtert sich mit jeder Minute. In der Uniklinik ist ein 24-Stunden-Dienst für ein Telefon eingerichtet.

Dort ruft Eurotransplant, der Organvermittler, an. Die Klinik die zuerst zuschlägt, bekommt das Organ. Oft ist die Uniklinik Essen das. Zuvor wurde der Chefarzt kontaktiert. Eine Patientenliste hat er immer bei sich. Schmid: „Auch um drei Uhr nachts kann er so noch den geeignetsten Patienten auswählen.“

Organ und Spender kommen so blind zueinander. Kommt das Organ in Essen an, wird es in der Klinik genauer untersucht und mittels Maschinenperfusion aufbereitet. Auch dafür hat die Uniklinik ein eigenes Institut. Und der Patient wird informiert.

Hier erklärt die Unklinik dann auch, was es mit den Vorwürfen der PÜK auf sich hat. In 70 Prozent der Fälle entscheidet sich die Klinik nämlich tatsächlich noch für einen anderen Patienten. Das kann mehrere Gründe haben. Der banale: Der passende Spendeempfänger ist einfach nicht erreichbar.

Kaum Unterschiede bei der Überlebens-Chance

Oder komplizierter: Um die Überlebens-Chance des Patienten zu erhöhen. „Nicht immer ist der kränkste Patient noch der beste für das minderwertige Organ, nachdem wir es in Augenschein genommen haben“, heißt es aus der Klinik.

So musste eine Leber eines dreijährigen Spenders, die für einen ebenfalls dreijahre alten Organempfänger bestimmt war, an einen anderen Patienten vergeben werden. Das Klinikum hatte da erfahren, dass der Junge an Krebs verstorben war. Das Risiko für das gleichaltrige Kind, bewerteten die Mediziner als zu hoch.

Der Kurs mit dem C-Ware-Organen mag merkwüdig klingen, die Ergebnisse geben der Uniklinik aber Recht. Rund 90 Prozent aller Transplantationspatienten überleben in Essen das erste Jahr. Egal, ob das Organ A-, B-, oder C-Ware gewesen ist.

Das könnte dich auch interessieren:

Organspendeskandal in Essen? Uniklinik wehrt sich gegen die Vorwürfe

Gehalt, Telefonnummern, Adressen: Diakonie verliert Verträge mit sensiblen Daten von Eltern mitten in Essen