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Vom Krankenbett ins Pflegeheim

Vom Krankenbett ins Pflegeheim

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Foto: WAZ FotoPool
Die kurze Verweildauer verhindert oft,  dass alte Menschen im Krankenhaus vollständig genesen -  gleichzeitig werden Reha-Maßnahmen häufig abgelehnt. Die Sozialdienste der Kliniken kämpfen gegen den traurigen Trend, dass zuvor rüstige Senioren nach einem Klinikaufenthalt im Pflegeheim landen.

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Vom Krankenhaus ins Pflegeheim – so erging es der 90-Jährigen Ilse V., über die wir im Juli berichteten. Die zuvor rüstige Seniorin wurde nach einer undramatischen Erkrankung als Pflegefall entlassen. Ihr Schicksal ist kein Einzelfall: Im Jahr 2011 kamen bundesweit 60 Prozent aller neuen Heimbewohner direkt aus einer Klinik; dreimal so viele wie noch 2003.

Marlies Dattenberg (57) vom Sozialdienst des Elisabeth-Krankenhauses kämpft gegen den traurigen Trend an. „Früher hatten Patienten die Chance, im Krankenhaus zu genesen, heute spricht man von blutigen Entlassungen. Junge Leute packen es auch auf Krücken, alte Menschen brauchen Hilfe.“ Um die zu organisieren, haben Dattenberg und ihr Team immer weniger Zeit. Im Jahr 2000 lag die durchschnittliche Verweildauer (ohne Kinder/Geburtshilfe) im Elisabeth-Krankenhaus bei 8,6 Tagen, 2012 bei 6,3 Tagen. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der vom Sozialdienst betreuten Patienten von 1778 auf 3380.

Ohne Pflegestufe ist man verloren

„Wir müssen die Entlassung mit der Aufnahme des Patienten einleiten und in kürzester Zeit ein Hilfsnetzwerk knüpfen,“ sagt die Diplom-Gerontologin. Allein der medizinische Dienst, der über eine Pflegestufe entscheidet, habe aber drei bis fünf Tage Vorlauf. Und viele alte Patienten bekommen gar keine Pflegestufe, weil die Pflegekasse nur zahlt, wenn der Pflegebedarf langfristig besteht: Das ist nicht der Fall, wenn sich eine alte Dame etwa den Arm bricht. Gleichzeitig trägt die Krankenkasse nur die Behandlungspflege wie die Verbandwechsel. Sprich: Zu der Seniorin kommt nach der Klinikentlassung vielleicht jemand, der ihr Thrombose-Spritzen gibt – aber niemand, der putzt, einkauft, sie zum Arzt fährt. „Das ist eine Versorgungslücke: Wer keine Familie hat oder private Leistungen zahlen kann, bekommt große Probleme.“

Viele haben niemanden mehr

An sich müsste die alte Dame mit dem Armbruch zunächst in eine Reha-Maßnahme: Reha vor Pflege, so steht es im Gesetz. Die Wirklichkeit sieht anders aus, weiß Dattenberg. „Die Reha wird gerade für alte Patienten oft abgelehnt.“ Für einsame, hilfebedürftige Senioren sei es fast unmöglich, ihr Recht zu erstreiten.

Wo aber eine Reha abgelehnt wird und an ein eigenständiges Leben (noch) nicht wieder zu denken ist, kommen Senioren regelmäßig ins Pflegeheim. Oft – wie im Fall von Frau V. – erst in die Kurzzeitpflege. Wer jedoch alt, von einem Klinikaufenthalt geschwächt ist und keine Reha-Angebote erhält, für den wird das Heim oft zur Endstation. Dabei könne eine häusliche Pflege mit ambulanter Krankengymnastik eine Alternative sein, so Dattenberg. Doch es brauche einen Verwandten oder Vertrauten, der sich darum kümmere. „Leider erleben wir immer mehr Patienten, die einfach niemanden haben.“ Manchmal habe sie ein schlechtes Gewissen, solche Menschen ins Ungewisse zu entlassen: „Aber unsere Zuständigkeit endet leider an der Krankenhaustür.“