SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty liefert sich mit Hendrik Wüst (CDU) ein enges Rennen um das Amt des Ministerpräsidenten in NRW.
Im zweiten Teil des Interviews mit DER WESTEN rechnet Thomas Kutschaty mit der aktuellen Landesregierung ab. Er kritisiert die Strategie zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität, erläutert seinen Plan zum Bau von 100.000 neuen Wohnungen pro Jahr und erklärt, wie abgehängte Ruhrpott-Städte wieder attraktiv werden können.
DER WESTEN: Sie haben der Landesregierung vorgeworfen, die Trends der Zeit verschlafen zu haben. Sitzen Sie da als SPD-Politiker nicht im Glashaus, da Sie und Ihre Partei in NRW jahrelang am Abbau von Braun- und Steinkohle festgehalten haben?
Thomas Kutschaty: Dass die SPD noch mit Kohle und Ruß im Gesicht in der Fraktion sitzt – das ist schon lange nicht mehr der Fall. Wir haben unter Rot-Grün und Hannelore Kraft den Einstieg in den Ausstieg aus der Kohle-Energie eingeleitet. Es ist eine SPD-geführte Landesregierung gewesen, die alleine in ihrem letzten Regierungsjahr 2017 mehr Windkraftanlagen gebaut hat als Schwarz-Gelb in den letzten drei darauffolgenden Jahren zusammen.
Ein Thema, dass die Landesregierung als Erfolg verbucht, ist die Bekämpfung von Kriminalität im Allgemeinen und Clan-Kriminalität im Speziellen. Wie bewerten Sie als ehemaliger NRW-Justizminister Herbert Reuls „Politik der 1.000 Nadelstiche“?
Die Kriminalitätszahlen sind in einigen Bereichen runter gegangen, in einigen aber auch gestiegen. Runtergegangen sind sie zum Beispiel bei Ladendiebstählen. Das ist kein Wunder, denn wenn die Läden und Kaufhäuser lange im Lockdown waren, kann man dort auch nicht klauen. Auch Wohnungseinbrüche sind stark gesunken – auch das ist nicht verwunderlich, wenn viele Beschäftigte im Home-Office sind. Im Gegenzug haben wir Höchststände bei Geldautomaten-Sprengungen und Betrugsdelikten im Internet. Organisierte Kriminalität muss von der Ursache an wirksam bekämpft werden – nach objektiven Maßstäben, nicht welche Schlagzeile das erzeugen mag. Die letzte von Herrn Reul abgefeierte Razzia hatte 45 Festnahmen zur Folge. Was ist daraus geworden? Knapp eine Woche später saßen nur noch vier in Haft.
Sie würden also sagen, dass der Kampf gegen Clan-Kriminalität eine Stigmatisierung von bestimmten Personengruppen ist?
Es führt zu einer, wenn man nicht objektiv handelt. Herbert Reul jagt im Augenblick die Boten, aber nicht die Bosse. Als Ministerpräsident möchte ich die organisierte Kriminalität bekämpfen, indem wir die Bosse ins Visier nehmen. Ich will doch deren Luxus-Autos, Immobilien und Vermögen beschlagnahmen. Das funktioniert in NRW überhaupt nicht. Und da empfehle ich dem Innenminister einen Blick nach Berlin. Da hat es der Innenminister geschafft, an Immobilien von Kriminellen ranzukommen. Ich will die Luxus-Autos der Gangster-Bosse auf dem Autotransporter sehen.
Wobei man sagen muss, dass die Kriminalitätsbekämpfung in NRW auch international beachtet wird. So gibt es einen intensiven Austausch zwischen der Essener Polizei und Kollegen aus Schweden. Im Wissen, dass täglich das SEK vor der Tür stehen könnte, agieren Kriminelle anders.
Völlig klar. Aber dann möchte ich, dass das SEK auch vor der Tür von organisierten Kriminellen steht, wenn sie Finanzbetrügereien begehen. Jeder Kriminelle muss Angst haben, dass plötzlich die Polizei im Wohnzimmer steht.
Ihnen fehlt also die Gleichbehandlung der kriminellen Strukturen.
Kriminalität muss bekämpft werden. Wir dürfen nur nicht bei Handlangern halt machen. Mir geht es darum, die Bosse der organisierten Kriminalität vor Gericht zu stellen.
Sie haben sich im Wohnungsbau ein ambitioniertes Ziel gesetzt, wollen jährlich 100.000 neue Wohnungen bauen lassen, davon 25.000 Sozialwohnungen. Jetzt gibt es aber in den Ballungsgebieten kaum Bauland. Wo sollen eigentlich die ganzen Wohnungen gebaut werden?
Ich will Kommunen dazu animieren, dass sie mehr in die Höhe bauen – und damit meine ich keine neuen Hochhaussiedlungen. Ich habe den Eindruck, dass jede Woche irgendwo ein neuer Discounter eröffnet. Warum bauen die immer eingeschossig, warum bauen die nicht noch drei oder vier Etagen mit Wohnungen in die Höhe? Ich kann mir gut vorstellen, dass gerade ältere Leute gerne über einem Supermarkt wohnen würden. Wir müssen auch kleinere Städte zu attraktiven Standorten zu machen. Es geht da auch um Kitas, Schulen und Infrastruktur. Baue ich 1.000 neue Wohnungen, weiß ich, wie viele Kita-Plätze ich brauche. Die 100.000 neuen Wohnungen werden nicht alle in Köln oder in Essen entstehen.
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Sie sprechen von attraktiven Standorten. Gerade im Ruhrgebiet gibt es ein erhebliches Gefälle. Nehmen wir mal die Städte Gelsenkirchen, Castrop-Rauxel oder Herne, die gerade von Familien keinen großen Zulauf mehr haben. Was macht man mit abgehängten Städten im Ruhrgebiet, wie will man sie wieder attraktiv machen?
Ich war neulich in Duisburg unterwegs, in Ruhrort und Hochfeld. Zwei Stadtteile, die vom Strukturwandel extrem betroffen sind. Ruhrort will jetzt nicht nur klimaneutral sein, sondern auch umweltneutral. Das schafft Attraktivität. Und Hochfeld hat eine hochattraktive Lage zwischen Innenstadt und Rhein. Man will jetzt den Gewerberiegel abreißen und eine Gartenausstellung einrichten, sodass der Stadtteil näher an den Rhein geführt wird. Wir treten dafür an, Stadtteile attraktiver zu machen. Hierzu müssen wir die Kommunen in die Lage versetzen: Im Großen, indem wir eine Altschuldenlösung finden, und im Kleineren, beispielweise durch die stärkere Unterstützung bei der Beseitigung von Schrott- und Problemimmobilien.
Die Innenstädte veröden, das ist gerade im Ruhrgebiet sichtbar. Viele alteingesessene Läden schließen, Kaufhäuser bleiben leer. Wie wollen Sie denn die Innenstädte wieder attraktiv für Unternehmer machen, dass es sich auch für sie lohnt, sich hier anzusiedeln?
Um gegen den Internet-Handel eine Chance zu haben, müssen wir Innenstädte zu Wohlfühl- und Freizeitoasen weiterentwickeln, müssen mehr Kultur und Gastronomie, aber auch mehr Arbeit wie Büros in die Innenstädte holen. Was wir vermeiden müssen, ist der Leerstand. Es geht um Aufenthaltsqualität, um das Eiscafé, um den Biergarten, um die Flaniermeile.
++ Zum ersten Teil des Interviews mit Thomas Kutschaty geht es hier! ++