„Bürger fragen, Politiker antworten“: Das ist der Kerngedanke des Internetportals „Abgeordnetenwatch“. Ob dieses Angebot künftig auch in Essen startet, will Oberbürgermeister Reinhard Paß jetzt mit den Fraktionen klären. Nicht alle sind begeistert.
Essen.
Wie stehen Sie zu den Planungen die neue Polizeiausbildung, die Hundertschaft … nach Rüttenscheid zu verlegen? Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Verbraucherprobleme in Essen und was würden Sie als Oberbürgermeister zur Verbesserung des Verbraucherschutzes tun? Wie stehen Sie zum Ausbau der A 52? – Fragen wie diese musste sich Reinhard Paß vor drei Jahren stellen lassen. Und auch seine Kontrahenten im (Wahl-)Kampf ums Rathaus – öffentlich über das Internetportal www.abgeordnetenwatch.de.
„Bürger fragen, Politiker antworten“ ist der Kern des Portals, das 2004 vom Hamburger Verein Parlamentwatch als „virtuelles Wählergedächtnis“ ursprünglich nur für die Hamburgische Bürgerschaft entwickelt wurde. Doch weil es so gut beim Bürger ankam, können seit 2006 ebenso Parlamentariern im Deutschen Bundestag und seit 2010 NRW-Landtagsabgeordneten Fragen gestellt werden. Die dann öffentlich im Internet beantwortet werden. Für die kommunale Ebene gibt es Abgeordnetenwatch erst seit vergangenem Jahr. 46 Städte und Gemeinden (darunter Leverkusen, Köln, Bonn, Wuppertal und Mönchengladbach) beteiligen sich – mehr oder weniger freiwillig – am virtuellen Wählergedächtnis. Und bald womöglich ebenfalls die Stadt Essen und ihr Stadtrat.
Reinhard Paß reagiert prompt
Auf die NRZ-Anfrage, ob Abgeordnetenwatch vielleicht auch für den Dialog zwischen den Essener Bürgern, ihrem Stadtrat und Oberbürgermeister förderlich sei, reagiert Reinhard Paß prompt: „Wir gehen nun umgehend auf die Fraktionen zu. Es wird noch zu prüfen sein, ob ein Ratsbeschluss sinnvoll oder erforderlich ist, um im positiven Fall die größtmögliche Unterstützung zu erhalten.“ Denn er erinnert sich noch gut an jene sieben
Bürgerfragen, die er im OB-Wahlkampf bekam und beantwortete. „Leider hat Abgeordnetenwatch diese Kommunikationsmöglichkeit nach der Wahl eingestellt. Dass nun die vollständigen Räte berücksichtigt werden können, war mir bis dato nicht bekannt.“ Als Angebot einer weiteren Dialogmöglichkeit sei das Portal vom Grundsatz her völlig okay. „Der direkte, also persönliche Kontakt mit dem Bürger ist mir deutlich lieber“, betont Paß.
Eine Mail an alle Mitglieder des Stadtrats
In einer E-Mail an alle 82 Mitglieder des Stadtrats , die der NRZ vorliegt, bittet Stadtsprecherin Nicole Mause um ein Meinungsbild, gerade im Hinblick auf die zeitliche Belastung für die Politiker. Denn: Anders als Abgeordnete im Land und Bund sind sie keine Berufspolitiker mit eigenen Mitarbeitern; die Ratsleute stemmen als Ehrenamtliche alles selbst. Als Chef der Linksfraktion weiß Hans Peter Leymann-Kurtz das nur zu gut. Er hat bereits als Bundestags- und OB-Kandidat erste Erfahrungen mit Abgeordnetenwatch sammeln können: „Das Portal nimmt einen schon sehr in Anspruch. Denn wenn man sich beteiligt, muss man zeitnah antworten.“ Obgleich er „schon alleine wegen der Transparenz“ mitmachen will, sieht er Abgeordnetenwatch eher kritisch. „Denn eigentlich ist der Name schon ein formalisierter Misstrauensbeweis. Ich hab’ nichts zu verbergen; bei mir gibt es nichts zu ,watchen’“, betont Leymann-Kurtz. Telefonisch und via E-Mail sei er schließlich gut erreichbar. „Und wer mich im Supermarkt trifft und eine Frage hat, darf mich auch gern’ ansprechen.“
Kein Ratsbeschluss notwendig
Für Roman Ebener, bei Parlamentwatch zuständig für die kommunale Ebene, gilt dieser Einwand nicht. Denn Städte und Gemeinden hätten nicht mitzuentscheiden, ob das Internetportal ihre Politiker unter die Lupe nimmt. „Die Frage, ob Abgeordnetenwatch gewollt ist, oder nicht, wird nicht gestellt“, sagt der gebürtige Essener. Eine Verpflichtung, auf Fragen zu antworten, gibt es nicht. Es komme einzig aufs Bürgerengagement an, denn jeder könne dafür sorgen, dass Abgeordnetenwatch in der Stadt Essen an den Start geht. Dazu müsse nur eine Tabelle mit den öffentlich zugänglichen Daten der Ratsleute ausgefüllt und nach Hamburg geschickt werden. „Ein Ratsbeschluss ist dafür nicht notwendig“, so Ebener.
Wenn das Portal erst einmal seinen Blick auf Essen lenke, ist sich Ebener sicher, würden die Ratsleute schon mitmachen. Denn: „Der öffentliche Dialog schafft Transparenz und sorgt für eine Verbindlichkeit in den Aussagen der Politiker.“
Strategieprozess „Essen.2030“
Mit Bürgern in Kontakt treten, ist auch beim Strategieprozess „Essen.2030“ Thema. „Wir bieten in Kürze eine eigene Internetplattform für die Kommunikation mit den Bürgern an“, so Paß. Abgeordnetenwatch sei als zusätzliche Plattform zu sehen. Da bleibt nur abzuwarten, wer schneller ist – die Verwaltung mit „Essen.2030“ oder der Bürger mit einer plumpen Tabelle.