In den nächsten zehn Jahren muss die Evag über 400 Millionen Euro in den Schienenverkehr investieren. Doch bis heute gibt es keine Förderung.
Essen.
Nicht mal sechs Richtige im Lotto könnten die Evag aus der Misere bringen. 200 Millionen Euro müsste sie in den nächsten sieben Jahren für den barrierefreien Ausbau ihrer oberirdischen Haltestellen investieren, wie es der Gesetzgeber vorschreibt. Noch mal 405 Millionen Euro sind bis 2025 für den Schienenverkehr mit allem drum und dran nötig. In diesem Kostenblock ist nicht mal die Zugsicherung in zweistelliger Millionenhöhe drin, die spätesten 2028 installiert werden muss, um den U-Bahn-Verkehr weiter aufrecht erhalten zu können. Die spannendste Frage ist: Von wem kommt das Geld? Oder bleibt in Zukunft die U-Bahn auf dem Abstellgleis stehen?
Die Stadt selbst ist klamm. Und die Geldhähne von Bund und Land werden Jahr für Jahr ein Stück weiter zugedreht, vor allem 2017 und 2019. „Wir müssen aber wissen, was künftig förderfähig ist – und was nicht“, erklärt Volker Rayen, VIA-Stababteilungsleiter für das Zuwendungsmanagement. Allein mit einem Blick in die Glaskugel kann er nicht seriös rechnen und kalkulieren. Er braucht klare Vorgaben.
Die Nullen vor dem Komma
Evag-Sprecher Nils Hoffmann fürchtet gar, dass eines – wenn auch fernen Tages – keine U-Bahnen mehr fahren können, weil schlicht das Geld für den Erhalt der Tunnelstrecken fehlt. Hätte man damals schon gewusst, dass es bis heute für die Instandsetzung keine Zuschüsse gibt, wäre so manche U-Bahn-Linie möglicherweise gar nicht gebaut worden.
Das Problem jetzt sind die Nullen vor dem Komma. Volker Rayen hat die Investitionsliste für den Schienenverkehr bis 2025 auf einen DIN-A-Zettel aufgelistet:
- 162 Millionen Euro allein für die Streckenerneuerung, darunter 43 Millionen für neue Signale.
- 64 Millionen Euro für die Stationen, darunter 21 Millionen für die Rolltreppen und Aufzüge und 25 Millionen für die Ausstattung.
- 33 Millionen Euro für Abstellanlagen, Werkstätten und die Betriebsleitzentrale.
- 29 Millionen Euro für Nachrüstungen, davon 16 Millionen für den Brandschutz.
- 118 Millionen Euro für neue Schienenfahrzeuge.
Doch all diese Zahlen stehen auf dem Papier. „Nur mit Eigenmitteln können wir das nicht bezahlen“, gibt Rayen zu bedenken.
Nils Hoffmann nennt ein Beispiel: Ab 2025 sollen die 45 neuen U-Bahnen ausgeliefert werden. „Die müssen wir bald bestellen“, betont er. Aber ohne Zuschüsse geht das nicht. Der größte Fördertopf, der über das ÖPNVG geregelt wird, läuft 2017 aus. „Wir wissen nicht, wie es weiter gehen soll. Es muss eine Anschlussfinanzierung geben“, betont Markus Troska vom Via-Zuwendungsmanagement.
Letzter Vorstoß aus der Politik
Für den Ausbau der Betriebshöfe Stadtmitte und Schweriner Straße, gibt es mittlerweile auch keinen Cent aus den Fördertöpfen mehr. Das gleiche gilt für die barrierefreien Haltestellen. Für den Förderkatalog 2015 und 2016 wurden seitens der EVAG die Haltepunkte Herzogstraße, Essen-West, Landgericht, Klinikum, Kronprinzenstraße, Weserstraße und Dinnendahlstraße angemeldet. In wie weit eine Aufnahme in den Förderkatalog erfolgen wird, entscheidet der Verkehrsverbund VRR in den kommenden Wochen. Und danach? Schulterzucken.
In den letzten Tagen ist die Politik noch schnell auf den Zug gesprungen, weil sie sich eine Scheibe von der Torte aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz abschneiden will, um an die 90-prozentigen Zuschüsse für fertiggestellte neue Bahnstrecken heranzukommen. Doch der Verkehrsminister räumt 2019 den Tortenteller ab, Die Essener SPD-Ratsfraktion drängt nun, die Planung für die Verlängerung der Linie 101 durch den nördlichen Krupp-Gürtel mit Anschluss an das Stadion Essen sowie in anderer Richtung von der Frohnhauser Straße über Hachestraße zum Hauptbahnhof voranzutreiben.
Planung und Realisierung
Und Wolfgang Freye von der Fraktion Die Linke fordert: „Die Verwaltung sollte alles tun, um noch Fördermittel des Bundes für den Ausbau der Linie 101 in Anspruch nehmen zu können.“ Deshalb startet er eine Anfrage in der nächsten Sitzung des Planungsausschusses im Rathaus. Sie kommt zu spät. Hinsichtlich der Linie 101 ist der Zug abgefahren. Schon deshalb, weil man für die Planung und Realisierung solcher Großprojekte etwa zehn Jahre benötigt.
Das wird die Essener Verkehrspolitiker ärgern, sobald ihnen dass klipp und klar gesagt worden ist. Nach Ansicht von Wolfgang Freye wäre das „verheerend“, ist die Straßenbahn doch das „sinnvollste Instrument des ÖPNV.“ „Es kann nicht angehen, dass die Bundesregierung sich aus der Förderung von Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr ab 2019 zurückzieht“, kritisiert Wolfgang Freye.
Es muss endlich Geld bereitgestellt werden
Auch die Evag schaut nach Berlin. Nils Hoffmann: „Wir sollen die Mobilität sicherstellen. Dazu brauchen wir langfristig Planungssicherheit. Die ist im Moment nicht gegeben. Wir wollen aber keine Überraschungen und keine Perspektivlosigkeit in der Finanzierung.“
Deshalb erhielt die Bundesregierung einen Forderungskatalog vom Verein Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), den das Essener Verkehrsunternehmen in jedem Punkt voll unterstützt: Berlin soll auch nach 2017 beziehungsweise 2019 weiter Zuschüsse für den ÖPNV zahlen und zwar „nach oben angepasst“ – weil der Bedarf und die Kosten inzwischen deutlich gestiegen sind. Und: Es muss endlich Geld für die Erneuerung der U-Bahnstrecken bereitgestellt werden.
In Essen sind die meisten Anlagen schon über 40 Jahre alt.