Bau- und Umweltdezernentin Simone Raskob über ihre Erfolge und Sorgen, ihre Bauphilosophie und die künftigen Herausforderungen
Essen.
Frau Raskob, Sie starten in Ihre zweite Amtszeit als städtische Dezernentin für Bauen und Umwelt. Die ersten acht Jahre waren geprägt von enormer Bautätigkeit in Essen.Simone Raskob: Vielleicht wird man mal von goldenen Jahren der Stadtgeschichte sprechen. Im März 2006 gab Thyssen-Krupp bekannt, dass man nach Essen zurückkehrt, eine Jahrhundertentscheidung, die auch andere Entwicklungen angestoßen hat. Vier Wochen später fiel die Entscheidung Kulturhauptstadt – auch eine historische. All das führte dann zum Bauen in großer Dimension: Neubau des Museums Folkwang – auch gekoppelt mit dem Ruhrmuseum auf Zollverein -, Sanierung Alte Synagoge, Haus der Essener Geschichte.
Sie trugen als Baudezernentin die Verantwortung?
Raskob: So ist es. 2009 kam dann das Konjunkturprogramm II dazu – 70 Millionen Euro in Essen unter der Bedingung, dies schnell umzusetzen. Das alles zeitgleich hinzubekommen, war eine Herausforderung. Wo wir als Stadt nicht genug getan haben, ist die Sanierung der stadteigenen Gebäude und der Infrastruktur, etwa der Straßen. Das ist eine Aufgabe, die ich mir für die Zukunft vorgenommen habe. Dazu gehört auch, Gebäude aufzugeben, die nicht mehr gebraucht werden. Das sollte künftig schneller gehen.
Bei der Straßenunterhaltung scheint der Kampf gegen den Zahn der Zeit verloren zu gehen.
Raskob: Die Gefahr besteht. Der Rat hat uns jüngst aber immerhin zusätzlich fünf Millionen Euro jährlich für die Sanierung bewilligt. So können wir die weitere Verschlechterung des Straßennetzes aufhalten. Eine deutliche Verbesserung schaffen wir allerdings auch damit nicht.
Wieviel Kilometer Straße hat Essen?
Raskob: Wir haben 1600 Kilometer, und es werden – anders als bei den Gebäuden – eher mehr als weniger. Denken Sie an den Berthold-Beitz-Boulevard oder die beschlossene neue Anbindung der Frillendorfer Gewerbegebiete an die A 40. Da kriegen wir noch mal richtig Zuwachs.
Die Infrastruktur für Bus und Bahn macht wohl ebenfalls wenig Freude.
Raskob: Das ist ein Sorgenkind. Hier geht es um einen Bedarf von 300 Millionen Euro bis 2020 – nur um den Bestand zu halten. Wir brauchen neue Bahnen, wir müssen in die Tunnelanlagen und die Sicherheitstechnik investieren und vieles mehr. Wir brauchen dafür Bundes- und Landesmittel, die bislang nur bei Investitionen fließen, nicht aber für Sanierungen. Das halten wir für falsch.
Essens Zukunft
Was ist von extremen Ideen zu halten, die U-Bahntunnel zuzuschütten und wieder oberirdisch zu fahren?
Raskob: Das dürfen und können wir nicht. Erstens sind die U-Bahntunnel für den Bestand der US-Lease-Transaktion von elementarer Bedeutung. Zweitens ist es auch stadträumlich gar nicht überall möglich, Stadt- und Straßenbahnen wieder an die Oberfläche zu holen.
Formulieren Sie doch einmal Ihre Vision für Essens Zukunft.
Raskob: Die grüne Stadtentwicklung ist der Schlüssel für eine lebenswerte, attraktive und auch wachsende Stadt. Wir haben am Niederfeldsee in Altendorf, im Univiertel mit dem zuvor gebauten Park und auch mit dem Krupp-Park Lagen geschaffen, die für Wohnungsbau attraktiv sind. Davon brauchen wir mehr, um Berufspendler für Essen zu gewinnen. Es ist nicht attraktiv zu schrumpfen, ich stehe zum Leitbild der wachsenden Stadt
Also ein Ja zu neuen Wohngebieten, deren Bau oft strittig sein wird?
Raskob: Das ist richtig. Wir als Stadtverwaltung hatten im Flächennutzungsplan erheblich mehr Wohnbauflächen vorgestehen, die dann in der politischen Diskussion nicht durchsetzbar waren.
Da müssten Sie aber auch im Milieu derjenigen Partei Überzeugungsarbeit leisten, von der es heißt, dass sie ihr nahestehen: den Grünen.
Raskob: Ja. Gescheitert ist das in den Bezirksvertretungen, also in der Stadtteilpolitik. Manches kriegt man eben nur von oben nach unten durchgesetzt. Wir als Stadt – Rat und Verwaltung – müssen das gesamtstädtische Interesse wahren. Die Einstellung „Wohnungsbau ja, aber bitte nicht vor meiner Haustür“ funktioniert nicht.
Erweiterung der Messe
Mehr für die Messe? „Undenkbar“
Auch so ein Sorgenkind: die Messe. Für die Ertüchtigung gab es einen Ursprungsvorschlag, der ein Stück Gruga gekostet hätte, aber dafür erheblich preiswerter war. Haben Sie eigentlich damals dafür geworben?
Raskob: Das habe ich. Die Variante der kleinen West-Erweiterung war aus meiner Sicht in der Tat städtebaulich und stadtplanerisch vertretbar, wir sind aber gescheitert am Widerstand der Grugaparkfreunde und Teilen der Politik. Ich muss allerdings zugeben, dass die jetzt bevorzugte „große Lösung“ und das Ergebnis des Architektenwettbewerbs für die Gruga die verträglichere Variante ist.
Leider ist es auch die deutlich teurere, und es mehren sich Befürchtungen, dass das Geld für so viel Neubau gar nicht reicht.
Raskob: Der Rat hat eine klare Deckelung beschlossen. Die Frage, ob das Geld reicht, muss die Messe beantworten. Eine Öffnung nach oben scheint mir undenkbar.
Das Messehaus Ost soll fallen. Wie schätzen Sie den Bauzustand ein?
Raskob: Die Räume sind in einem guten baulichen Zustand, aber sie haben kein Tageslicht, was für Kongressnutzung heute offenbar schwierig ist. Und ich persönlich halte auch architektonisch den Auftritt der Messe an dieser Stelle für optimierbar. Genau das ist nun vorgesehen.
Sie sind auch Erste Werkleiterin von Grün und Gruga und für die schwierige Finanzierung der Gruga verantwortlich. Kann die erfolgte Gründung des Stiftungsvereins helfen, den Gruga-Standard zu halten?
Raskob: Erst mal freue ich mich, dass uns das gelungen ist. 50 Essener Bürger haben sich im Vorfeld in Expertengruppen die Samstage um die Ohren geschlagen, das ist vorbildlich. Dann hat der Rat das Parkentwicklungskonzept einstimmig angenommen, das 28 Maßnahmen für insgesamt 8,3 Millionen Euro vorsieht, unter anderem den fernöstlichen Garten. Und hier kommt nun der Stiftungsverein ins Spiel, der auch privates Geld aktivieren soll.
Und die Stadt macht nichts?
Raskob: Doch. Der Rat hat beschlossen, für das Jahr 2014 zusätzlich 250 000 Euro für die Gruga bereitzustellen mit der Zielsetzung, diese Mittel für den Zeitraum von 2015 bis 2020 zu verstetigen. Das ist das politische Signal an den Stiftungsverein: Ihr müsst nicht alles alleine machen.
Gruga-Entwicklung
Was, wenn die Stiftungsmitglieder andere Vorstellungen zur Gruga-Entwicklung haben als Sie?
Raskob: Wer Menschen einlädt mitzureden, muss dann auch schauen, wie er die Meinungen und Ideen unter einen Hut bekommt. Der Stiftungsverein ist jedenfalls völlig unabhängig – es gibt zwei natürliche Mitglieder aus dem politischen Raum, den Vorsitzenden des Umweltausschusses und die Erste Werkleiterin von Grün und Gruga in meiner Person. Ansonsten ist die Politik kaum vertreten, was im Vorfeld nicht nur für Begeisterung gesorgt hat.
Eine Ihrer Aufgaben ist das Management von Konflikten rund um Umwelt- und Landschaftsschutz. In Schönebeck wollen Sie sogar einen Buchenwald einzäunen, um Menschen draußen zu halten. Kann das ein richtiger Weg sein?
Raskob: Meine Leute sagen, ja, wir brauchen diesen Zaun, weil uns die Dirtbiker den Wald kaputt machen und wir uns anders nicht zu helfen wissen. Wir können da schließlich nicht Streife gehen.
Die Stadt versuchte sich hinter einem OLG-Urteil zu verschanzen, in dem es nur um Haftungsfragen ging. Das ging schief, weil der Bundesgerichtshof es korrigierte.
Raskob: Das Urteil des Bundesgerichtshofes betrifft das Buchenwäldchen nur sehr bedingt. Von Anfang an sollte der Zaun nicht nur die wirtschaftlichste Form der Verkehrssicherheit darstellen, sondern das Buchenwäldchen vor Übernutzung schützen und damit im Bestand erhalten.
Sind wir nicht generell etwas zu ängstlich, wenn es um Wald und Bäume und die Verkehrssicherheit geht? Wer nach draußen geht, muss damit rechnen, dass die Natur ein gewisses Eigenleben führt.
Raskob: Im Wald muss man mit Risiken sicherlich leben. Aber in Essen drehte sich die Diskussion vor allem um Bäume an Straßen und Schulhöfen. Und da sind wir als Stadt einfach in der Pflicht, die Sicherheit so weit wie möglich zu garantieren. Es war beispielsweise richtig, die Hybrid-Pappeln wegzunehmen, das haben die Untersuchungen der Stämme ergeben. Für die Verkehrssicherung der Platanen, also um zwei, drei Mal pro Jahr mit dem Hubsteiger nachzuschauen, ob alles in Ordnung ist, haben wir 1,9 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich bekommen.
EU-Projekt „Grüne Hauptstadt“
Unter Kostengesichtspunkten erscheint das in einer armen Stadt durchaus übertrieben.
Raskob: Die Alternative wäre die Säge, und da möchte ich mal sehen, was dann los wäre in der Stadt. Wir haben als Stadt nun mal 180.000 Bäume außerhalb der Wälder in der Verkehrssicherungspflicht, bis zu 90.000 stehen an Straßen, und davon sind 30 Prozent Platanen, etwa an der Ruhrallee oder Barkhovenallee. Die krankheitsanfälligen Platanen sind eine Folge der Nachkriegszeit, damals sollte es schnell gehen mit dem Wachstum. Jetzt sind diese Bäume ins Alter gekommen.
Haben wir vielleicht generell zu viele Bäume in der Stadt? Viele verdecken doch durchaus Sehenswertes.
Raskob: Das sehen wir auch durchaus differenziert. Beispiel Edmund-Körner Platz: Zwischen Alter Synagoge und Altkatholischer Kirche haben wir erst den Jahrhundertbrunnen saniert und dann drei der vier großen, alten Bäume weggenommen. Es gab zwar Riesentheater, aber das Ergebnis finde ich richtig. Wir haben allerdings auch neue, kleinere gepflanzt, denn nur Wegnehmen kann es ja auch nicht sein. Auch am Burgplatz haben wir die Blickbeziehungen Richtung Dom und Baedekerhaus verbessert, indem wir Bäume gefällt haben.
Eines Ihrer aktuellen Vorhaben ist die Bewerbung für das EU-Projekt „Grüne Hauptstadt“. Der Versuch, regional aufzutreten, war kein Erfolg, weil die EU die Bewerbung von Städten vorschreibt.
Raskob: Das stimmt. Aber Essen steht auch allein für eine Bewerbung zur Verfügung, das hat der Rat beschlossen. Ich sehe für 2016 Chancen.
Solche Projekte wirken oft bürokratisch und blutleer. Wie lässt sich das Thema Grüne Hauptstadt mit Bildern aufladen, mit Emotionen?
Raskob: Ein Traum von mir ist das Thema Baden in der Ruhr und im Baldeneysee. Da läuft ja derzeit das bundesweite Forschungsprojekt der Wasserverbände, das Aufschluss über mögliche gesundheitliche Gefahren geben soll. Es geht dabei natürlich nicht nur um Freizeitspaß, sondern auch um sauberes Wasser, was ein wichtiges Kriterium bei der Ausschreibung zur Grünen Hauptstadt sein wird.
Weitere Projekte
Gibt’s noch weitere Vorhaben?
Raskob: Ja, es gibt ein zweites Thema, das ich ebenfalls als sehr emotional und werbewirksam ansehe: Wir wollten ja schon im Kulturhauptstadtjahr den Schacht unter dem Doppelbock-Turm der Zeche Zollverein für Besucher und Touristen öffnen – das scheiterte an Bedenken der RAG. Im Rahmen der Grünen Hauptstadt würde ich gerne einen zweiten Anlauf unternehmen, verbunden mit innovativen Ideen, wie etwa zur Geothermie, der energetischen Verwertung von Grubenwasser oder Pilotprojekten zum Thema „Pumpspeicherkraftwerke“.
Essen ist inzwischen vor allem dank der vielen umgebauten Bahntrassen auch eine Radfahrstadt geworden. Gibt es noch Projekte größerer Art oder war’s das?
Raskob: Es stimmt, wir haben rund 50 Kilometer Radwege um-, aus- oder neugebaut. Vor allem auf alten Bahntrassen, aber durchaus auch entlang der Straßen. Das Gerüst steht, jetzt geht es im Wesentlichen um Lückenschlüsse. Mit finanzieller Hilfe des Regionalverbands Ruhr bauen wir derzeit Richtung Borbeck den Abzweig von der Rheinischen Bahn.
Wie geht’s weiter bei der „Rad-Autobahn“ durchs Ruhrgebiet?
Raskob: Wir wollen die Rheinische Bahn nach Osten in Richtung Bochum fortsetzen, um diesem Ziel näherzukommen. Auch solche Projekte helfen übrigens, damit wir für 2016 eine Chance haben, Grüne Hauptstadt Europas zu werden.