Essen.
Am ersten Prozesstag im Medikamenten-Skandal um den Bottroper Apotheker Peter S. ging es vor allem um eins: Anträge, Stellungnahmen und viele bürokratische Hürden. Über eines wurde gar nicht gesprochen: Die Opfer. Sie wurden in der Anklageverlesung als Fallnummer erwähnt.
DER WESTEN hat sich mit eines der Opfer unterhalten. Christiane Piontek ist Mitglied einer durch das Schicksal verbundenen Gruppe, sie nennen sich die „Onko-Girls“. Denn sie alle haben sich bei der Chemotherapie kennengelernt, hatten immer zur gleichen Zeit ihre Sitzungen.
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Am Anfang waren sie zu zehnt. Mittlerweile sind fünf von ihnen tot. Dahin gerafft vom Krebs, der kein Erbarmen kannte. Die Jüngste der Gruppe war gerade mal 28 Jahre alt, als sie starb.
Und sie alle waren in Behandlung bei Peter S.
Christiane Piontek wusste nicht, dass sie zu den Opfern gehört
„Ich wusste nicht, dass ich zu den Opfern gehöre. Ich hatte zuvor noch nie eine Chemo machen müssen. Ich hatte die typischen Symptome, die Haare sind mir ausgefallen und mir war öfter ziemlich übel. Aber ich habe auch in meiner Wohnung die Wände gestrichen, weil es mir nicht so schlecht ging. Aber woher sollte ich wissen, ob das immer so bei einer Chemo ist oder doch heftiger sein müsste?“
Christiane Piontek hatte Brustkrebs. Sie hat erst durch die Mitteilung der Stadt Bottrop davon erfahren, dass sie zu den Opfern des mutmaßlichen Medikamenten-Pfuschers gehören könnte.
Ob sie zwischenzeitlich gar keine Medikamente durch Peter S. bekam oder nur mit geringerem Wirkstoff behandelt wurde, weiß sie nicht. In der Anklage ist sie eine Fallnummer. Und es ist zu lesen, dass Peter S. meistens zumindest geringe Wirkstoffmengen in die Infusionsbeutel gegeben haben soll. Sonst wäre es zu sehr aufgefallen, dass viele Patienten keine Nebenwirkungen der Chemo gehabt hätten, so die Staatsanwaltschaft.
Fünf ihrer Freundinnen sind mittlerweile tot
Für fünf ihrer Freundinnen kommt sie zu spät, die Erkenntnis, dass an ihren Medikamenten gepfuscht wurde, sie möglicherweise sogar nur Placebos bekommen haben.
„Ich habe meiner Freundin gesagt, sie soll kämpfen für ihr Recht. Aber da war sie schon zu schwach. Sie ist kurz nach der Veröffentlichung des Skandals gestorben“, erzählt Christiane Piontek und kämpft mit den Tränen. Ihre Freundin, sie war 28 Jahre alt, als sie im Dezember 2016 starb.
Die „Onko-Girls“ sind mittlerweile mehr als nur Leidensgenossinnen. Sie sind Freundinnen und Nebenklägerinnen im Fall gegen Peter S., und kämpfen gemeinsam für ihre Recht. Ihnen geht es nicht um Zahlen und die entstandenen Sachschäden bei dem Pfusch.
Hinter jeder Zahl stehe ein Mensch
„Hinter jeder Zahl steht ein Mensch. Wieso zählt das nicht, sondern nur das Geld? Ich verstehe es einfach nicht“, so Piontek und spielt damit darauf an, dass das Verfahren „nur“ auf Betrug und Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz lautet. In ihren Augen war es Mord.
Peter S. sitzt während des Prozesses regungslos zwischen seinen vier Anwälten, kauert sich auf dem Stuhl zusammen. Er hat ein freundliches Gesicht, eine sympathische Ausstrahlung. Niemand würde auf die Idee kommen, dass dieser Mann in 61.980 Fällen Medikamente gepanscht haben soll. Niemand würde auf die Idee kommen, dass dieser Mann leichtfertig mit dem Schicksal von Menschen gespielt hat.
Christiane Piontek hat den Krebs besiegt, sie gilt aber noch als kritische Risiko-Gruppe. Das Rückfallrisiko ist derzeit noch erhöht. Für manch andere kam jede Hilfe zu spät. Und für diese Frauen und Männer kämpfen die „Onko-Girls“. Damit so etwas nie wieder passiert.
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