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Kopfschütteln über Schließungspläne für Stadtteilbibliotheken

Kopfschütteln über Schließungspläne für Stadtteil-Büchereien

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Foto: WAZ FotoPool
Drei von 15 Stadtteil-Büchereien stehen auf der Kippe. Schon wie da sozusagen im Vorübergehen Einrichtungen geopfert werden sollen, deren Wichtigkeit man in den Zeilen zuvor noch wortreich betont, lässt einen kopfschüttelnd zurück – ein Kommentar von Wolfgang Kintscher, Leiter der NRZ-Stadtredaktion Essen.

Essen. 

Anmerkungen zum Stadtgeschehen – ein Kommentar von Wolfgang Kintscher, Leiter der NRZ-Stadtredaktion Essen.

Nicht wahr, das wird Sie jetzt nicht wirklich überraschen: Wir bei der NRZ mögen das gedruckte Wort, und das nicht nur, weil wir davon leben. Wir lieben Geschichten, und wir werben fürs Lesen, weil wer liest die Welt verstehen lernt: seine eigene vor der Haustür und den ganzen gigantischen Kosmos des Lebens dahinter.

Wer liest, lernt dazu, und wer versteht, dem steht die Welt offen. Und wenn wir uns auch dem digitalen Zeitalter nicht verschließen, ganz und gar nicht, so glauben wir als Journalisten doch fest daran, dass die gedruckte Zeitung oder Zeitschrift genauso wie das Buch mit seinen papiernen Seiten („Analog-Buch“!?) eine ganz besondere Lesekultur fördert. Eine, die im schier unerschöpflichen digitalen Buchstaben-Strom Inseln der Entschleunigung schafft.

Abenteuer Lesen

Gut sortierte Stadtteilbibliotheken verknüpfen diese beiden Welten kongenial miteinander. In einer Zeit, da es nie leichter war, sich permanenter passiver Medienberieselung auszusetzen, laden sie dazu ein, das Abenteuer Lesen zu wagen („Schock’ Deine Eltern, lies ein Buch…“) – und öffnen sich gleichzeitig als Anlaufpunkt für den digitalen Zugriff via Internet und E-Book.

Dass sich im Netz der unbegrenzten Möglichkeiten genügend Schund und Stuss finden, um sein Leben lang ein Bildungsbrett vor dem Kopf zu behalten, versteht sich von selbst, und wer schon mal versucht hat, mit pubertierenden Jugendlichen über die Abgründe zu diskutieren, die sich zwischen einem spannenden Roman und dem Gespanne bei RTL II auftun, der ahnt: Die Lust am Lesen weckt man am besten im Kindesalter, und am besten mit einem Angebot, das den Nutzern weitestmöglich entgegenkommt.

Entsetzen über die Kulturverwaltung

Und deshalb muss einen entsetzen, dass die Kulturverwaltung genau an dieser Stelle sparen will. Drei von 15 Stadtteil-Büchereien stehen auf der Kippe, nein, mehr: Sie sollen „zum nächstmöglichen Zeitpunkt geschlossen“ werden. Schon wie da sozusagen im Vorübergehen Einrichtungen geopfert werden sollen, deren Wichtigkeit man in den Zeilen zuvor noch wortreich betont, lässt einen kopfschüttelnd zurück. Noch absurder wird’s allerdings, wenn man in die Anlagen des Sparpapiers für den Kulturausschuss schaut: Da heißt es etwa über die Bücherei in Stoppenberg, „die Sozialstruktur des Stadtteils weist die Bevölkerung als nicht ausgeprägt bibliotheksfreundlich aus“. Und auch in Kray beklagt man „die sich verschlechternde Sozialstruktur und damit einhergehende wenig ausgeprägte Bibliotheksaffinität“.

Verstehen wir das richtig: Die Kulturverwaltung kapituliert vor den sozialen Verhältnissen und gibt die Stadtteile quasi bildungstechnisch verloren? Obwohl allerorten immer wieder betont wird, dass Bildung der Schlüssel dazu ist, Armut (= schlechte Sozialstruktur) zu vermeiden? Glaubt eigentlich irgendjemand, die Lage ließe sich verbessern, indem man die Leserschar (deren Ausleihen in den betroffenen Bibliotheken übrigens binnen elf Jahren um bis zu 100 Prozent gestiegen ist) ihres ortsnahen Angebots beraubt und sie auf weiter entfernt liegende Bibliotheken verweist? Und was sagt eigentlich der Sozialdezernent zu einer solchen Bankrotterklärung seines Beigeordneten-Kollegen von der Kultur?

Sonntagsreden müssen ernst genommen werden

Es wäre jetzt an der Politik, ihre eigenen Sonntagsreden von Bildungsoffensiven und frühkindlicher Förderung ernst zu nehmen und wenigstens den Bibliotheken als niederschwelligen Anlaufstellen eine Überlebensgarantie zu geben. Das muss nicht zwangsweise der exakt gleiche Standort sein, weil ja die Erkenntnis, derzeit auf geringe Resonanz zu stoßen, auch zu einem Ausbau des Angebots führen könnte. Schon klar: Dafür muss man die rigorose Sparvorgabe an dieser Stelle aufweichen, aber vermiedene soziale Folgekosten dürften da Argument genug sein.

Falls die Politik sich windet, läge die Hoffnung auf dem geplanten Bürgerbegehren.

Meine Stimme haben sie.