Die Grünen in Essen wollen nach dem Bürgerentscheid in Münster weitere historische Figuren auf den Prüfstand stellen – jedenfalls wenn der Konflikt um Von-Seeckt- und Von-Einem-Straße in ihrem Sinne ausgeht. Dann könnte auch die Hindenburgstraße einen neuen Namensgeber bekommen.
Essen.
Erwin Dickhoff hat das Elend kommen sehen. „Wir müssen“, schrieb er 1979 in seinem Essener Straßennamenlexikon, „die Namen so nehmen wie sie sind: als Zeugnisse ihrer Zeit, wobei wir uns nur wünschen können, dass die Benennungen der Gegenwart Gnade vor den Augen späterer Generationen finden werden“.
Nun, dieser Wunsch des jüngst verstorbenen anerkannten Hobby-Historikers hat sich nicht erfüllt. In vielen Städten werden Straßennamen angefochten, jedenfalls sofern sie Namen von historischen Persönlichkeiten tragen, die irgendwie im „rechten“ Spektrum anzusiedeln sind. Eine zeitliche Nähe zum NS-Staat ist dabei keineswegs zwingend. In Essen gerieten schon Kolonialbeamte des Kaiserreichs und preußische Generäle des frühen 19. Jahrhunderts in die Schusslinie.
Beachtliche Beteiligung in Münster
Am Sonntag ergab in Münster ein überregional beachteter Bürgerentscheid, das der bereits nach einem Ratsbeschluss auf Straßenschildern verankerte „Schlossplatz“ nicht wieder seinen alten Namen „Hindenburgplatz“ zurückbekommt. Bilder von städtischen Mitarbeitern, die den ollen Hindenburg wieder anschrauben, wollte man sich mehrheitlich dann doch nicht antun. Die Wahlbeteiligung war mit 40,3 Prozent sehr beachtlich und rund acht Prozentpunkte höher als etwa jüngst bei der Wiederholung der Kommunalwahl in Dortmund. Soviel zum Thema „Haben wir keine anderen Probleme?“, eine Frage, die auch in Essen von Politikern gestellt wurde, die sich darüber echauffierten, dass Bürger über das Für und Wider der Von-Seeckt-Straße und der und der Von-Einem-Straße in Rüttenscheid derart in Rage gerieten. Die Bürger haben aber offenbar eigene Vorstellungen davon, was sie für wichtig erachten.
Auch der Essener Streit um die zwei nach preußisch-deutschen Generälen benannten Straßen wird aller Voraussicht nach erst in einem Bürgerentscheid auf Ebene des Stadtbezirks II beendet – jetzt erst recht. Denn sowohl die Grünen als auch die Initiative „Irmgard und Ortrud“, in der auch der SPD-Fraktionschef der Bezirksvertretung II mitarbeitet, sehen sich nach Münster gestärkt: „Präsentieren wir uns als weltoffene Stadt oder als rückwärtsgewandte, die sich mit Militaristen und Antidemokraten schmückt?“ heißt es in einer Stellungnahme. Essens Grüne gehen noch weiter, unterstellen denen, die die alten Straßennamen behalten wollen, sie böten „freiwillig oder unfreiwillig rechtsradikalen Organisationen eine Plattform“. Und: „Gerade nach dem Umzug der NPD nach Essen können wir nicht noch einen Konflikt gebrauchen, der Essen ein Image als Hochburg von Ewiggestrigen verschafft.“
Initiative „ProVon“ hält dagegen
Ob dieser Versuch, Rüttenscheider Bürger in die rechtsextreme Ecke zu schieben, gelingt, bleibt abzuwarten. Die Initiative „ProVon“ hält jedenfalls dagegen, die Entsorgung ganzer historischer Epochen mitsamt ihrer handelnden Protagonisten sei nicht der richtige Weg mit Geschichte umzugehen. Die Demokratie sei eine zu junge Erfindung, als dass man alle Straßennamenträger daraufhin überprüfen könnte oder sollte, ob sie gute Demokraten gewesen seien. „Wo wollen wir denn da anfangen – vielleicht beim Kaiser-Otto-Platz in Steele?“, heißt es. Der Mann lebte von 912 bis 973 – und war ganz sicher kein Demokrat.
So weit will Grünen-Ratsherr Walter Wandtke, der so etwas wie der geistige Vater der Essener Straßenumbenennungen ist, nicht zurückblicken. Die Hindenburgstraße allerdings will er so schnell wie möglich ebenfalls umbenennen. „Vor drei Jahren haben wir in der zuständigen Bezirksvertretung I dafür weder SPD noch CDU gewinnen können“, sagt er. Man warte nun ab, ob sich das ändere. Admiral Scheer müsse runter vom Straßenschild, weil er im Ersten Weltkrieg den U-Boot-Kampf verschärft hätte, die Dichter Heinrich Lersch und Christoph Wieprecht – beide auf Katernberger Straßenschildern verewigt – attestiert er die Verbreitung von NS-Gedankengut. „Etwa zehn Namen sollten wir ändern“, sagt er. Nagelprobe sei dabei der Streit um Von-Seeckt- und Von-Einem-Straße.