- Bundesweit bürgten Tausende für syrische Flüchtlinge
- Darunter sind bis zu 300 Essener
- Jetzt bittet das Jobcenter sie zur Kasse
- Damit hatten die Flüchtlingsbürgen nicht gerechnet
Essen.
Sie wollten einen gesellschaftlichen Beitrag leisten, jetzt droht Tausenden Flüchtlingsbürgen die Quittung.
Bundesweit haben seit 2013 mindestens 7.000 Menschen eine Bürgschaft für Zuwanderer aus dem syrischen Bürgerkriegsgebiet übernommen – allein bis zu 300 davon stammen aus Essen.
Die Bürgen wollten mit ihrem Beitrag verhindern, dass syrische Familien sich auf die gefährliche Balkanroute oder über das Mittelmeer nach Deutschland begeben müssen. Stattdessen durften die Flüchtlinge mithilfe einer Bürgschaft legal einreisen und Asyl in der Bundesrepublik beantragen.
Flüchtlingsbürgen werden zur Kasse gebeten
In einer Verpflichtungserklärung unterschrieben die Bürgen damals, für den Lebensunterhalt der Flüchtlinge nach deren Einreise aufzukommen.
+++ Essener bürgten für Flüchtlinge – nun verlangt das Jobcenter bis zu 50.000 Euro +++
Allerdings gingen viele Unterzeichner zum Zeitpunkt der Erklärung davon aus, dass keine Forderungen auf sie zukommen. Ein Trugschluss. Wie konnte es zu diesem Missverständnis kommen?
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Das Problem war die ungewisse Rechtslage zum Zeitpunkt der Unterzeichnung. Erst mit Inkrafttreten des Integrationsgesetzes im August 2016 wurde auf Bundesebene klar geregelt, in welchen Fällen die Betroffenen haften müssen.
Bürgen haften für Jobcenter-Leistungen
Grundsätzlich gilt: Ein Flüchtling, der in Deutschland einen Asylantrag stellt, bekommt Zuwendungen auf Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entscheidet dann über den Aufenthaltsstatus.
Wird der Aufenthaltsstatus als Flüchtling anerkannt, erlischt der Anspruch auf Asylbewerberleistungen. Kann ein Flüchtling nicht sofort für seinen Lebensunterhalt sorgen, bekommt er Sozialleistungen vom Jobcenter.
Und da kommen die Bürgen ins Spiel. Sie haben sich verpflichtet, den Lebensunterhalt zu finanzieren. Genau das fordert das Jobcenter jetzt ein.
Integrationsgesetz verändert Rechtsauffassung in NRW
Das Integrationsgesetz stellte die bisherige Einschätzung, offenbar auch die der NRW-Landesregierung, auf den Kopf. In NRW und einigen anderen Bundesländern gingen die Bürgen trotz Verpflichtungserklärung davon aus, dass ihre Haftung mit Ende des Asylverfahrens endet. „Doch das Bundesinnenministerium sieht das anders“, klagt Birgit Naujoks, Chefin des Flüchtlingsrats NRW.
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Und das neue Gesetz gilt rückwirkend. Wer vor 2016 eine Bürgschaft übernommen hat, kann dafür drei Jahre haftbar gemacht werden. Weil die Frist in vielen Fällen in diesem Jahr abläuft, flattert dieser Tage Post bei vielen Bürgen ins Haus, erklärt Jasmin Trilling, Sprecherin der Stadt Essen. Dazu sei man als Kommune verpflichtet.
Essener sollen bis zu 50.000 Euro zahlen
Die Zahlungsbescheide reichen von 5.000 bis 20.000 Euro pro Fall. Weil viele Personen gleich für mehrere Flüchtlinge gebürgt haben, können die Forderungen enorm ansteigen.
Einige Essener bekamen Rückzahlungsforderungen von bis zu 50.000 Euro. Für manche wäre das gleichbedeutend mit dem finanziellen Ruin.
Betroffene klagen über mangelnde Aufklärung bei der Ausländerbehörde
Viele Betroffene fühlen sich von der Ausländerbehörde falsch aufgeklärt. Sie sagen: Man habe bei der notwendigen Solvenz-Prüfung gesagt, dass keine Forderungen auf die Bürgen zukomme, sobald ein Flüchtling einen Asylantrag stelle.
Diesen Vorwurf weist die Essener Ausländerbehörde auf Nachfrage entschieden von sich. Die Aufklärung sei umfassend gewesen und die Verpflichtungserklärung eindeutig.
Bürgen klagen vor dem Verwaltungsgericht
Mittlerweile ziehen Betroffene vor Gericht. Vor dem Kölner Verwaltungsgericht setzten sich zwei Kläger gegen die Stadt Bonn durch. Wie der „Bonner Generalanzeiger“ berichtet, entschied der Richter in diesen Einzelfällen zu Gunsten der Bürgen, weil das Ausländeramt die Zahlungsfähigkeit der Betroffenen nur unzureichend geprüft habe.
Hierbei handelt es aber nur um Einzelfälle. Grundsätzlich hat das Bundesverwaltungsgericht die Regelungen des Integrationsgesetzes bestätigt.
Über 100 Klagen Verwaltungsgericht Gelsenkirchen
Am Verwaltungsgericht Gelsenkirchen sei eine Klagewelle bislang ausgeblieben, sagt Dr. Klaus Weisel. Laut dem vorsitzende Richter laufen derzeit 73 Verhandlungen. In 43 Verfahren sei man sich außergerichtlich entgegen gekommen, sagt er. Wie genau das ausgesehen hat, darin habe er als Richter keinen Einblick.
Ob die Bürgen tatsächlich fünfstellige Summen aufbringen müssen und wie in Zukunft mit Härtefällen umgegangen wird, ist unklar. Essens Stadtsprecherin Jasmin Trilling erhofft sich dabei ein politisches Signal von Bundesebene.