Einmal noch das Meer sehen – Sie erfüllen todkranken Menschen ihren letzten Wunsch
Der Wünschewagen erfüllt letzte Wünsche von todkranken Menschen
Vor Ort erleben die ehrenamtlichen Helfer Außergewöhnliches
Essen.
Die großen Gummiräder schieben sich langsam durch den Nordseesand. Ihr Sohn sitzt im Strandrollstuhl. Sie schiebt. Eigentlich sollte es umgekehrt sein. Die brünette Frau, die heute zur schwarzen Bommelmütze durchweg auch ein Lachen auf den Lippen trägt, hat Brustkrebs im Endstadium. Unheilbar. Ihre Lungen sind voll mit Wasser. Sie wird sterben. Bald. Doch heute geht es ihr gut. Lächeln. Fürs Foto. Im Hintergrund die See.
Ein letztes Mal das Meer sehen: die Sehnsucht vieler sterbenskranker Menschen packte auch sie. Erfüllt wurde die letzte Reise durch den Essener Wünschewagen. Der ist ein Projekt der Arbeiter-Samariter-Bundes. Seit knapp drei Jahren fährt er Krebspatienten zur Nordsee, ALS-Patienten zu ihrem Lieblings-Fußball-Verein oder Senioren in ihren letzten Lebenswochen zur Hochzeit ihrer Enkel.
Es sind letzte Reisen. Von Sterbenden. Abschiede von der Familie.
„Wir beobachten, dass die Menschen auf den Fahrten noch einmal richtig aufblühen. Und wenige Tage später im Hospiz versterben.“ Nazan Aynur leitet das Wünschewagen-Projekt. In Deutschland sind sie und ihr Team Pioniere. Die Idee stammt aus den Niederlanden.
Seit Sommer 2015 erfüllen Aynur und ihre ehrenamtlichen Helfer letzte Wünsche. Zwei bis drei in der Woche. Das Projekt wird komplett aus Spenden finanziert. Dafür wurde 2015 ein Krankenwagen umgebaut, ein zweiter wird bald folgen.
Wer im Wünschewagen sitzt, sieht weder Sauerstoffsgerät noch Notfall-Set. Dafür hat er ein Panorama-Fenster. Aynur: „Wir wollen nicht, dass der Fahrgast sich wie in einem Krankentransport fühlt. Eher wie auf einer Campingfahrt.“ Trotzdem wäre für den Notfall alles dort. Auch ein Sani und eine Pflegerkraft fahren mit.
Ohne den Wünschewagen wären diese Fahrten kaum möglich. Mal finanziell, weil die besondere Betreuung der Todkranken nicht zu stemmen wäre. Oft, weil die Angehörigen in diesem letzten Lebensabschnitt ihrer Nächsten schlichtweg andere Dinge im Kopf haben, mit der Planung überfordert wären.
Das übernimmt dann Aynur. Wie in einem Reisebüro. Ruft bei Fußballvereinen an. Macht Musical-Tickets klar. Rennt dabei fast immer offene Türen ein. Aynur: „Es ist unglaublich, wie die Leute helfen wollen, die letzten Wünsche zu erfüllen.“
Ein sterbenskranker Senior wollte noch einmal mit der Weißen Flotte über den Baldeney-See fahren. Ich habe in der Hotline die Tickets bestellt. Kurze Zeit darauf rief die Kundendienst-Dame zurück. Für so eine tolle Idee wolle sie Freigetränke beisteuern.
Die Wünsche sind für den Todkranken und je einen Angehörigen immer kostenlos. Und ihnen sind kaum Grenzen gesetzt. Aynur: „Die Fahrten müssen mit dem Auto realisierbar sein.“ Und mehr als eine Übernachtung gibt es nicht. Und: der Arzt muss sein OK geben.
Bei der Frau mit dem Brustkrebs hatten Aynur und ihr Team Sorge, dass sie die Fahrt nicht überstehen wird. Sie war schwach, tägliche Punktionen zehren an ihrem Körper. Doch ihr Arzt beruhigte Aynur vor der Fahrt. Seit sie wusste, dass sie vielleicht noch einmal das Meer sehen würde, ging es ihr besser. Letzte Lebenskraft war geweckt.
Nicht immer geht das so gut aus. Für ein sieben Jahre altes Mädchen war die Fahrt nach Norderney bereit geplant. Pommes sollte es geben. Die Beste auf der Welt, sagte die Kleine. Ihre Mukoviszidose war stärker. Einen Tag vor Abfahrt stirbt sie.
Lächeln. Für ein Foto mit ihrem Sohn. Eine letzte Erinnerung. Für die Krebspatienten erfüllt sich an der Nordsee ihr Lebenstraum. Wenige Tage nach ist sie tot. Das Foto, das bleibt.