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Das Einvernehmen eines Kindes zählt nicht

Das Einvernehmen eines Kindes zählt nicht

Hemer/Hagen. 

„Wenn man Ihnen so zuhört, fragt man sich, warum Sie auf der Anklagebank sitzen und nicht ihr Opfer“, warf Richter Marcus Teich am Dienstag am Landgericht Hagen ein, als der Angeklagte sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen einließ.

Ganz weit hergeholt war dieser Einwand nicht, denn der Angeklagte schilderte sich bei dem Geschlechtsakt mit einer 13-Jährigen als passiven Partner, der alles „nur“ über sich ergehen ließ – und es sprach einiges dafür, dass auch das nicht ganz so weit hergeholt war. Fest steht, dass sich der 40-jährige, arbeitslose Hemeraner, gerne auf der Internetplattform „Knuddels“ herumtreibt – ein Chat- und Spieleangebot für Kinder, das schon lange als Revier pädophiler Triebtäter verschrien ist. Dort hatte er sich als deutlich jünger ausgegeben.

Im Chat lernte der zwei Mal geschiedene Vater eines Sohnes im September vergangenen Jahres die 13-jährige Jessica aus Rastatt in Baden-Württemberg kennen. Zwei Monate später kam es in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung an der Urbecker Straße zum ungeschützten Geschlechtsverkehr. Eine klassische Vergewaltigung lag hier aber nachweislich nicht vor. Und der 40-Jährige beharrte gestern so wie schon in seinem Geständnis bei der Verhaftung darauf, dass die Initiative von dem 13-jährigen Mädchen ausgegangen sei. Sie sei es gewesen, die immer mehr gewollt habe: Sex-Talk erst über „Knuddel“ und später über „Facebook“, dann Telefon-Sex. Sie habe auch auf den Besuch gedrängt und am Tatabend sei auch sie es gewesen, die die sexuellen Handlungen initiiert habe.

Grundlegend wurde seine Schilderung gestern sowohl von den Aussagen der Kriminalbeamten in Rastatt als auch einer Freundin des Opfers gestützt. Demnach habe das Mädchen bereits mit zwölf Jahren zwei Mal freiwilligen Geschlechtsverkehr mit einem 32-jährigen Mann aus Rastatt gehabt, ein entsprechendes Verfahren läuft derzeit in Süddeutschland. Die Chat-Protokolle, die die Polizei aus ihrem PC ausgedruckt hatte und aus denen gestern höchst obszöne Passagen zitiert wurden, ergeben eindeutig, dass sie gewusst haben muss, dass ein Besuch in Hemer mit Sex enden würde. Dennoch sei sie laut ihrer Freundin, die ihr am Ende das Alibi für den Hemer-Trip gegeben hatte, nicht von der kostspieligen fast 400 Kilometer weiten Reise abzuhalten gewesen. Von den Polizei-Beamten aus Rastatt wurde sie als körperlich frühreif und in sexueller Hinsicht als deutlich zu weit für ihr Alter beschrieben. Ihre Ausdrucksweise sei „heftig“ gewesen. Erschwerend kommt hinzu, dass sie wohl aus Angst vor dem Stiefvater, der mit einer Heimunterbringung droht, in ihren Aussagen nachweislich in mehreren Punkten gelogen hatte. So hatte sie von einer Vergewaltigung gesprochen, was aber eindeutig widerlegt wurde.

Das Gericht entschied, dass der Tatbestand eines schweren sexuellen Missbrauchs voll erfüllt wurde. Vor allem wiege schwer, dass es zum ungeschützten Geschlechtsakt gekommen sei und dass der 40-Jährige, das gehe aus den Chatprotokollen klar hervor, diesen Geschlechtsakt mit einem Kind auch über Monate geplant habe.

Und selbst wenn es am Ende freiwilliger Sex gewesen sei, so der Richter, könne man nicht von einvernehmlich sprechen. „Das Einvernehmen eines Kindes zählt nicht. Der Gesetzgeber sieht vor, dass man so eine Situation eben nicht für sich ausnutzt.“

Dass die Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung ausgesetzt wurde, sei den vielen mildernden Umständen zu verdanken. So habe der nicht vorbestrafte Angeklagte, als das Alibi des Mädchens aufgeflogen war und sich die Eltern nachts von Rastatt aus auf den Weg nach Hemer gemacht hatten, die Sache „kontrolliert beendet“. Er hatte das Mädchen den Eltern an der Sparkasse übergeben und keinerlei Anstalten gemacht, die Tat zu leugnen oder zu fliehen. Auch gegenüber der Polizei war er von Anfang an geständig gewesen. Zudem hat er durch die fünfmonatige Untersuchungshaft seine Wohnung verloren und eine aussichtsreiche Chance auf Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt verstreichen lassen. Letztlich fand auch Erwähnung, dass er selbst in der Kindheit über zwei Jahre hinweg sexuell missbraucht worden war.