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Warum wir immer mehr über Marcel Heße erfahren – und er dennoch ein Rätsel bleibt

Warum wir immer mehr über Marcel Heße erfahren – und er dennoch ein Rätsel bleibt

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Foto: dpa

Bochum. 

Die Details im Gutachten der Gerichtsmedizinerin sind zu grausig, um sie hier wiederzugeben. Zusammengefasst: Ihre Aussage am fünften Verhandlungstag vor dem Landgericht Bochum machte eindringlich deutlich, dass Marcel Heße seine beiden Opfer regelrecht abgeschlachtet hat.

Wer dann einen Blick auf den schmalen Angeklagten mit den weichen Gesichtszügen wirft, muss sich unweigerlich fragen: Was für ein Mensch ist das?

In der Tat hören wir von Prozesstag zu Prozesstag von den Zeugen immer neue Geschichten über Marcel Heße. Und doch scheint es beinahe so: Je mehr wir erfahren, desto weniger verstehen wir ihn und seine Taten.

„Ich stelle mir vor, dass er tot im Resser Wald liegt“

Wie war er als Kind? „Wir waren oft auf dem Spielplatz, haben mit anderen Kindern ganz normal gespielt“, erzählt seine Schwester dem Gericht. Dann sei er als Erstklässler mit einer Schere auf seine Lehrerin losgegangen.

„Danach hat er zum ersten Mal eine Therapie gemacht“, sagt die 22-Jährige. Und er wohnte von da an beim Vater, der von der Mutter getrennt ist. Sie haben ihren kleinen Bruder immer angerufen und ihm vorgelesen. Doch „jetzt ist er nicht mehr mein kleiner Bruder“, sagt sie. „Die Person“ nennt sie ihn. „Ich stelle mir vor, dass er tot im Resser Wald ist. Diese Person kann nicht mein Bruder sein.“

Je älter Marcel wird, desto merkwürdiger verhält er sich. Reißt Fliegen die Flügel aus. Zersticht mit einem Messer den Tablet-PC des Stiefvaters. Insgesamt vier Jahre habe er in Therapien verbracht, erzählt seine Schwester. Zu einer Sitzung sei sie mitgekommen. „Dort hat er sich verhalten, als wäre er normal. Er hat der Therapeutin was vorgespielt“

Eine ehemalige Lehrerin von Heße sagt, sie sei immer wieder „positiv überrascht“ von ihm gewesen. In der 8. Klasse hatte er Mathematikunterricht bei ihr. Weil er sich so gewählt ausdrückte. Und weil er sich immer eigene Wege bei den Lösungen von Matheaufgaben aussachte. „Das hat zwar nicht immer funktioniert, aber ich fand das einfach toll, dass einer mal selbst mitgedacht hat.“

„Er hat Gewalt nur angewendet, wenn es sein musste“

„Ich halte ihn für einen intelligenten Menschen“, sagt ein ehemaliger Mitschüler als Zeuge. Er war einer der wenigen Freunde von Marcel Heße. Die Art, wie er über den Ex-Kumpel spricht, erweckt bisweilen den Eindruck: Er fand Heße mal faszinierend, hat ihn bewundert.

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„Er hat Gewalt nur angewendet, wenn es sein musste“, erzählt er. Wann das denn der Fall gewesen sei, hakt Richter Stefan Culemann nach. „Wir gehörten beide zu einer Gruppe von Außenseitern und wir wurden oft bedrängt. Einmal hat ihn einer so geärgert, dass er ihm einen Zirkel durchs Gesicht gezogen hat“, erzählt er.

Ein anderes Mal habe er einem Mädchen, das ihn gemobbt habe, mit der Faust ins Gesicht geschlagen. „Wenn man ihn berührt hat, oder wenn zu viele Menschen um ihn herum waren, wurde er richtig sauer“, sagt der 19-jährige Zeuge.

Er selbst hat das auch zu spüren bekommen. Mehrfach. „Als mich einer geschubst hat, und ich gegen ihn gestoßen bin, ist er mir auf den Rücken gesprungen und hat mir in die Schulter gebissen“, erzählt er. Das habe er noch öfter gemacht, einmal musste die Bisswunde gar geklebt werden.

Eine Phase, in der er glücklich sein wollte?

Dann, nach der gemeinsamen Schulzeit, habe sich Heße plötzlich verändert. Früher habe er sich nie bei seinem Freund gemeldet. Plötzlich habe er von sich aus vorgeschlagen, dass sie doch abends mal was machen könnten. Ein Bier zusammen trinken. „Da war er plötzlich viel offener“, sagt der Schulfreund.

War es eine Phase, in der Marcel so sein sollte, wie alle anderen? In der er glücklich werden wollte? Wenn dem so ist, währte die Phase nicht lange. Kurze Zeit später sei er auf einmal aus sämtlichen Internetforen und Netzwerken, über die er sonst erreichbar war, verschwunden. „Er hat sich digital gelöscht“, sagt der 19-Jährige.

Wenig später bekommt er von einer unbekannten Nummer schreckliche Bilder und Sprachnachrichten zugeschickt. Es sind die Dateien, die später im berüchtigten Internetportal 4chan auftauchen. „Ich möchte über die Bilder bitte nicht reden, ich habe gerade damit abgeschlossen“, sagt er. Er leide an Schlafstörungen, habe psychische Probleme, das belaste ihn alles zu sehr.

Und Heße? Weder die alten Freunde, noch seine ehemaligen Lehrer, nicht einmal seine Schwester, die mitten in ihrer Aussage weinend den Saal verlassen muss, würdigt er eines Blickes.