Veröffentlicht inSportmix

Box-Boom begann mit Graciano Rocchigiani

Box-Boom begann mit Graciano Rocchigiani

338924479463624.jpg
Boxen Foto: imago
Vor 25 Jahren wurde Rocchigiani in Düsseldorf mit einem Abbruch-Sieg gegen Vince Boulware Weltmeister. Sein Förderer Wilfried Weiser erinnert sich noch genau an den Kampf in der Philipshalle: Am 11. März 1988 schrieb sein Schützling Sportgeschichte.

Düsseldorf. 

Das kleine Gym auf der Düsseldorfer Vulkanstraße liegt im Hinterhof, in selbstverständlicher Nähe zum Milieu um den Hauptbahnhof. Wer hier ein Champion werden will, findet alle Zutaten vor – vom Sandsack bis zum alten Drei-Seile-Ring. Nur eine dieser ratternden Bretterbirnen hat sein Besitzer Wilfried Weiser nie angebracht. „Ich muss die Leute ‘n bisken bei Laune halten“, erklärt er in rheinischem Singsang. „Dat knallt ja sowieso schon, wenn alle gleichzeitig trainieren…“

Der Wilfried und seine Boxerei: Da haben sich zwei gefunden, sagen sie im Rheinland. Wer mehr mitbekam, geht noch ein Stück weiter: Ohne sein selbst gebasteltes Gym und den persönlichen Einsatz hätte das Berufsboxen hierzulande schlechter überlebt. In den mageren Achtzigern war der große TV-Boom des Showsports noch in weiter Ferne. „Der Gratze boxte schon um die WM, da gab et noch keinen Henry Maske“, sagt der 62-Jährige fast trotzig.

Der sentimentale Favorit

Der Gratze: Das ist Graciano Rocchigiani, der seinerzeit als eine der wenigen deutschen Hoffnungen galt – Sohn eines sardischen Eisenbiegers aus Rheinhausen sowie jüngerer Bruder von Ralf, der mit ihm zu den Profis wechselte. Und die WM-Chance: Sie kam vor 25 Jahren, am 11. März 1988, als der Titel der IBF im jungen Supermittelgewicht vakant wurde. In der Düsseldorfer Philipshalle trat der 25-jährige „Rocky“ gegen den Texaner Vince Boulware an, der doppelt so muskulös und vier Mal so attraktiv aussah. Jedenfalls vorher.

Im Herzen von Wilfried Weiser aber war der zähe Junge mit den dünnen Armen sentimentaler Favorit. Zusammen mit dem legendären „Konsul“ Franz Weyer, seinem Mentor, hatte er die Rocchigiani-Brüder schon zu Amateurzeiten gefördert und bewirtet. Nun hoffte er, dass sein Protegé eine eklatante Lücke schließen könnte: Nach Max Schmeling (1930-32) und Eckhard Dagge (1976-77) war kein Deutscher mehr Weltmeister der Profis geworden.

Beinahe hätte Kampf nie stattgefunden

„Der Gratze hatte nicht so den Hammer“, erklärt Weiser, „aber er hat seine Gegner zermürbt. Dat iss der Biss, den ein Fighter braucht.“

Fast wäre der Kampf in letzter Sekunde noch abgesagt worden, weil Boulware zum öffentlichen Wiegen einige hundert Gramm überm Limit lag. Das war das Momentum für den Wilfried, wie sie ihn seit eh und je nennen: Er schnappte sich den US-Boy und chauffierte ihn für eine volle Stunde in seine Sauna, so dass die Dinge zum Abend ihren Lauf nehmen konnten. Der Rest ist längst fulminante Sportgeschichte, die etwa 4000 Zeugen erlebten.

Von Beginn an lieferten sich die Kontrahenten einen temporeichen Verschleißkampf, der bald Spuren hinterließ. Allmählich zog Rocchigiani seinen Widersacher jedoch in tieferes Wasser. Selbst von einem Cut über dem rechten Auge gezeichnet, zermürbte er seinen Gegner mit schnellen Serien auf Kopf und Körper. In Runde 7 stand der schöne Vince schon auf wackeligen Beinen, in Runde 8 prasselte ein Trommelfeuer auf ihn ein – bis Ringrichter Santardia nach 2:11 Minuten abbrach.

Freudentränen und Champagner

„Ich habe gedacht: Okay, ich oder er“, lautete Rockys erstes Statement. „Zum Glück hat es ihn eher erwischt.“

Wilfried Weiser ist in die Kabine gestürmt, um den neuen Weltmeister zu erdrücken: „Es war ‘ne enge Kiste, aber zum Ende hatte Graciano den regelrecht zersähcht.“ In der Kabine flossen Freudentränen und Champagner. „Heute gibt’s ja Boxweltmeister wie Wasser“, sagt Weiser, „dat war früher nich’.“

Rocky ist nicht reich geworden an diesem Abend, er boxte für etwa 10.000 D-Mark – und sollte nach drei Titelverteidigungen erstmal alles hinschmeißen. Später sind doch noch rund acht Millionen zusammen gekommen, wie er selbst mal überschlagen hat. Behalten hat er davon im 50. Lebensjahr nichts. Manchmal arbeitet er kurzfristig als Trainer, dann wieder nicht. Sein Förderer und Freund Wilfried ist für ihn aber immer Fluchtpunkt und Anlaufstelle geblieben.

Unlängst war er wieder mal auf Besuch, da hat Weiser in seiner Kneipe („Beim Box-Papst“) schnell die Leinwand aufgebaut; zusammen sahen sie die TV-Bilder alter WM-Kämpfe. „Da hat der gestaunt, wie schnell er früher war“, grinst Weiser. Am Montag, dem 11. März, werden auf der Vulkanstraße wieder viele davon reden.