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Diese Saison ist für Schalke-Doktor Rarreck noch intensiver

Diese Saison ist für Schalke-Doktor Rarreck noch intensiver

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Foto: imago
Der Mannschaftsarzt des Bundesligisten spricht im Interview über das große Verletzungspech der Königsblauen, seine Rufbereitschaft rund um die Uhr, seine handschriftliche Buchführung und einen Tipp von Jupp Heynckes, als der noch Trainer auf Schalke war.

Gelsenkirchen. 

Mit dem Smartphone am Ohr kommt Dr. Thorsten Rarreck aus seiner Praxis in Gelsenkirchen-Buer zum vereinbarten Gespräch in der Mittagspause. „Schalke“, sagt er. „Für den Klub bin ich 24 Stunden am Tag in Rufbereitschaft, und in dieser Saison ist eben alles noch intensiver als sonst.“ An diesem Samstag kehrt zum Bundesliga-Spiel bei Werder Bremen Kyriakos Papadopoulos ins Aufgebot der Königsblauen zurück – einer weniger auf der Verletztenliste, die der Mannschaftsarzt penibel führt, und die immer noch dramatisch lang ist: Neun Profis muss Schalke 04 derzeit ersetzen. Mit dem Thorsten Rarreck sprach Peter Müller.

Als sich Benedikt Höwedes in Madrid an den Oberschenkel fasste – war das so ein Moment, in dem man als Teamarzt verzweifeln musste?

Thorsten Rarreck: Wenn so eine Verletzung auftritt, hat man oft schlimme Befürchtungen, denn man hat ja einen Blick entwickelt für solche Situationen. Aber ich muss mich selbst mental schützen, um nicht zu denken: Das darf doch jetzt nicht wahr sein, nicht schon wieder! Ich schule mich, um nicht schon eine Verletzung zu erwarten.

Es wäre menschlich, wenn sich auch die Sicht und das Empfinden des Arztes verändern würden bei so vielen Fällen in einer Saison.

Rarreck: Dieses Verletzungspech ist wirklich extrem. Aber jeder Fall muss individuell betrachtet werden. Ich führe handschriftlich genau Buch darüber, wann bestenfalls, schlimmstenfalls und wahrscheinlich mit einem Comeback zu rechnen ist. Der einzige Vorteil in dieser schwierigen Zeit ist, dass sich die jungen Spieler schneller entwickeln und ihren Wert für den Verein steigern konnten.

Hat sich Ihr Alltag auch verändert in dieser außergewöhnlichen Lage?

Rarreck: Ja. Es rattert ständig in meinem Kopf, wie in einer Datenbank. Wann kontrollierst du wen? Bei wem musst du zusätzliche therapeutische Reize setzen? Damit beschäftigt man sich, auch wenn die Jungs nicht ständig in meiner Praxis sind. Ich habe erstklassige Helfer, in der überwiegenden Zeit sind die verletzten Spieler ja in der Reha und bei unseren vier Physiotherapeuten.

Die fangen sicher schon einiges ab?

Rarreck: Im Schnitt dringen nur 20 Prozent aller Blessuren von Spielern zu mir vor. Die Physios sind sofort am Mann und beurteilen vieles mit ihrer Er fahrung. Früher war ich eine Zeitlang auch täglich beim Training, jetzt nicht mehr.

Warum nicht?

Rarreck: Als Jupp Heynckes 2003 kam, gab er mir einen guten Denkanstoß. Er meinte, dass die Spieler negativ denken würden, wenn sie ständig einen Arzt sehen. Vor allem am Spieltag sollten sie sich auf Gesundheit und Leistung konzentrieren. Deshalb halte ich mich auch vor den Spielen dezent zurück.

Hilft Ihnen ein großes Netzwerk?

Rarreck: Allein für die unterschiedlichen Ausmaße von Knie-Verletzungen habe ich Kontakte zu einem halben Dutzend Top-Operateuren. Besonders eng arbeite ich mit Professor Godolias vom St. Anna-Hospital in Wanne-Eickel zusammen. Mein Assistent Dr. Tsobanelis kommt auch von dort, das ist für mich sehr hilfreich. Als sich zum Beispiel Dennis Aogo das Kreuzband riss, war es wichtig für den Heilungsverlauf, dass er hier in der Nähe operiert werden konnte, eine Reise wäre nicht ratsam gewesen. Die Spieler haben die freie Arztwahl, aber ich freue mich, wenn sie meine Empfehlungen annehmen.

Rarreck über die zunehmende Belastung im Hochleistungssport 

Sind die vielen Verletzungen auch durch zunehmende Belastung im Hochleistungssport zu erklären?

Rarreck: Ja, in der Bundesliga hat sich die Beanspruchung des Bewegungsapparates in den vergangenen Jahren stark verändert. Die Spieler laufen deutlich mehr, und trotz professionellerer Betreuung durch die Vereine hat eine Studie der Deutschen Sporthochschule in Köln ergeben, dass sich mindestens 25 Prozent der Berufsfußballer im Laufe eines Jahres einmal schwer verletzen.

Ist es die richtige Konsequenz, die Aufgebote zu vergrößern?

Rarreck: Nicht nur. Auch Prävention ist ganz wichtig. Vier Punkte sind zu beachten: Ernährung; Individual-Training, um Defizite auszugleichen; mentale Stabilisierung; und Regeneration, dazu gehören das Schlafverhalten und das Vermeiden von Genussgiften. Da ist auch die Eigenregie der Spieler gefordert. Ich selbst achte auch mehr auf Vorbeugung, ich will nicht wegen einer Erkältung ausfallen.

Mit schweren Verletzungen kennen Sie sich auch persönlich aus, Ihre eigene Karriere war früh beendet.

Rarreck: Ich war 16, 17 Jahre alt, spielte für die Spielvereinigung Marl und habe gehofft, im Profifußball Fuß fassen zu können, als ich mir einen Schien- und Wadenbeinbruch zuzog. Ich weiß aus Erfahrung, was dann in einem Spieler vorgeht.

Ein Teil von Schalke sind Sie dennoch geworden.

Rarreck: Und darauf bin ich stolz. Ich bin Fußballer mit Leib und Seele, und ich bin Schalker.