Warum der Fall Thomas Tuchel beim BVB so eskaliert ist
Dortmund.
Tabellenplatz drei erklommen, das DFB-Pokalfinale erreicht: Bei Borussia Dortmund könnte beste Laune herrschen. Nach dem wichtigen 2:1 gegen Hoffenheim am Samstag fanden sich Präsident Reinhard Rauball, Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Sportdirektor Michael Zorc in der Stadionkabine von Trainer Thomas Tuchel ein.
Kurze Gratulation wie immer, dann spontaner Krisengipfel. Inhalt des Gesprächs: Die Vereinbarung, ohne weitere Störfälle die Saison beenden zu wollen. Wie konnte es überhaupt soweit kommen? Die Chronologie der schlechten Laune.
Streit bei Borussia Dortmund: 21. Mai 2016
Der BVB verliert das Pokalfinale gegen Bayern – und der Trainer Ansehen bei der Mannschaft. Einigen Betreuern und Profis wie Neven Subotic, die nicht zum Kader gehören, verbietet Tuchel, am Abend vor dem Finale im Mannschaftshotel zu sein. Nach dem 3:4 im Elfmeterschießen fehlt es Tuchel an Empathie: Statt seine enttäuschten Spieler aufzubauen, geht er Kapitän Mats Hummels, dessen Wechsel zu Bayern München feststeht, öffentlich an. Zu dessen Leistung befragt, zischt er: „Er kann es besser.“ Reaktionen, die das Team sensibel registrierte.
Streit bei Borussia Dortmund: 12. Juli 2016
Entgegen Watzkes Versprechen im Januar („Dass uns gleich drei Mann dieses Kalibers im Sommer von der Fahne gehen, ist ausgeschlossen“) haben Mats Hummels, Henrikh Mkhitaryan und Ilkay Gündogan den Verein verlassen. Tuchel spricht von Neuanfang.
Statt Wunschspieler Ömer Toprak oder Karim Bellarabi bekommt er Talente. „Der Weg, den wir einschlagen, ist ein riskanter Weg“, sagt er. Risiko ist nichts, mit dem börsennotierte Unternehmen gern in Verbindung stehen. Watzke fängt die Worte eilig ein und sagt, der Weg sei „ambitioniert“.
Streit bei Borussia Dortmund: 22. September 2016
Nicht nur der Umgang mit Subotic misslang. Mit Jakub Blaszczykowski brüskierte Tuchel einen Fanliebling. Dessen frischen Wechsel nach Wolfsburg begründete er damit, dass der Spieler auf einer neuen Position „mit seinem engen Freund Lukasz Piszczek in Konkurrenz“ hätte treten müssen. Blaszczykowski widersprach: „Ich habe keine Ahnung, warum der Trainer so etwas gesagt hat. Ich habe mit Herrn Tuchel seit mehr als einem Jahr nicht gesprochen. Deswegen war ich höchst überrascht, als ich seine Aussagen gelesen habe.“ Das weckte Misstrauen.
Streit bei Borussia Dortmund: 4. Oktober 2016
Es wird bekannt, dass Tuchel mit dem im Verein hoch geschätzten Chefscout Sven Mislintat seit Monaten nicht mehr redet. Zwischen den beiden hatte es wegen der penibel vorbereiteten, aber gescheiterten Verpflichtung eines Talents Streit gegeben, der andauert. Auf Geheiß Tuchels meidet Mislintat seither das Trainingsgelände.
Streit bei Borussia Dortmund: 26. November 2016
Nach der überraschenden Niederlage in Frankfurt wirkt Tuchel persönlich beleidigt. „Die Leistung war ein einziges Defizit“, schleuderte er seiner Mannschaft öffentlich entgegen. Zwei Tage später wurde BVB-Kapitän Marcel Schmelzer nach der bundesweit diskutierten Entgleisung gefragt. Er habe den Vorfall nicht mitbekommen, schwieg er vielsagend.
Streit bei Borussia Dortmund: 3. Dezember 2016
Wegen der Verletzung von Marco Reus zu Saisonbeginn setzte er auf Marcel Schmelzer als Kapitän. Nun sagt der Trainer, man werde das in der Winterpause „vielleicht nochmal besprechen“. Nach einigem Zögern und Zaudern bestätigte er im Januar Schmelzer. Ein irritierendes Schauspiel, das den Amtsinhaber schwächte.
Streit bei Borussia Dortmund: 13. Januar 2017
In einem Interview erhöht BVB-Boss Watzke den Druck signifikant, in dem er den Umbruch für beendet erklärt: „Ich erwarte nach einer halbjährigen Phase des Umbruchs von allen Beteiligten, dass wir uns direkt für die Champions League qualifizieren.“ Tuchel reagiert sensibel, bleibt bei seiner Position aus der Hinrunde, als er nach dem 3:3 in Ingolstadt sagte: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht.“
Streit bei Borussia Dortmund: 11. Februar 2017
Der BVB verliert unter dem Gejohle der Fans beim Tabellenletzten Darmstadt. Tuchel tritt ins Wortgefecht mit der Vereinsführung, die im Winter behauptete, der Umbruch sei abgeschlossen. Tuchel befand, dass solche Minderleistungen zum aktuellen BVB gehörten – und rügte seine Vorgesetzten unverhohlen: „Ich dachte eigentlich, dass das bei allen schon angekommen ist, auch intern.“
Streit bei Borussia Dortmund: 11. April 2017
Auf die Mannschaft und den Trainer wird vor dem Champions-League-Viertelfinale gegen Monaco ein Sprengstoffanschlag verübt. Die Partie wird vom Krisenstab, in dem auch Klub-Boss Watzke sitzt, in höchster Eile und ohne detaillierte Informationen auf den Folgetag verlegt. Nach dem Spiel äußert der Trainer heftige Kritik an dem neuen Termin. Intern hatte er vor den Augen und Ohren der Spieler geschwiegen.
Das irritierte nicht nur die Profis, sondern brüskierte Watzke. In einer der schwersten Stunden der Vereinsgeschichte, in der die Reihen geschlossen sein müssten, fiel ihm der Trainer in den Rücken, missbrauchte sein Vertrauen, positionierte sich sogar als verständnisvoller Krisenmanager. Im Verein heißt es: „Er veranstaltet die Tuchel-Festspiele.“
Streit bei Borussia Dortmund: 6. Mai 2017
Das Watzke-Interview erscheint beim der Funke Mediengruppe. „Das ist so, ja“, sagt er auf die Frage, ob es einen Dissens mit Tuchel gibt. Tuchel reagiert bei Sky verschnupft: „Ein zu großes Thema.“ Nach dem 2:1 gegen Hoffenheim der Krisengipfel in der Trainerkabine – alle wollen drei Spiele lang schweigen. Wollen.
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So reagiert BVB-Trainer Tuchel auf das Watzke-Interview