Polizei stoppt 18-Jährigen, weil sie ihn für Kind hält
Tim Halbe ist schwer herzkrank und sieht deshalb mit seiner Körpergröße von 1,53 Metern jünger aus, als er ist. Die Polizei stoppte ihn nun rabiat als vermeintlich jugendlichen Autodieb und zeigte ihn wegen Unachtsamkeit an. Die Familie wartet auf eine Entschuldigung der Polizei.
Lüdenscheid.
Als die Ampel auf Grün umspringt und Tim Halbe seinen Mercedes in Bewegung setzt, rauscht von der Seite ein Polizeiwagen heran und versperrt die Abbiegespur. Er bremst noch, touchiert den Streifenwagen. Seine Stoßstange hat ein paar Beulen, das Polizeiauto kleine Schrammen.
Tim Halbe ist geschockt, kann aber ahnen, warum die Beamten ihn anhalten: Mit 1,53 Metern Körpergröße und seiner schmächtigen Statur halten ihn viele für das Kind, was er nicht mehr ist. Tatsächlich ist Tim Halbe 18 Jahre alt, hat den Hauptschulabschluss in der Tasche, einen Führerschein und beginnt bald eine Kaufmannslehre im elterlichen Dachdeckerbetrieb. Für ein normales Leben muss der junge Erwachsene, der aufgrund eines mehrfachen Herzfehlers schwerbehindert ist und eben viel jünger aussieht, als er ist, jedoch kämpfen.
„Da rauschen die einfach von der Seite rein“
So wie in der Situation vor einigen Wochen, als die Polizei ausrückte, um ihn als vermeintlichen Autodieb zu stoppen. Tim Halbe hat gerade getankt und bezahlt und fährt nach Hause, da alarmiert ein Beobachter die Polizei, weil er ein Kind am Steuer wähnt. Als die Beamten den schmächtig aussehenden Tim Halbe wenig später am Steuer sehen, beschließen sie, ihn sofort aufzuhalten. „Da rauschen die einfach von der Seite rein. Ohne Vorwarnung“, erinnert sich Halbe.
„Wir mussten dem Verdacht einer Straftat nachgehen und damit rechnen, dass der Junge Panik bekommt. Um eine Verfolgungsjagd zu verhindern, war das Aufhalten für uns das probate Mittel“, sagt der Polizeisprecher des Märkischen Kreises, Norbert Pusch. Mehr noch: Dass Tim Halbe bei dem rabiaten Manöver mit dem Polizeiwagen kollidiert, werten die Beamten als dessen „Unachtsamkeit im Straßenverkehr“ und brummen ihm eine Anzeige und ein Bußgeld von 35 Euro auf. Auch als der verständigte Vater dazukommt und die Beamten bittet einzulenken, bleiben diese hart.
Sirene nicht gehört
Tim Halbe und seine Eltern empfinden das Verhalten der Polizei als diskriminierend. „Kann man nicht auch anders handeln? Haltezeichen geben, per Lautsprecher zum Stehenbleiben auffordern? Wir sind doch hier nicht in Chicago!“, beschwert sich Vater Thomas Halbe. Die Sirene sei eingeschaltet gewesen, gibt die Polizei an. Tim Halbe sagt, er habe nichts gehört. „Es geht mir nicht um das Blech – sondern darum, wie man mit dem Jungen umgegangen ist“, so Halbe, in dessen Augen gerade die Anzeige eine „Frechheit“ ist. Familie Halbe will gegen die Anzeige vorgehen, ein Anwalt ist eingeschaltet.
Dass Thomas Halbe sich so leidenschaftlich für seinen Sohn einsetzt, hat gute Gründe: Tim hat viel hinter sich. Lange Krankenhausaufenthalte, sieben Herzoperationen. Er leidet unter einem schweren Herzfehler, Behinderungsgrad 100. Seine Eltern wollen ihm trotzdem ein normales Leben ermöglichen. Stolz sind sie, dass er auf eigenen Beinen stehen will, bald die Ausbildung beginnt.
Verhalten der Polizei macht den Vater fassungslos
Doch Rückschläge gibt es immer wieder: Vergeblich bewarb er sich jenseits von Vaters Betrieb um Lehrstellen. Häufig werde er auf der Straße wie ein Kind behandelt – ob beim Versuch, in die Disco zu gehen oder eben jetzt als Autofahrer, berichtet er.
Kommentar „Er darf wählen, aber am sozialen Leben kann er nicht ohne Weiteres teilnehmen“, klagt sein Vater. „Die Zeit, die er noch hat, darf doch nicht durch solche Hindernisse kaputt gemacht werden“, fügt er hinzu. Wie sich die Polizei verhalten hat, macht ihn fassungslos: „Die Lüdenscheider Polizei hat noch nicht einmal den Mumm, sich zu entschuldigen.“ Dazu der Polizeisprecher gegenüber der Westfälischen Rundschau: „Entschuldigen muss man sich nur, wenn seitens der Polizei ein Fehlverhalten vorliegt.“ Und das kann Polizeisprecher Norbert Pusch nicht erkennen.