Veröffentlicht inRegion

„Malteser Migranten Medizin“ – wo Ärzte nur nach Herz helfen

„Malteser Migranten Medizin“ – wo Ärzte nur nach Herz helfen

TT-Malteser-2.jpg
Foto: Caroline Seidel
Auch in Deutschland gibt es Menschen, die nicht nicht krankenversichert sind. Bei der Malteser Migranten Medizin in Köln werden sie behandelt – umsonst und unter Wahrung der Anonymität. Möglich macht das ein Netzwerk aus gut 50 ehrenamtlichen und befreundeten Ärzten.

Köln. 

Wie kann ein so kleines Mädchen nur so laut husten? Unweigerlich kramt man in den Taschen nach einem Bonbon. Auch die robuste Tante schaut besorgt drein, derweil die stille Mama der Tochter die pinkfarbene Kapuzenjacke auszieht, den gestreiften Pulli und die Micky-Maus-Mütze ordentlich auf die Liege legt. „Emegül“, sagt die Tante zu Dr. Peter Stankowski und zeigt auf ihre Nichte. Emegül, fünfeinhalb, zarte 109 Zentimeter groß, 16,5 Kilo leicht, zwinkert zwischen zwei Hustenanfällen unter einer Flut dunkler Haare hervor und lässt sich geduldig untersuchen. Der Doktor fühlt an den dünnen Handgelenken, horcht den Brustkorb ab. Das Kind ist soweit ok, bis auf eine schwere Erkältung.

Dr. Stankowski arbeitet ehrenamtlich, so wie jeden Dienstag, wenn Kindersprechstunde ist bei der Malteser Migranten Medizin in Köln. „Damit ich es nicht verlerne“, sagt der 74 Jahre alte Kinderarzt knapp. Soll heißen: damit Emegül, die aus Bulgarien kommt, wieder gesund wird. Mal eben so zum Arzt gehen, das können die Einwanderer aus den armen EU-Ländern nicht. Dazu fehlt ihnen das Geld. Denn das kleine Mädchen ist ebenso wenig krankenversichert wie ihre Mutter, ihre Tante und die vielen anderen Patienten, die sich an diesem Tag im „Haus Rita“ des Hildegardis-Krankenhauses in Köln einfinden.

Patienten als Spiegel der Welt

Man muss nicht Richtung USA schauen – Menschen, die nicht krankenversichert sind, die gibt es auch bei uns. Acht Ärzte, darunter ein Zahnarzt und zwei Kinderärzte, behandeln unter Wahrung der Anonymität für die Kölner Malteser geduldete oder illegal hier lebende Flüchtlinge, aber auch Deutsche, die selbstständig waren und mangels Einkommen ihre Krankenversicherung schlicht wegrationalisiert haben. Die Ärzte arbeiten unentgeltlich, zwei Sprechstundenhilfen unterstützen sie.

Hilfe für Illegale„Unsere Patienten spiegeln das, was gerade so in der Welt los ist“, sagt Ulla Klocke, Koordinatorin Soziale Dienste der Malteser. Je nachdem, welcher Krisenherd gerade brodelt, kommen die Menschen aus Afrika, dem Nahen Osten oder Irak. Im Moment sind es Bulgaren und Rumänen, die als EU-Bürger aus ihren armen Ländern zwar legal nach Deutschland einreisen, denen es jedoch hier noch nicht erlaubt ist, zu arbeiten. Keine Arbeit, keine Krankenversicherung. Solche „Übergangsfristen“ warten die Menschen einfach ab. Aber was hilft eine Übergangsfrist, wenn der kleine Sohn oder die Tochter Mittelohrentzündung hat oder Brechdurchfall?

Dr. Stankowski hat derweil viel Mühe verwendet, der bulgarischen Tante zu erklären, warum Emegül kein „Grippostad“ nehmen darf, und auch kein Aspirin, sondern nur Medikamente, die für kleine Mädchen geeignet sind. Er blättert durch Unterlagen in bulgarischer Sprache um herauszufinden, ob Emegül ausreichend geimpft ist und was es mit dem Herzfehler auf sich hat, den die Tante durch Klopfen auf die Brust andeutet. Dass Menschen ihre Heimat verlassen, „um dahinzugehen, wo es den Kindern besser geht“, findet er selbstverständlich: „Ich würde es genauso machen.“ Für Emegül wird er einen Termin bei einem befreundeten Kardiologen absprechen – „und sei es nur, um die Familie zu beruhigen, dass da nichts ist.“

Netzwerk mit vielen weiteren Ärzten

In und um Köln haben sich die Malteser Migranten Mediziner ein Netzwerk mit rund 50 unterstützenden Ärzten aufgebaut, das kostengünstig auffängt, wenn die Sprechstunde nicht mehr ausreicht. Das ist bei den Erwachsenen, die oft erst kommen, wenn sie schon schwer erkrankt sind, häufiger der Fall. Aber manchmal braucht auch ein Kind zusätzlich Hilfe. Stankowski erinnert sich an einen Säugling, Kind irakischer Christen, in einem Container auf Zypern mit einem Herzfehler geboren und in Köln gestrandet. Die 5000 Euro für die Herzoperation des Babys wurde den Maltesern gestundet, doch dann bekamen irakische Flüchtlinge hier einen legalen Aufenthaltsstatus – mitsamt Krankenversicherung. Schicksale sind manchmal von einem ministerialen Federstrich abhängig.

15, 20 Patienten hat Dr. Stankowski derweil behandelt, umringt von Vätern, Müttern, Schwestern, Omas. „Mit ihren Kindern kommen die Leute eher früher als spät“, sagt Ulla Klocke. Trotz der Armut gebe es kaum Verwahrlosung: „Keine wunden Pos, keine Unterernährung“. Innerhalb der Familien werde vor allem darauf geachtet, dass es den Kindern gutgehe.

Vorne kanalisiert – natürlich ehrenamtlich – Isabel Krauß den Strom der Neuankömmlinge, die mit Kinderwagen oder Kindern an der Hand eintreffen. Frau Krauß, vierfache Mutter, nimmt die Daten einer 17-Jährigen auf, in deren Armen ein wenige Woche alter Säugling schlummert. Ein Knirps, vielleicht sechs Jahre alt, übersetzt für seine rumänischen Eltern auf Deutsch, „dass alle schlimme Bauchschmerzen haben“.

Holzklötzchen, Kinderbücher

Im Wartezimmer spielt eine kunterbunte Schar hingebungsvoll mit Holzklötzchen, blättert in Kinderbüchern, die zwar keiner lesen kann, dessen Bilder sie aber umso schöner finden. Um sie herum haben sich die Erwachsenen wie ein Schutzschild aufgebaut, wird es ihnen zu laut, ruft einer „schschscht“. Es sind Kinder, die gelernt haben, zu warten. Und die keine Angst vor dem Zahnarzt haben?

Dr. Markus Beckers hat bereits um acht Uhr morgens angefangen, die Zähne von Patienten zu versorgen, die dafür nicht zahlen können. Gerade eben hat er einer Achtjährigen den waagerecht stehenden Milchzahn gezogen, der im Weg stand, jetzt stolziert sie mit der Tamponade im Mund auf und ab. Um halb eins wird er in seine Kölner Zahnarztpraxis zurückkehren, seinen 12-Stunden-Tag vollenden und sich vielleicht Gedanken machen über die Farbe eines Zahnersatzes für mehrere tausend Euro. Reicht ihm das nicht?

„Was ich hier bei den Maltesern mache, ist mehr wert als Geld“, sagt er. „Dicke Autos, die habe ich vor 25 Jahren gefahren. Heute mache ich so einem jungen Mann, der vorne sechs kariöse Zähne hat, Füllungen, dass er wieder lachen kann. Den Mund aufmachen kann, ohne sich zu schämen. Vielleicht bekommt er so einen Job. Das ist ein schönes Gefühl!“