In Tausenden Gebäuden an Rhein und Ruhr verbaute das Unternehmen Baustoffwerke Haniel, das jetzt Xella heißt, schadhaften Kalksandstein, der sich unter Feuchtigkeitseinwirkung auflöst. Das Unternehmen hat Betroffene unter Druck gesetzt: Einige wurden zum Schweigen verdonnert.
Duisburg/Ruhrgebiet.
Im Bröselstein-Skandal kämpfen Haniel und Xella mit harten Bandagen um Geld und Ruf. Nach Recherchen der WAZ-Mediengruppe wurden einige Steinfraß-Opfer unter Druck gesetzt: Nur wenn sie schwiegen, würden Schäden ersetzt. Das steht in Vereinbarungen, die der WAZ Mediengruppe vorliegen. Auf Anfrage bestritt Haniel gestern diese Praxis. Es gebe „Abnahmeprotokolle, aber keine Stillschweigevereinbarung“.
Ein Standard-Textbaustein, den ungezählte Betroffene unterschrieben haben, legt anderes nahe. Nur „unter der Voraussetzung des von Ihnen zu wahrenden Stillschweigens über diese Vereinbarung und einer weitergehenden Bewohnung Ihres Hauses von wenigstens 24 Monaten“ zeigte sich Xella zahlungsbereit. Wer den Maulkorb annahm, bekam Hilfe. Xella kaufte zerbröselnde Häuser reihenweise zurück. 200.000, 300.000 Euro legte die Firma problemlos auf den Tisch. Bedingung: kein Wort nach draußen.
Einsturzgefahr nach Zerfall des Mauerwerks
Der Druck wirkt. Bürger mit dramatischen Steinfraß-Schäden haben jetzt Angst vor der Öffentlichkeit. Reporter der WAZ Mediengruppe kennen solche Opfer und auch deren Objekte, darunter Häuser, bei denen nach dem Zerfall des Mauerwerks offenbar Einsturzgefahr bestand. Decken wurden mit Stahlstreben gestützt, um den drohenden Zusammenbruch tragender Wände zu verhindern. Es gibt Fotos, die das dokumentieren. Und es gibt Gutachten darüber. Sie liegen der WAZ Mediengruppe vor. In einem Fall schlägt ein Sachverständiger Alarm und „empfiehlt eine Überprüfung der Standsicherheit des untersuchten Gebäudeteils durch einen Statiker“. Xella bestreitet Fälle von Einsturzgefahr.
Das Risiko schlummert in Hunderten von Millionen fehlerhafter Kalksandsteine, die Haniel in den 80er- und 90er-Jahren produzierte – wohlwissend, dass sie sich unter Nässeeinwirkung auflösen. Haniel sei sich „seiner Verantwortung bewusst“, heißt es. Probleme würden „offen angegangen“. Das war nicht immer so. Im Gegenteil. Intern beschreibt die Xella-Fachabteilung einen Versicherungsbetrug. Der Anlass: „dringender Sanierungsbedarf“ für ein bröckelndes Sechsfamilienhaus. Die im Gutachten ermittelten Kosten müsse man nicht so ernst nehmen; sie würden am Ende „um einiges unterschritten“, da die Summe „lediglich zur Abrechnung gegenüber unserem Haftpflichtversicherer dient“. Der Versicherer heißt HDI. Das Schreiben ging an Xella-Chef Jan Buck-Emden.
Bei der WAZ stehen die Telefone nicht still. Die Dauerfrage: „Ist unser Haus auch betroffen?“ Haniel und Xella behaupten, sie wüssten nicht, wo die fehlerhaften Kalksandsteine verbaut wurden. Unterlagen gebe es nicht mehr. Doch es gibt lange Listen, in denen Bröselstein-Opfer aufgeführt sind: einzelne Betroffene, teils ganze Straßen und Siedlungsbereiche an Rhein und Ruhr.
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