Vor dem EM-Viertelfinale der Türkei gegen die Niederländer gibt es fast nur ein Thema: der Wolfsgruß und die darauffolgende Sperre für Nationalspieler Merih Demiral. Doch allen voran Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdoğan verteidigt die Handgeste als ganz gewöhnliches nationales Symbol. Als wäre sie völlig unproblematisch.
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Es wird erwartet, dass tausende Türken zur Solidarisierung mit Demiral und aus Protest gegen die UEFA den Wolfsgruß im Berliner Stadion bei der EM 2024 zeigen werden. Erdoğan wird auf der Tribüne sein und heizt die Stimmung weiter auf.
Erdogan vergleicht Wolfsgruß mit dem deutschen Bundesadler
Erdoğan gibt sich empört darüber, dass es zu einer solch großen Wolfsgruß-Debatte in Deutschland kam: „Fragt jemand, warum auf den Trikots der Deutschen ein Adler ist? Steht jemand auf und sagt, warum auf den Trikots der Franzosen ein Hahn ist?“
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Doch Türkei-Insider lassen ihm diese Verharmlosung der Handgeste der rechtsextremen und gewalttätigen Grauen Wölfe nicht durchgehen. Der Duisburger Soziologe und Autor Burak Yılmaz erklärt dem WDR, dass die Handgeste „ein faschistisches Symbol voller Hass“ sei.
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Türkei-Insider: „So ein Märchen kann nur jemand glauben, der es nicht selbst erlebt hat“
Der Erdogan-Kritiker und Publizist Murat Kayman beklagt auf X, dass viele Teile der jungen Deutschtürken die Wolfsgeste nicht einordnen und die kulturellen Chiffren dahinter nicht entschlüsseln können. Sie würden sich an solche Symbole klammern, um sich ihrer türkischen Identität zu vergewissern, doch es fehle ihnen der politisch-historische Kontext.
„Die vielen jungen Burschen, die mich hier für meine Meinung beschimpfen, sind vermutlich nicht alle überzeugte Rechtsextremisten. Sie sind aber empfänglich für diese Legendenbildung, der Wolfsgruß sei ein vereinendes Symbol aller Turkvölker und transportiere lediglich die Botschaft, man sei stolz darauf, Türke zu sein. So ein Märchen kann nur jemand glauben, der die gesellschaftliche und politische Situation in der Türkei der 70er bis 90er Jahre und ihre Wirkung bis heute nicht kennt und nicht selbst erlebt hat.“
Murat Kaymann auf X
Weiter schreibt Kaymann, dass dieser Gruß „niemals ein politisch neutrales Erkennungszeichen unter Türken“ war.
„Es ging bei dieser Geste immer darum, sich einer gemeinsamen völkischen, rassistischen, gewaltbereiten Gesinnung zu vergewissern. Sie war und ist ein extremistisches Erkennungszeichen und wurde nach außen immer als Einschüchterungsgeste gemeint und genutzt.“
Murat Kaymann auf X
Der Journalist Eren Güvercin stellt klar, dass der Wolfsgruß erst von Alparslan Türkeş, der Gründungsfigur der türkisch-rechtsextremistischen Bewegung, eingeführt wurde. „Wer diese Geschichte des Wolfsgruß ausklammert, relativiert und verharmlost dieses politische Symbol der Grauen Wölfe“, so Güvercin gegenüber dem WDR.