Anders Breivik sieht aus wie ein Bilderbuch-Norweger – blond, blaue Augen. Ein bislang unauffälliger 32-Jähriger. 93 Menschen soll er auf dem Gewissen haben. Wer ist der Mann, der ein Bomben-Attentat in Oslo verübte, danach auf der norwegischen Ferieninsel Utoya Amok lief und dort Jagd auf Jugendliche machte?
Oslo.
Eineinhalb Stunden lang jagte Anders Behring Breivik auf der Ferieninsel Utoya seine Opfer. Er ließ ihnen keine Chance. Er erschoss die Jugendlichen kaltblütig, bevor er sich von der Polizei widerstandslos festnehmen ließ. „Grausam, aber notwendig“, sagt er später im Verhör, seien seine Taten gewesen. Er habe Europa vor „Marxismus und Islamisierung“ retten wollen. Wer ist der Mann, der mit den blauen Augen und den blonden Haaren aussieht wie ein Bilderbuch-Norweger und nun zum Massenmörder wurde?
Die Polizei nennt ihn einen „christlichen Fundamentalisten“ mit Kontakten zu rechtsextremen Kreisen. Außer ein paar leichteren Verkehrsdelikten ist in seinem Strafregister nichts zu finden.
Die Nachbarn in Oslo, wo er aufwuchs, beschreiben ihn und seine 60-jährige Mutter als ganz gewöhnlichen netten Nachbarn. Sie leben in einem roten Backsteinhaus in einem ruhigen und gediegenen Viertel im Westen der Stadt. „Für mich war er ein Allerweltsmensch“, sagt Emil Finneruo, der mit dem 32-Jährigen in die Schule ging und um die Ecke lebt. „Der klassische Typ halt: weiß, Mittelklasse, immer sauber und ordentlich.“
Anders Breivik ging auf das Handelsgymnasium in Oslo und war mehrere Jahre aktives Mitglied in der gemäßigt rechtspopulistischen Fortschrittspartei, die inzwischen stimmenmäßig zu den stärksten politischen Kräften des Landes gehört. 2002 war er für wenige Monate sogar Vorsitzender einer Stadtteilgruppe der Partei. Bestätigt wurde auch, dass Anders Breivik gern das Computerspiel „World of Warcraft“ spielte. Er selbst bezeichnete sich auf seiner Facebook-Seite als christlich und konservativ. Als Lieblingsbücher gibt er unter anderem Kafkas „Prozess“ an und John Stuart Mills „On Liberty“.
Kreuzritter im Kampf
Seine Waffen, eine Pistole und zwei automatische Gewehre, waren ordnungsgemäß mit Waffenschein angemeldet. Er ging regelmäßig zu einem Schützenclub in Oslo und lobte unter anderem den niederländischen Islamkritiker und Rechtspopulisten Geert Wilders, der die Bluttat gestern verurteilte.
Breiviks Hass auf den Islam ist ebenso tief wie der Hass auf die Sozialdemokratische Partei Norwegens, die seit Jahrzehnten das Land dominiert wie keine andere politische Kraft. Im Internet schimpft Breivik über Seilschaften, über die „Stoltenberg-Jugend“ und über eine Arbeiterpartei, die ihr eigenes Volk verrate und verkaufe unter anderem an Muslime.
Seit Jahren schrieb er an einem Manifest, das am Ende 1516 Seiten hatte und das der 32-Jährige kurz vor der Tat per Internet verschickte. Es ist inzwischen im Internet im Umlauf. Darin stilisiert sich der 32-Jährige zum Kreuzritter im Kampf gegen die seiner Meinung nach falsche Entwicklung in Europa.
Aus dem teilweise als Tagebuch geführten Dokument geht hervor, dass er seine Taten mindestens seit Herbst 2009 plante. Es sind Anleitungen zum Bombenbau enthalten und er beschreibt, wie er mit Hilfe des Internets die Autobombe zusammenbastelte. Um Ruhe dafür zu haben, hatte er sich eine einsam gelegene Farm angemietet.
Das Manifest ist in Englisch geschrieben
Breivik, der sich als Chef eines Biobauernhofes ausgab, kaufte Anfang Mai sechs Tonnen Dünger, aus denen er offenbar die Bombe baute, die im Regierungsviertel von Oslo in die Luft ging. Angeblich wohnte er bei seiner Mutter, um Geld für den Anschlagstag zu sparen. Laut Tagebuch begann er erst Anfang Juli mit den detaillierten Anschlagsvorbereitungen. Er fuhr die Strecken ab, präparierte die Munition.
Das Manifest ist in Englisch geschrieben und hat den Titel „Eine europäische Unabhängigkeitserklärung – 2083“. Darin rechtfertigt der Norweger auch den Terrorismus „als ein Mittel, um die Massen aufzuwecken“. Die 1516 Seiten, die mit dem Pseudonym Andrew Berwick unterschrieben sind, sind voll mit rechtsradikalem Gedankengut und Islamfeindlichkeit. Viele dieser Seiten sind nach Informationen von Spiegel online nicht von Breivik selbst verfasst, sondern von ihm kopiert worden – von vielen anderen Seiten rechtsextremer Blogger.
Aber die Schrift enthält auch viel Persönliches. In den Tagebuchpassagen erwähnt er seinen Stiefvater. Er sei ein „sexuelles Biest“ gewesen.
Alle werden mich
verabscheuen
Auf Seite 1436 schreibt Attentäter Breivik, was nun passieren wird: „Ich werde als das größte (Nazi-) Monster beschrieben werden, das es seit dem Zweiten Weltkrieg gegeben hat.“ Alle Freunde und die Familie würden ihn verabscheuen. Die Multikultipresse werde ihn dämonisieren. Aber „ich habe eine extrem starke Psyche“. Sie sei stärker als bei irgendjemandem, „den ich je gekannt habe“. (mit rtr/dapd)