Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hofft durch die Neuwahlen in NRW auf eine stabile Mehrheit für Rot-Grün. CDU-Spitzenkandidat Röttgen will mit den Christdemokraten die stärkste Kraft stellen – und spekuliert über Schwarz-Grün. Die FDP gibt sich weiter trotzig und verteidigt ihr Abstimmungsverhalten.
Essen.
Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft erwartet von den anstehenden Neuwahlen eine Signalwirkung für Berlin. Es würden weiter gute Impulse in Richtung der Hauptstadt ausgehen, sagte die SPD-Politikerin mit Blick auf ihre Partei am Donnerstag im ARD-„Morgenmagazin“. Zur NRW-Wahl 2010 hätten sich die Sozialdemokraten in einer schwierigen Lage befunden. „Wir haben als Erste den Schalter umgelegt“, sagte Kraft und fügte zu der anstehenden Neuwahl hinzu: „Wir scheuen die Auseinandersetzung nicht.“
Ihre Minderheitsregierung mit den Grünen bezeichnete die Ministerpräsidenten als „Gewinn für die Demokratie“. Das Land sei ein ganzes Stück nach vorne gebracht worden und der am Mittwoch gescheiterte Haushaltsentwurf sei ein „guter Etat der Mitte“ gewesen. Im WDR 2 bekräftigte Kraft das Ziel, die Verschuldung in NRW bis 2020 auf null zu senken. Sie hoffe nun auf eine stabile Mehrheit für Rot-Grün. „Wir wollen gemeinsam weiterregieren“, sagte die SPD-Politikerin zu Planspielen für eine Koalition aus CDU und Grünen. Die hatte der desgnierte CDU-Spitzenkandidat und Parteichef Norbert Röttgen ins Spiel gebracht: „Selbstverständlich wird so koaliert, wie die Mehrheiten möglich sind“, sagte Röttgen am Donnerstag. Die Partei sei nicht von vornherein auf eine Koalition mit der FDP festgelegt. Wenn die CDU erneut stärkste Partei bleibe, „dann können wir mehrere Koalitionsoptionen haben“. Die Grünen erteilen solchen Gedankenspielen umgehend eine Absage. Zusammen mit der SPD wollen sie mit einem klaren Bekenntnis zueinander in den Wahlkampf ziehen.
Kraft weist Spekulationen zu Kanzlerkandidatur zurück
Kraft wies erneut Spekulationen zurück, sie könne nach einem Wahlsieg Kanzlerkandidatin der SPD werden. „Ich bleibe in Nordrhein-Westfalen“, sagte sie im „Morgenmagazin“. „Anders als mein Gegenkandidat sage ich klipp und klar: Mir liegt das Land Nordrhein-Westfalen am Herzen.“
Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Joachim Poß, warnt seine Partei mit Blick auf die Neuwahl in Nordrhein-Westfalen vor übertriebenen Hoffnungen. Die Ausgangslage für SPD und Grüne sei zwar günstig, sagte der Finanzexperte aus Gelsenkirchen am Donnerstag dem Hörfunksender MDR Info. Allerdings müsse bis zur Wahl noch viel harte Überzeugungsarbeit geleistet werden. Zudem müsse man bedenken, dass Nordrhein-Westfalen kein Stammland seiner Partei sei. In vielen ländlichen Regionen sei die CDU traditionell stark. Als wichtigste inhaltliche Fragen im Wahlkampf nannte Poß den Strukturwandel in NRW und die angespannte Finanzlage von Land und Kommunen.
Nahles hofft auf Fortsetzung von Rot-Grün in NRW
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hofft auf eine Fortsetzung des Regierungsbündnisses mit den Grünen in Nordrhein-Westfalen. „Wir wollen Rot-Grün“, sagte Nahles am Donnerstag im Deutschlandradio. Dies sei ein klares Angebot für die Wähler in NRW. Sie rechne bei den anstehenden Neuwahlen mit einer deutlichen Mehrheit für Rot-Grün. „Wir sind sehr gelassen und motiviert“, sagte Nahles.
Ein gemeinsames Bündnis mit der FDP sei für die SPD kein Thema. „Wir sprechen keine Tabus aus“, erklärte die SPD-Politikerin. Mit den Liberalen gebe es aber so gut wie keine inhaltlichen Schnittmengen. Zudem halte sie einen Wiedereinzug der FDP in den Landtag für unwahrscheinlich.
Steinmeier befürchtet Blockade auf Bundesebene
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier befürchtet angesichts des bevorstehenden Wahlkampfs in Nordrhein-Westfalen eine Blockade wichtiger Projekte auf Bundesebene. „Für die Bundespolitik bedeutet der Wahlkampf in NRW eine Fortsetzung des Stillstands“, sagte Steinmeier am Donnerstag „Spiegel Online“. Das gelte für die Energiewende, den Mindestlohn, die Regulierung der Finanzmärkte und die Verhandlungen über den Fiskalpakt.
„Union und FDP werden sich in ihre Schützengräben zurückziehen und gegenseitig belauern“, sagte Steinmeier. Dies sei „schlecht für unser Land und schlecht für Europa.“
Röttgen will mit CDU die stärkste Partei stellen
Der CDU-Spitzenkandidat für die vorgezogenen Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, Norbert Röttgen, hat bekräftigt, die CDU wieder zur stärksten Partei im Landtag machen zu wollen. „Ich trete an, um Ministerpräsident meines Heimatlandes zu werden“, sagte Röttgen am Donnerstag weiter im ARD-Morgenmagazin. „Es sei guten Mutes“, fügte der CDU-Politiker trotz eines deutlichen Rückstandes seiner Partei in aktuellen Meinungsumfragen hinzu.
Für den Fall, dass er sein Wahlziel nicht erreichen sollte, legte sich der bisherige Bundesumweltminister allerdings nicht auf einen Wechsel in die Landespolitik fest. „Wir machen Wahlkampf, um ein Ziel zu erreichen, und dann gucken wir mal, was rauskommt und dann wird man sich mit diesen Fragen beschäftigen“, sagte Röttgen der ARD lediglich. Als inhaltlichen Schwerpunkt seiner Politik kündigte er an, „die Schuldenmacherei zu beenden“. Konkrete Sparmaßnahmen nannte er jedoch nicht.
Röttgen schließt schwarz-grüne Koalition nicht aus
Röttgen betonte, sein Ziel sei, dass die CDU erneut stärkste Partei würde. Zugleich gab er sich zuversichtlich, trotz schlechter Umfragewerte Ministerpräsident zu werden. „Es fängt ja jetzt erst völlig neu an“, sagte er. Deswegen sei es müßig, sich an solchen Umfragewerten aufzuhalten.
Grüne sehen sich im Kampf mit der Piratenpartei gewappnet
Die stellvertretende NRW-Ministerpräsidentin Sylvia Löhrmann sieht die Grünen im Kampf mit der Piratenpartei um Wählerstimmen gut gerüstet. „Wir haben auch hier in Nordrhein-Westfalen eine Politik gemacht, die Internet im Blick hat“, sagte die Grünen-Politikerin am Donnerstag im ARD-„Morgenmagazin“. Es gebe einen jungen Abgeordneten, der speziell dieses Thema nach vorne bringen werde.
Löhrmann kritisierte die Liberalen für ihr Nein zum Haushalt, das letztendlich die Neuwahlen zur Folge hatte. „Es ist offenkundig, dass die FDP sich verzockt hat.“ Fraktionschef Gerhard Papke habe die Latte hoch gehängt, und sei dann darunter hergelaufen.
Im Wahlkampf setzen die Grünen nach Angaben der Schulministerin auf ihre bisherigen Schwerpunkte. Die Partei habe bei den Themen Kinder, Klima und Kommunen Akzente gesetzt, sagte Löhrmann.
Roth fordert verschärfte Auseinandersetzung mit Piratenpartei
Angesichts der bevorstehenden Neuwahlen in Nordrhein-Westfalen kündigt Grünen-Chefin Claudia Roth eine verschärfte Auseinandersetzung mit der Piratenpartei an. Die Grünen müssten „genauer hinter die Fassade der Piraten gucken und kritisch fragen, was die denn eigentlich an politischen Lösungen für das hoch verschuldete Nordrhein-Westfalen und dessen schwierigen Strukturwandel anzubieten haben“, sagte Roth der Tageszeitung „Die Welt“ .
Roth betonte, „dass wir die Piraten nicht als die Internet-Partei verstehen dürfen, vor deren angeblicher Netzkompetenz wir Angst haben müssten. Die Netzpolitik der Grünen ist viel weiter, viel differenzierter und problembewusster als die der Piraten.“
An den Piraten lasse sich erkennen, dass Parteien „neue Formen der Basisdemokratie entwickeln“ sowie „eine frische Anmutung“ haben müssten. Doch „auch in diesen Punkten stehen wir Grünen im Vergleich mit den Piraten gut da“, sagte Roth und fügte hinzu: „Wir müssen darauf achten, unsere Stärken auf diesem Gebiet noch auszubauen. Dazu gehört übrigens die Frauenquote, von der bei den Piraten überhaupt keine Spur ist.“
Höhn will Koalition mit SPD
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Bärbel Höhn, will eine Fortsetzung der Koalition mit der SPD in Nordrhein-Westfalen. „Wenn Rot-Grün die Mehrheit hat, machen wir Rot-Grün“, sagte Höhn am Donnerstag im ARD-„Morgenmagazin“. Ihre Partei strebe in NRW eine stabile Regierung mit der SPD an. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und ihre Stellvertreterin Sylvia Löhrmann (Grüne) hätten ihre Arbeit bisher sehr gut gemacht. Da die Umfragen für eine Fortsetzung des Bündnisses sprächen, müsse nicht über eine Koalition mit der CDU nachgedacht werden.
Sie betonte, die Neuwahl seien von der Minderheitsregierung nicht gewollt gewesen.
FDP gibt sich trotzig nach Abstimmungsverhalten
Der designierte FDP-Generalsekretär Patrick Döring hat das Abstimmungsverhalten seiner Partei im nordrhein-westfälischen Landtag verteidigt. Die Fraktion sei ihren Überzeugungen gefolgt, sagte Döring am Donnerstag im ARD-„Morgenmagazin“. Es sei richtig gewesen, nicht zu taktieren.
Die FDP hatte wie auch die anderen Oppositionsparteien am Mittwoch den Haushaltsentwurf der rot-grünen Minderheitsregierung abgelehnt. Der NRW-Landtag beschloss seine Auflösung und Neuwahlen.
Die Frage, was ein Ausscheiden der FDP aus dem Landtag für die Bundesspitze der Liberalen bedeuten würde, stelle sich nicht. Es gebe keine Veranlassung, darüber zu spekulieren. „Wir kämpfen gemeinsam geschlossen und entschlossen für einen Wiederaufstieg der FDP“, sagte Döring.
Bahr sieht gute Chancen für Wiedereinzug der FDp in NRW-Landtag
FDP-Landeschef Daniel Bahr sieht gute Chancen für einen Wiedereinzug seiner Partei in den nordrhein-westfälischen Landtag. „Neuwahlen mischen die Karten immer wieder neu“, sagte der Bundesgesundheitsminister am Donnerstag im Deutschlandfunk. Den Liberalen werde es gelingen, das derzeitige Umfragetief zu überwinden: „Wir könne es schaffen, auch in dieser kurzen Zeit.“
Bahr verteidigte das Abstimmungsverhalten der FDP im Landtag. „Gestern mussten wir zu unseren Überzeugungen stehen“, sagte er. Es sei darum gegangen, die „Verschuldungspolitik von Rot-Grün“ zu verhindern. „Wir haben bis zuletzt immer wieder Angebote gemacht.“ Rot-Grün habe aber auf Neuwahlen gespielt. Ob er selbst die FDP in den Landtagswahlkampf führen werde, stehe noch nicht fest. Über diese Frage werde am (heutigen) Donnerstag in den Parteigremien beraten.
Bosbach lobt Entscheidung der FDP
Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach, hat die Entscheidung der nordrhein-westfälischen FDP, den Weg für Neuwahlen freizumachen, gelobt. „Die FDP hat viel Mut bewiesen“, sagte der CDU-Politiker dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Donnerstagausgabe). „Denn sie geht ein hohes Risiko ein. Doch für diesen Mut muss man ihr dankbar sein. Denn das Risiko für das Land wäre viel größer gewesen, wenn das jetzt noch drei Jahre so weiter gegangen wäre.“
Bosbach fügte hinzu: „Es nötigt den Menschen Respekt ab, wenn die FDP hier ganz konsequent agiert. Als Steigbügelhalter der rot-grünen Minderheitsregierung hätte sie sich am Ende zwischen alle Stühle gesetzt.“
Piratenpartei will „Turboknopf“ einschalten
Nicht nur die etablierten Parteien sind von dem Ende der rot-grünen Minderheitsregierung überrascht worden – auch die Piratenpartei hatte bis gestern einen anderen Fahrplan für ihr Projekt „Landtag entern“. Die junge Partei liegt derzeit in Umfragen bei fünf Prozent, könnte also in den Landtag einziehen. „Natürlich hat man ein bisschen kalte Füße“, sagt Michele Marsching, Chef des Landesverbandes.
Die Partei habe sich eigentlich auf einen Wahltermin 2015 eingestellt. „Jetzt müssen wir den Turboknopf einschalten.“ Das gilt für die Sammlung von Unterstützerunterschriften ebenso wie für die Ausarbeitung eines Programms. Bildung soll eine große Rolle spielen. Marsching ist aber zuversichtlich: „Wir sind geistig vorbereitet.“
Linke-Fraktionschef Wolfgang Zimmermann warf Kraft vor, ihr Versprechen von einem Politikwechsel gebrochen zu haben. Zugleich sagte er: „Wir sind weiter gesprächsbereit, aber sie haben die Hand ausgeschlagen.“
Politikexperte Korte sieht das Rennen in NRW offen
Ausgesprochen überrascht über das schnelle Scheitern der NRW-Regierung ist der Politologe Karl-Rudolf Korte. Die Akteure hätten alle Eventualitäten einplanen müssen, welche eine Minderheitsregierung mit sich bringen kann, sagte der Dekan an der Universität Duisburg-Essen der WAZ-Mediengruppe. Bereits vor Wochen habe er gehört, dass die Ablehnung einzelner Etat-Posten das Scheitern des gesamten Haushalts bedeuten können. Eine bestimmte Strategie oder gar Absicht sehe er nicht: „Ich kann nicht erkennen, dass einer absichtlich das Schiff zum Kentern gebracht hat.“
Auch wenn nun alle Umfragen darauf hindeuten, dass die SPD mit dem grünen Juniorpartner eine stabile Mehrheit bekommt: In drei Monaten, mutmaßt Korte, könne sich das Blatt noch wenden.
„Das Mobilisierungspotenzial ist riesig in NRW“, sagte Korte. In 60 Tagen könne die Stimmung noch umschlagen, vor allem, wenn es der FDP gelänge, für eine gradlinige, aufrichtige Politik zu stehen, die sich „glaubhaft für die Konsolidierung des Haushalts“ einsetze.
Zwar sei der Amtsbonus der Ministerpräsidentin groß, zwar habe sich Hannelore Kraft ein gutes Profil erarbeitet, „aber die CDU hat mit Norbert Röttgen einen Kandidaten, der bundesweit bekannt ist“.
Kortes Fazit: „Der Parteienwettbewerb ist nicht entschieden. Bis zur Wahl bleibt es spannend.“
Alemann sieht Rot-Grün klar im Vorteil
Der Düsseldorfer Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann erwartet, dass die Koalitionsparteien SPD und Grüne aus möglichen Neuwahlen in NRW gestärkt hervorgehen. Die beiden Parteien könnten aller Voraussicht nach „ihren Regierungsbonus“ ausspielen, sagte Alemann der Nachrichtenagentur dapd am Mittwoch in Düsseldorf. Abzuwarten bleibe allerdings, ob sich die derzeit guten Umfragewerte bis zur Wahl hielten. Nach einer Auflösung des Parlaments müsste innerhalb von 60 Tagen neu gewählt werden.
Bei den Oppositionsparteien seien die Vorzeichen für eine Neuwahl dagegen eher problematisch. Vor allem der FDP drohe aufgrund ihrer schlechten Umfragewerte ein Rauswurf aus dem Düsseldorfer Landtag. Deshalb könne die Partei derzeit eine Neuwahl „nicht gebrauchen“. Offenbar hätten sich die Liberalen auf diese gewagte Strategie festgelegt, um ihr „Umfallerimage“ los zu werden.
Auch die Linken müssen nach Ansicht des Politikwissenschaftlers um den Einzug in den Landtag bangen. Der CDU käme eine Neuwahl ebenfalls nicht gelegen, weil ihr potenzieller Spitzenkandidat Norbert Röttgen dafür seine bundespolitischen Ambitionen aufgeben und im Falle einer Niederlage ein Amt als Oppositionsführer „in der Provinz“ annehmen müsste. „Das könnte für seine Karriere höchst problematisch sein“, gab Alemann zu bedenken.
Zugleich zeigte sich der Politikwissenschaftler von dem Streit über den Landeshaushalt und dem absehbaren Ende der rot-grünen Landesregierung in NRW „überrascht“. Die Rechtsauffassung der Landtagsverwaltung, wonach die Ablehnung eines Einzelpostens des Etats gleichzeitig das Scheitern des gesamten Haushaltsentwurfes bedeute, sei „plötzlich und überraschend“ gekommen. Es sei „merkwürdig“, dass diese Rechtsauffassung nur einen Tag vor der Abstimmung im Landtag bekannt wurde. (jes/mit dapd/rtr/afp)