Die SPD-Parteispitze plant große Veränderungen – die alleredings viele Revier-Genossen ablehnen. Vor allem die geplante Einflussnahme interessierter Nicht-Mitglieder stößt der Basis auf.
Essen.
Parteichef Sigmar Gabriel und Generalsekretärin Andrea Nahles glauben: Es ist höchste Zeit, der alten Tante SPD Leben einzuhauchen und sie für Nichtmitglieder attraktiv zu machen. Pläne zur Wiederbelebung liegen vor. Aber die gefallen nicht jedem. Gerade im Ruhrgebiet gibt es erhebliche Vorbehalte.
Gegenwind von unten
Wenn Gabriel und Nahles ihre Pläne am Montag dem Parteivorstand und dem Parteirat präsentieren, liegt Revolutionäres in der Luft. Die SPD, die im Grunde noch so organisiert ist wie zu Willy Brandts Zeiten, als sie mit einer Million doppelt so viele Mitstreiter hatte, will mit Traditionen brechen. Beispiele:
– Der Ortsverein verliert an Bedeutung. Ein Treffen dienstags abends in kleiner Gaststätten-Runde erscheint nicht zeitgemäß. Offen, spontan, themenbezogen sollen sich Genossen engagieren und sich gegebenenfalls auch nur virtuell treffen.
– Die SPD soll offen sein für Leute ohne Parteibuch. Sie sollen Rederecht haben und an der Vorauswahl von Kandidaten beteiligt werden.
– Das Parteipräsidium wird von 17 auf 9 Mitglieder, der Vorstand von 45 auf 20 verkleinert.
Das rüttelt an den Grundfesten der Partei. „Unsere Kandidaten wollen wir schon selbst bestimmen, und der Ortsverein ist die Keimzelle der Partei“, knurrt Franz-Josef Drabig, Vorsitzender des mächtigen SPD-Unterbezirks Dortmund. Eine Mitgliederbefragung in Dortmund habe ein klares Bekenntnis zum Ortsverein ergeben, durch Junge und Alte. Arbeitskreise und Foren gebe es ja heute schon. Und: Wer Außenstehenden so viel Einfluss gebe, verprelle jene, die treu Plakate kleben und sich an Info-Stände stellen. Kandidaten-Kür per Bürgerbefragung? Allenfalls auf freiwilliger Basis soll so etwas möglich sein.
„Am Ende entscheiden doch die Delegierten“
Gegenwind weht auch aus den Unterbezirken Duisburg und Oberhausen. „Man darf Bürgern keine Beteiligung an der Kandidaten-Auswahl vorspielen. Am Ende entscheiden ja doch Delegierte auf einer Konferenz, und die sind rein rechtlich an keine Vorauswahl gebunden“, gibt Geschäftsführer Jörg Lorenz zu bedenken.
Die SPD Duisburg steuert von sich aus in Richtung Erneuerung. Denn es geht nicht anders. „In den 1970er-Jahren hatten wir 12.000 Mitglieder, heute sind es 5000, aber es gibt immer noch 33 Ortsvereine. Wir müssen über Zusammenlegungen nachdenken“, erzählt Lorenz. Wer nicht im Ortsverein sitzen möchte, kann sich in „Zukunftswerkstätten“ und Foren einbringen, zu Themen wie Staatsverschuldung oder Rente mit 67. Lorenz: „Da kommen 20 bis 50 Mitglieder. Im Ortsverein sind es acht bis zehn.“
„Wir müssen so viele Quoten berücksichtigen“
Die größten Vorbehalte gibt es gegen einen radikal verkleinerten Parteivorstand. Die große NRW-SPD fürchtet um Einfluss und Posten. Außerdem könne ein so kleiner Vorstand gar nicht mehr demokratisch gewählt werden. „Wir müssen so viele Quoten berücksichtigen: Frauen, Migranten, Gewerkschafter, die Regionen. Da hätte ein Parteitag am Ende ja gar keine echte Wahl mehr. Mindestens 30 Mitglieder sollte der Vorstand haben“, sagt Arno Klare, SPD-Unterbezirks-Geschäftsführer in Essen und Mülheim. Er weiß, dass Sozialdemokraten zum Beispiel in Ostdeutschland viel mehr Interesse an einer Öffnung der Partei für Nicht-Mitglieder haben als die Genossen im Revier. „In Essen haben wir 4800 Mitglieder – etwa so viele wie der Landesverband Sachsen. Die Ostdeutschen können ihre Parlamente gar nicht mehr nur mit Mitgliedern besetzen.“
Nadja Lüders, Landtagsabgeordnete aus Dortmund, hält die Reformdebatte für weitgehend überflüssig. „Die Leute interessiert es nicht, wie sich die SPD intern organisiert. Die Partei muss sich auf ihre alten Stärken besinnen und sich mit Themen wie soziale Gerechtigkeit beschäftigen.“ Dann gehe es wieder bergauf mit der alten Tante SPD.