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Politik und Alkohol – ein Tabu wackelt

Politik und Alkohol – ein Tabu wackelt

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Maibock-Anstich im Hofbraeuhaus

Berlin. 

Wolfgang Kubicki weiß genau, warum er nicht länger im Bundestag sitzt. „Ich würde in Berlin zum Trinker werden“, hat der FDP-Mann mal gesagt. Wer nicht mehr dazu gehört oder wer widerstanden hat, redet leichter darüber. In Wahrheit ist Politik und Sucht weiterhin ein Tabu.

Andreas Schockenhoff ist nicht der Gegenbeweis, obwohl der CDU-Mann gerade öffentlich bekannt hat: „Mir ist bewusst, dass ich alkoholkrank bin.“ Was nach Tabubruch klingt, ist doch eher eine Flucht nach vorn. Der baden-württembergische Abgeordnete war mit Alkohol am Steuer, 1,1 Promille, erwischt worden, zum zweiten Mal im übrigen, und ohnehin ein Fall für den Staatsanwalt. Unter der Decke halten? Ging nicht mehr.

Man muss nicht so weit gehen wie der Grüne Joschka Fischer 1983, als er – ein Frischling im Hohen Haus – ausrief: „Der Bundestag ist eine unglaubliche Alkoholikerversammlung.“ Ob der Anteil der Suchtkranken in der Politik überdurchschnittlich groß ist, darüber kann man allenfalls spekulieren. Aber in den Fraktionen wissen sie ziemlich genau Bescheid, wer immer eine Fahne hat oder wer auffällig viel bechert, wer von seinen Leibwächtern regelmäßig ins Haus getragen wird.

Vor der Ampel eingeschlafen

Es sind meist die selben Namen, die über Jahre genannt werden, und doch muss schon viel passieren, bis eingegriffen wird, bis sich die Fraktionsführung einschaltet. Etwa, wenn einer angeschickert am Pult steht – legendär beim FDP-Mann Detlev Kleinert oder beim CSU-Chef Franz-Josef Strauß – oder aus dem Verkehr gezogen wird. Schockenhoff ist kein Einzelfall. Heinrich Lummer (CDU) hatte 1,96 Promille, Otto Wiesheu (CSU) verursachte unter Alkoholeinfluss einen Unfall, bei dem ein Mann starb. Kürzlich wurde André Stephan, Wahlkampfmanager der Grünen-Politikerin Renate Künast, erwischt. Er war alkoholisiert vor einer Ampel eingeschlafen.

Ein Politiker wurde nach seinem Rücktritt von „Bild“ geoutet. Es betraf den Ex-Bildungsminister Rainer Ortleb. Die Hemmschwelle ist meist aber hoch. Vielleicht entpuppt sich noch Schockenhoff als der Signalfall. Er könnte als Vorbild dafür dienen, dass sich einer der Sucht stellt, sie als Krankheit begreift und Hilfe sucht.

Private Probleme

Schockenhoff mag seine Probleme ertränkt haben. Seine erste Frau war gestorben, im Frühjahr lief die Scheidung in der zweiten Ehe. „Privat und gesundheitlich“ sei er sehr gefordert gewesen, erzählt der CDU-Fraktionsvize, seit 21 Jahren im Bundestag für den Wahlkreis 294 in Ravensburg. Wie es in seinem Leben weiter geht, in Berlin etwa, ist offen.

In Berlin ist die Versuchung hoch. Der Termindruck, die Einsamkeit. Alkohol gehört schnell zum Stressabbau. Zumal es an Gelegenheiten nicht mangelt. Jeden Abend Einladungen, zu denen Alkohol aus­geschenkt wird. Wer dann zuhause weiter säuft, wird umso leichter zum Alkoholiker. Eine Regel, die der frühere Wirtschaftsminister Michael Glos (CDU) für sich aufstellte, lautete: Nie in der eigenen Wohnung, „keinen Schluck“.

Abends geht es richtig los

Ohnehin kann man, da ständig auf Terminen, „den ganzen Tag trinken“, erzählt Kubicki. Auf vier, fünf Termine ist eine Flasche Wein leicht zu verteilen. Abends geht es richtig los. „Sie betreten bestimmte Restaurants und sehen schon diese glasigen Augen in den Rotweingesichtern ihrer Kollegen“, erzählte er der „Zeit“, „Kubicki, rufen die beseelt, Kubicki setz dich zu uns.“