Die Spur der Terroristen des “Nationalsozialistischen Untergrund“ führt in die Dortmunder Neonazi-Szene. Und die Beziehungen waren offenbar enger als bislang bekannt. So war Sprengstofflieferant Thomas S. in in den 90er-Jahren häufig in Dortmund. Das geht aus der Auswertung von Abhörprotokollen und Verbindungsdaten hervor.
Dortmund.
Die Verflechtung der militanten Dortmunder Neonazi-Szene mit dem Netzwerk rund um den terroristischen „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) war nach Recherchen dieser Zeitung dichter als bislang bekannt. So liegen Abhörprotokolle der Handys einiger Personen aus dem NSU-Helferkreis vor. Aus den Verbindungsdaten dieser Protokolle geht hervor, dass der Sprengstofflieferant der NSU-Terroristen, Thomas S., Ende der 90er-Jahre häufig in Dortmund war.
Er hat im Großraum Dortmund gearbeitet und hielt offenbar auch Kontakt zu Neonazis aus Dortmund. Der Kontakt zu den militanten Rechtsradikalen wird durch Papiere bestätigt, die dieser Zeitung aus dem innersten Kreis der Neonazi-Szene in Dortmund zugespielt wurden. In den Unterlagen wird Thomas S. Ende der 90er-Jahre als Kontaktmann gewaltbereiter Revier-Nazis im Osten geführt.
Die Information hat es in sich: Ende der 90er-Jahre radikalisierten sich Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe im Osten und gründeten den NSU. Nahezu gleichzeitig radikalisierten sich auch Neonazis im Ruhrgebiet. Gerade die Dortmunder schmuggelten Sprengstoff und Waffen aus Belgien, die weiter verkauft wurden. Aus ihren Reihen ging auch Michael Berger hervor, der im Jahr 2000 drei Polizisten tötete und sich selbst erschoss.
Rechte Spur nicht verfolgt
In einer abgefangenen SMS des NSU-Sprengstoffbeschaffers Thomas S. an einen Kontaktmann in Chemnitz heißt es über den Großraum Dortmund: „Bin gestern Nachmittag mal hier ein Stück gelaufen, nur Türken, da fällt dir nichts mehr ein.“ Die Antwort, ebenfalls per SMS: „Isses so schlimm mit den Kanaken? Da weiß man ja, wo nächstes Mal aufgeräumt werden muss.“ Ein anderer NSU-Helfer schrieb zurück: „88 Grüße aus der Wolfsschanze.“
Der Dortmunder Kiosbesitzer Mehmet Kubaşık wurde am 4. April 2006 ermordet. Bei den Ermittlungen im Fall dieses NSU-Mordes gab es bereits früher als bislang bekannt Hinweise auf einen Täter aus der Neonazi-Szene. Nach Recherchen dieser Zeitung sagte eine Zeugin direkt nach dem Mord aus, sie habe zwei Männer mit einem Fahrrad wenige Minuten vor dem Mord am Tatort beobachtet. Sie erklärte, sie habe einen der Männer „für einen Junkie bzw. einen Nazi“ gehalten. Die Spur wurde von der Sonderkommission den Informationen zufolge jedoch nicht verfolgt.
In den Sachstandsberichten der Polizei nach dem Mord verschwand das Wort „Nazi“ nach und nach. Es ist zunächst noch von einem deutschen Junkie die Rede, später von einem möglicherweise Drogenabhängigen, den die Zeugin gesehen habe. Ermittelt wurde vor allem gegen Ausländer.
Neonazi-Gewalttaten sind in Dortmund keine Seltenheit: Im März 2005 erstach der Neonazi Sven K. den Punker „Schmuddel“. Anfang 2007 schoss der Rechtsradikale Robin S. einen Tunesier nieder.
Anleitung zum Bombenbau
Allen diesen Taten ist gemein, dass die Täter den gleichen politischen Hintergrund haben: Alle gehörten dem Umfeld der Neonazi-Kameradschaft Dortmund an, in der über den bewaffneten Kampf diskutiert wurde. So waren die Täter mit Mitgliedern des verbotenen Neonazi-Netzwerkes „Blood & Honour“ verbandelt oder gehörten dem Netzwerk an. In den Unterlagen Dortmunder „Blood & Honour“-Anhänger finden sich der handschriftliche Bauplan einer Rohrbombe sowie Angriffsskizzen auf Menschengruppen.
Die Dortmunder Neonazis standen ideologisch dem NSU nahe. Auch dieser hatte laut Bundesanwaltschaft seine Wurzeln in der Idee des sogenannten „führerlosen Widerstands“. Die NSU-Mörder hätten sich in der Organisation ihres Lebens im Untergrund und ihrer Anschläge an den „Blood & Honour“-Schriften „The Way Forward“ (Der Weg vorwärts) und „Field Manual“ (Kampfhandbuch) orientiert. Diese fordern eine hierarchiefreie und zellenorientierte Organisation für Terrorakte, um Migranten und Andersdenkende in Schrecken zu versetzen.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Auswahl des Tatortes im Dortmunder Norden nicht zufällig. Die NSU-Terroristen schlugen in einem Kiosk zu, der zwischen den Kneipen „Deutscher Hof“ und „Thüringer Hof“ lag. Dort trafen sich fast alle Gewalttäter aus dem Dortmunder Neonaziumfeld. Laut einer Quelle aus dem Verfassungsschutz liege es nahe, dass der Mord ein Fanal an die Dortmunder Gesinnungsgenossen sein sollte, Migranten zu töten. Weder der Verfassungsschutz noch die Dortmunder Polizei wollten sich zu den Aktivitäten der Neonazis in Dortmund äußern.