Essen/Wiesbaden. Tappte Andrea Ypsilanti beim Versuch ihrer Machtübernahme in Hessen in eine Falle? Glaubt man dem neuen Buch des Journalisten Volker Zastrow, dann wurde die SPD-Frau Opfer einer Intrige – ersonnen von ihrem ärgsten Parteirivalen im Bündnis mit der CDU.
Kann es sein, dass Politik manchmal funktioniert wie in schlechten Filmen? So abgefeimt, so voller Intrigen und nackter Machtgier? Man muss es befürchten, wenn man den Fall Ypsilanti betrachtet.
Wenn der Journalist Volker Zastrow mit seinem am Dienstag erscheinenden Buch Recht hat – und dafür spricht vieles – dann muss die Geschichte des Scheiterns von Andrea Ypsilanti in Teilen neu geschrieben werden. Dann wäre die SPD-Linke beim Versuch Ministerpräsidentin in Hessen zu werden nicht nur Opfer ihres maßlosen, ungeduldigen Machtstrebens geworden, sie wäre auch in eine raffiniert gestellte Fall getappt.
Ein falsches Spiel
In der Hauptrolle als Bösewicht agiert – man möchte sagen erwartungsgemäß – ein Parteifreund: Jürgen Walter. Ypsilantis Rivale gehörte zu jenen vier Rebellen, die ihr die Gefolgschaft verweigerten, als die damalige hessische SPD-Chefin sich entgegen ihres Wahlversprechens von den Linken zur Regierungschefin wählen lassen wollte. Nach Zastrows Recherchen scheint aber klar: Walter hat ein falsches Spiel gespielt, hat Ypsilanti und ihre Getreuen im Oktober 2008 ermutigt, ja geradezu gedrängt, den Showdown zu wagen und den nur noch geschäftsführenden Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) abzulösen – notfalls mit Hilfe der Linken.
Gleichzeitig, so Zastrow, habe Walter heimlich diejenigen SPD-Landtagsabgeordneten bestärkt, die wegen des gebrochenen Wahlversprechens echte Gewissensbisse beschlich, darunter vor allem die Abgeordnete Silke Tesch. Walter hat womöglich auch die Zweifel der Abgeordneten Dagmar Metzger, die als erste Ypsilantis Kurs bekämpfte, an die Süddeutsche Zeitung „durchgestochen” und damit die Querelen in der SPD öffentlich gemacht. Bis dahin konnte Ypsilanti noch hoffen Metzger umzudrehen – danach nicht mehr.
Beteiligt an dem Komplott war offenbar auch die CDU. Roland Koch, so Zastrows fundierte Mutmaßung, hat planmäßig darauf hingewirkt, dass Ypsilanti das Risiko einer Ministerpräsidentenwahl einging. Weil er wusste, dass er sich mindestens auf Walter verlassen konnte und dass Ypsilanti scheitern würde? Koch war jedenfalls stets bestens über SPD-Interna informiert.
Eine furchtbare Rache
All dies ist kaum zu begreifen ohne Kenntnis der speziellen hessischen SPD-Verhältnisse. Pragmatiker und Parteilinke sind hier traditionell in zwei starke, tief verfeindete Lager gespalten, Walter und Ypsilanti hatten sich in diesem Klima zu Antipoden entwickelt. Sie hatte dem damaligen SPD-Fraktionschef 2007 die sicher geglaubte Spitzenkandidatur streitig gemacht, wobei Gerüchte nie verstummten, dass auch dabei nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Walters Rache war, wie man nun weiß, furchtbar.
Zastrow liefert ganz nebenbei ein Sittengemälde dieses schrecklichen, aber auch hochinteressanten SPD-Landesverbandes, gegen den etwa die NRW-SPD eine wahre Idylle ist. Dem Autor, Politikchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, sind über dem Buch ein paar Illusionen flöten gegangen. „Eigentlich sollte dieses Buch eine Heldengeschichte erzählen”, bekennt er. Es kam anders, ohne dass der hochkonservative Zastrow Anlass sähe, zum Ypsilanti-Fan zu mutieren. Denn in die Falle getappt ist sie eben letztlich selbst – weil ihr Tunnelblick auf die Macht alle Warnzeichen ausblendete.
Volker Zastrow: Die Vier – eine Intrige, Rowohlt-Verlag, €19.90