Berlin.
Die Hälfte der 662 Menschen, die am 30. Juni den Bundespräsidenten wählen, sind keine Politiker. Prominente aus Sport, Kultur und Wirtschaft machen ebenfalls ihr Kreuz – und viele wissen auch schon wo.
Der Bundespräsident, darin waren sich die Hüter des Grundgesetzes einig, sollte nach den Erfahrungen der Weimarer Zeit nicht direkt vom Volk gewählt werden. Ganz allein dem Bundestag wollte man die Kür des Staatsoberhauptes aber auch nicht überlassen. Und so wird sich am 30. Juni neben den 662 Mitgliedern des Bundestages wieder ein ebenso so zahlreiches und zuweilen illustres Völkchen einfinden, das die Landtage nach Berlin entsenden; proportional zur jeweiligen Bevölkerungsstärke.
Weil Artikel 54, Absatz 3 des Grundgesetzes vorsieht, dass auch mandats- und parteilose Bürger ihre Stimme bei diesem Wahlgang abgeben dürfen, haben die Parteien seit vielen Jahren immer wieder bekannte Sportler, Künstler, Konzernlenker und Kirchenmänner nominiert. „Man verspricht sich davon, alle gesellschaftlichen Gruppen einzubinden und natürlich auch eine gewisse Aufmerksamkeit für die Wahl“, erklärte der Berliner Parteienforscher Oskar Niedermayer einmal das Motiv.
Die Berufung ist eine Auszeichnung, befriedigt ein bisschen die Eitelkeit und wohl auch die Bedürfnisse der Medienwelt. So ein Wahltag, wenn er nicht schon nach der ersten Runde entschieden sein sollte, kann schließlich leicht fünf, sechs Stunden lang geraten. Und das Fernsehen braucht viele Bilder. Zumindest dafür dürften Promi-Gesichter zweifellos geeigneter sein als die vielen unbekannten Bundes- und Landtagsabgeordneten.
Risiko der Abweichler
Da die Wahlleute bei der geheimen Abstimmung allein ihrem Gewissen verpflichtet sind, mutmaßlich aber auch hin und wieder spontanen Eingebungen unterliegen, besteht das Risiko der Abweichler, die sich nicht für den „von oben“ entschiedenen Namen erwärmen mögen.
Seit dem unvergessenen Auftritt von Gloria von Thurn und Taxis 2004 gelten Prominente in der Bundesversammlung als besonders unsichere Kantonisten. Seinerzeit hatte die Regensburger Fürstin auf CSU-Ticket nicht wie erwartet für den schwarz-gelben Kandidaten Horst Köhler gestimmt, sondern für die SPD-Konkurrentin Gesine Schwan. Und zwar publikumswirksam. „Sie sind eine wunderbare Frau“, fiel die Adlige der Professorin aus Frankfurt/Oder geradezu um den Hals, „ich habe Sie gewählt.“
Damit sich das beim brisanten Duell Christian Wulff versus Joachim Gauck nicht wiederholt (die Kandidaten von Linkspartei und NPD dürfen getrost unter ferner liefen verbucht werden), sind die Koalitionsparteien von Union und FDP diesmal vergleichsweise zögerlich mit der Gruppe der „Außerparlamentarischen“ umgegangen.
Viele Sportler dabei
Wobei die Sport-Fraktion überwiegt. Neben Thomas Bach, Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees, ist etwa der Olympia-Sieger in der Nordischen Kombination bei den Spielen 2006 in Turin, Georg Hettich dabei. Der eine fährt auf FDP-, der andere auf CDU-Ticket.
Die SPD schickt dagegen den Präsidenten des Bundesligisten VfB Stuttgart, Erwin Staudt, und die zwölffache Paralympics-Goldmedaillengewinnerin Verena Bentele an die Spree. Letztere hat sich bereits festgelegt: „Ich wähle auf jeden Fall Herrn Gauck.“ Begründung: „Er ist niemand aus der parteipolitischen Welt und hat etwas zu sagen.“
Betrachtet man die Listen der Wahlteilnehmer weiter, fallen Schauspieler wie Walter Sittler (für die SPD), Nina Petri (SPD), Martina Gedeck und Nina Hoss (beide für die Grünen) auf. Die SPD schenkt zudem dem „Prinzen“-Sänger Sebastian Krumbiegel das Wahlrecht. Von der CDU wurden die Verlegerin Friede Springer, die Rocksängerin Petra Zieger sowie der Vorsitzende des Deutschen Beamten Bundes, Peter Heesen, und der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel, auserwählt. Den ältesten Teilnehmer der Bundesversammlung schickt die Linkspartei. Erich Knorr. NS-Widerstandskämpfer. 97 Jahre.