Veröffentlicht inPolitik

Bürgergeld: Kehrseite des Hartz-4-Nachfolgers – Langzeitarbeitslose werden im Stich gelassen

Beim Bürgergeld rückt der erste Arbeitsmarkt in den Fokus. Andere Maßnahmen können weniger gefördert werden. Darunter leiden vor allem Langzeitarbeitslose.

Im neuen Bürgergeld werden Langzeitarbeitslose im Stich gelassen. Ein-Euro-Jobs sollen bald Geschichte sein.
© IMAGO / Future Image

Das ist das neue Bürgergeld

Nach der Einigung im Vermittlungsausschuss haben Bundestag und Bundesrat die Einführung des Bürgergelds beschlossen. Damit kann die neue Grundsicherung für Langzeitarbeitslose wie geplant zum 1. Januar in Kraft treten.

Das Bürgergeld hält seit dem 01. Januar 2023 einige Vorteile für Empfänger bereit. So können diese von höheren Regelsätzen, weniger Bürokratie sowie von verbesserten Möglichkeiten in Aus- und Weiterbildungen profitieren.

Doch das trifft lange nicht auf alle Empfänger zu. Vor allem Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden können, leiden unter der Streichung bestimmter Maßnahmen. Solveig Buder, Geschäftsführerin des Vereins Jugend Arbeit Bildung e.V. (JAB) in Dresden, erläutert die Problematik im Interview mit dieser Redaktion.

Bürgergeld: „Durch Ein-Euro-Jobs an Gesellschaft teilnehmen“

Der Verein wurde vom Jobcenter vor vollendete Tatsachen gestellt. „Wir haben einen Maßnahmenrückgang von 62 Prozent, die Arbeitsgrundlage ist uns entzogen worden“, erzählt Buder resigniert. So wurden lediglich sechs von 16 Maßnahmen bewilligt.

Der öffentlich, geförderte Beschäftigungsträger JAB e.V. konzipiert und führt sogenannte Ein-Euro-Job-Maßnahmen, die sich in Behördensprache „Arbeitsgelegenheitsmaßnahmen mit Mehraufwandsentschädigung“ nennen. Heißt: „Menschen, die keinen Fuß mehr in den ersten Arbeitsmarkt als Fach- oder Helferkräfte finden, haben die Möglichkeit, durch diese Ein-Euro-Job-Maßnahmen an der Gesellschaft teilzunehmen“, erklärt die Geschäftsführerin des 30 Jahre alten Vereins.

Wie viel Bürgergeld-Empfänger mit Ein-Euro-Jobs hinzuverdienen können, ist von Kommune zu Kommune unterschiedlich. In Dresden arbeiten die Teilnehmer „maximal 25 Stunden pro Woche und bekommen eine Aufwandsentschädigung von zwei Euro pro Stunde“, so Buder. So können Empfänger zu ihrer staatlichen Unterstützung rund 200 Euro pro Monat dazuverdienen.

Bürgergeld: Kürzung ist total „fatal“

„In dieser Zeit leisten sie gemeinnützige und zusätzliche Tätigkeiten für die Kommune“, erklärt Buder. So stellen die Teilnehmer unter der Anleitung von Fachbetreuern beispielsweise Dinge aus Holz wie Insektenhotels her – auch im Auftrag von Kindergärten oder Pflegeheimen.

Auch arbeiten zwölf Teilnehmer in Maßnahmen im „Grünen“. An kleineren Gewässern entfernen diese mit der Hand Unkraut oder pflegen die städtischen Friedhöfe. „Die Leute arbeiten draußen, haben sozialen Kontakt, machen was, fühlen sich gebraucht und helfen der Kommune“, so die Geschäftsführerin des JAB e.V. gegenüber dieser Redaktion.

Aber: „Diese Maßnahmen sind jetzt leider vom Jobcenter, aufgrund von Geldmangel, extrem gekürzt worden.“ Die Konsequenz: „Die Leute, die normalerweise in unseren Maßnahmen und Projekten gemeinnützige was machen, sitzen jetzt zu Hause.“ Laut Buder ist das allerdings „total fatal“, da diese Menschen nicht mehr in der ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden könnten. Langzeitarbeitslose werden so im Stich gelassen.

„In der hochtechnologisierten Bildungsgesellschaft 4.0 gibt es nicht für alle Menschen eine Möglichkeit, am Arbeitsprozess aktiv teilzunehmen“, macht Buder deutlich. Aus diesem Grund gebe es gerade diese Maßnahmen auf dem zweiten Arbeitsmarkt, damit alle Menschen mit ihren Fähigkeiten etwas tun.

Bürgergeld: „Bestimmtes Klientel wird ruhig gestellt“

Dass aufgrund von Geldmangel diese Einsparungen eingeführt werden, halte Buder nicht für zielführend, sondern für besorgniserregend. „Diese Menschen erhalten zwar mehr Bürgergeld, sind aber verdammt, jetzt zu Hause zu sitzen und Däumchen zu drehen. Das tut den Menschen nicht gut“, mahnt die JAB-Geschäftsführerin.

Die Gesetze der Bundesregierung spürt der Verein oft ungefiltert. Buder übt keine Kritik an den Jobcentern, sondern vielmehr an der Politik: „Ich habe die Sorge, dass ein bestimmtes Klientel unserer Gesellschaft abgehangen und ruhig gestellt wird.“

Beim neuen Bürgergeld stehen vor allem Weiterbildung und Qualifizierung im Fokus. Doch der erste Arbeitsmarkt bleibt laut Buder für viele aufgrund von psychischer oder körperlicher Beeinträchtigung versperrt. Die Teilnehmer haben durch die Maßnahmen eine Struktur im Alltag. „Es war eine Win-Win-Situation für jeden.“ Auf lange Sicht werde es die Maßnahmen allerdings nicht mehr geben – das Bürgergeld-Gesetz sieht vor, Langzeitarbeitslose ab Juli 2023 in Aus- und Weiterbildungen zu vermitteln.

Bürgergeld: Wie sieht die Zukunft des Vereins aus?

Trotz allem blickt der Verein positiv in die Zukunft. „Wir bleiben weiterhin mit den Jobcentern in Kontakt, versuchen neue Lösungen zu erarbeiten, wir kämpfen um jede Maßnahme, unsere Fachanleiter sind hochmotiviert“, stellt Buder klar.


Auch interessant:


Ungeachtet dessen führen die Kürzungen zu großen Veränderungen für den Verein und die Menschen. Bei weniger Teilnehmern muss der Verein „verstärkt die Kompetenzen medial wirksam vermarkten“, so Buder. Der Verein versucht, neue Perspektiven in Coachings zu finden, aber auch Aufträge zu generieren und sich zu vernetzen. „Produkte wie Insektenhotels müssen wir unter die Leute bringen, zum Beispiel bei Kindergärten“, betont Buder.