Gießen. Als die ehemalige Bundeswehrärztin Heike Groos aus Gießen 2002 in Afghanistan landete, war sie auf einen Friedenseinsatz vorbereitet. Doch statt mit offenen Armen empfangen zu werden, geriet sie mitten in die Kriegswirren. Von der Bundeswehr fühlt sie sich im Stich gelassen und trat aus.
Als sie 2002 in Kabul ankommt, ist der Krieg gerade vorbei. Die Menschen empfangen die deutschen Soldaten mit offenen Armen. Endlich hat die Taliban-Herrschaft ein Ende. Denken sie, denkt auch Heike Groos. Die Bundeswehrärztin will helfen – in Afghanistan. Doch nach zwei Jahren am Hindukusch hat sie nicht nur das ferne Land, sondern auch das Heer verlassen: „Das ist kein humanitärer Einsatz, das ist Krieg, auf den niemand vorbereitet ist. Er macht Soldaten und Familien kaputt. Aber niemanden interessiert das. Nicht mal die Bundeswehr.”
Die Gießenerin wurde Truppenärztin, weil sie nach ihrem Studium lediglich im Bundeswehrkrankenhaus ihrer Heimatstadt eine Stelle bekam. „Nur die Rangabzeichen auf deinem weißen Kittel machten den Unterschied zu anderen Ärzten aus und dass du eine Grundausbildung machen musstet.” Berührungsängste waren ihr fremd. Nach vier Jahren, ihr Vertrag als Zeitsoldatin lief aus, wurde sie freiberufliche Notfallärztin. „Ich war inzwischen mehrfache Mutter und musste zusehen, tagsüber Zeit zu haben. Nachts hab‘ ich Geld verdient.“ Das Kapitel Bundeswehr war abgeschlossen. Dachte sie.
Ein verlockendes Angebot
Fast zehn Jahre später am 11. September 2001 gerät die Welt aus den Fugen und wenige Tage später klingelt bei Heike Groos das Telefon. Es ist das Verteidigungsministerium, das ihr ein verlockendes Angebot macht. Sie soll wieder Bundeswehrärztin werden mit einer eigenen Praxis in Gießen, in der sie auch Privatpatienten behandeln darf. Im Gegenzug soll sie alle zwei Jahre für jeweils drei Monate nach Afghanistan gehen. Ein bisschen Aufbauhilfe nach dem Krieg leisten. All‘ das im Beamtenstatus bei besten Bezügen. „A14, keine Nachtdienste, eine Praxis. Ich dachte an meine Kinder und sagte ja”, erzählt sie.
Und in der Tat: Der erste Einsatz im Jahre 2002 ist wie ein Zeltlager. Die afghanische Bevölkerung ist begeistert von den Deutschen, die Freiheit verheißen. Es herrscht Aufbruchstimmung. Die deutschen ISAF-Truppen sind gern gesehen in Kabul. Sie mischen sich unter die Menschen, kaufen in ihren Läden ein. Im Lager selbst bieten Afghanen ihre Waren an. „Es war schön, ein gutes Miteinander”, erzählt Heike Groos. Ihre Aufgabe besteht darin, in Praxen und Krankenhäusern in Kabul zu helfen und natürlich, nach den deutschen Soldaten zu sehen.
Nach Selbstmordattentat schlug Stimmung um
Dann kommt jener Tag, der alles verändert. Heike Groos wird zu einem Unglück gerufen. Als sie aus dem Fuchspanzer steigt und das Bein eines Toten mit deutschem Bundeswehrstiefel sieht, denkt sie: „Komisch, warum tragen die unsere Uniformen?“ Dann erst begreift sie, dass es ein deutscher Bus war, auf den ein Anschlag verübt wurde. Sie blickt auf das Ergebnis eines Selbstmordattentates, bei dem vier deutsche Soldaten sterben und 20 weitere schwer verletzt werden. Für die Medizinerin wird dieser Vorfall zum Trauma, auf das sie nicht vorbereitet war. Krieg eben, den sie nicht kannte. „Davon war nie die Rede. Es ging immer nur um die Friedensmission. Ich sollte Soldaten versorgen, so wie in Deutschland auch.”
Von da an ändert sich die Stimmung. „Ich habe nicht mehr differenziert. Plötzlich waren die Afghanen böse. Wir wollten helfen und die sprengen uns in die Luft”. Plötzlich sind die Afghanen bedrohlich, egal ob Taliban oder nicht. Plötzlich ist selbst der nette junge Mann im Truppen-Lager, der immer aufräumt und dem man immer Bonbons zusteckt, unerträglich. Obwohl sich die Einheimischen entschuldigen, sich schämen für den Anschlag, ändert das nichts. Die Stimmung kippt. Auf beiden Seiten. Das Auftreten der Bundeswehrsoldaten wird martialischer. „Da kamen Zugführer, die hohl waren. Die wollten Django spielen. Gib‘ solchen Menschen etwas Macht, dann rasten sie aus.“ Die Afghanen antworten mit Gewalt und Anschlägen. Die Angst und das Misstrauen nehmen zu.
An der Front: Augenärzte, statt Notfallmediziner
Heike Groos‘ letzter Einsatz im Jahre 2007 erfolgte nicht freiwillig. Sie gehorchte einem Befehl. Danach verließ sie Bundeswehr. „Ich wollte nicht mehr. Für mich ist dieser Einsatz sinnlos. Wir Ärzte können nur zusehen, wie die jungen Soldaten in die Luft gesprengt werden und sofort tot sind. Was sollen wir da?“
Sie und viele Kollegen haben der Bundeswehr inzwischen den Rücken gekehrt. Sie fühlen sich im Stich gelassen. „Die schicken Haut-und Augenärzte in den Krieg, weil sie keine Notärzte mehr haben. Die Kollegen haben Angst, zu versagen und dass ihnen die Kameraden unter den Händen wegsterben.” Doch Zeit- und Berufssoldaten könnten nicht einfach aussteigen. „Die haben bei der Bundeswehr studiert und sich verpflichtet. Gehen sie, müssen sie ihre Studium zurück erstatten. Wir sprechen von 160 000 Euro“.
Die Medizinerin begrüßt den Bundeswehreinsatz in Afghanistan sehr. „Ich möchte nicht, dass sich die Taliban, diese Terroristen, durchsetzen und die Menschen weiter drangsalieren. Das haben sie nicht verdient.” Doch die Fortsetzung mache nur Sinn, wenn sie denn „richtig ausgeführt” werde: Bessere Ausstattung, mehr Kompetenzen, eine verpflichtende psychologische Betreuung. „Oder glaubt einer, dass die Soldaten jemals wieder ein ganz normales Leben führen können?“