München.
Schockierende Szenen am S-Bahnhof „Isartor“ in München!
Das neunminütige Body-Cam-Video einer Bundespolizistin zeigt eine Ticketkontrolle in München, die komplett aus dem Ruder läuft. „Focus Online“ hat das dramatische Bildmaterial analysiert und zu den Hintergründen recherchiert. Der Vorfall liegt zwar bereits über ein Jahr zurück, wirft aber nach wie vor Fragen auf.
München: Ticketkontrolle in S-Bahn eskaliert komplett
Das Video zeigt die Beamten bei der Ticketkontrolle eines S-Bahn-Passagiers. Der 53-jährige IT-Experte ist gebürtiger US-Amerikaner, wuchs in Frankreich auf und lebt seit über 20 Jahren in München. Am 12. Februar 2020 um 18.52 Uhr wollte der Mann mit der S8 von der Arbeit nach Hause fahren, als an der Haltestelle „Rosenheimer Platz“ sein Fahrschein kontrolliert wurde.
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Er hatte sich auf seinem Monatsticket extra die Deadline notiert, zu der die Gültigkeit des Tickets ablaufen würde. Doch die handschriftliche Bemerkung „16.02.“ machte den Kontrolleur misstrauisch – und von da an eskalierte die Situation komplett.
Fahrgast weigert sich, das Ticket erneut vorzuzeigen
Der DB-Angestellte hielt das Ticket für ungültig und erklärte, dass eine Strafzahlung fällig sei. Ein Irrtum – denn die Münchner Verkehrs- und Tarifverbund GmbH (MVV) bestätigte später gegenüber „Focus Online“, dass das Ticket des Mannes tatsächlich gültig war.
Entsprechend ungerecht behandelt fühlte sich der 53-Jährige – und warf dem DB-Mann vor, ihn nur deshalb so schlecht zu behandeln, weil er „Ausländer“ sei. Er sah sich im Recht und wollte an der Haltestelle „Isartor“ die S-Bahn verlassen, ohne sein Ticket erneut vorzuzeigen.
Schließlich wurden zwei Bundespolizisten gerufen, um die DB-Sicherheitsleute zu unterstützen. Der Franzose, der mittlerweile seine Frau telefonisch verständigt hatte, reagierte nach wie vor aggressiv und schrie die Beamten laut an. Daraufhin startete eine beteiligte Bundespolizistin die Aufnahme ihrer Body-Cam – und wies den 53-Jährigen kurze Zeit später darauf hin: „Alles, was Sie jetzt sagen, wird gefilmt!“
Polizisten fixieren Mann am Boden – er ruft panisch um Hilfe
Die Aufnahme (in voller Länge bei „Focus Online“ ) zeigt nun folgendes: Der Mann beschimpft die Beamtin immer wieder auf französisch, spricht von „Provokation“, Schlichtungsversuche des anderen Bundespolizisten bleiben erfolglos.
Nachdem sich der Fahrgast nicht beruhigen will, wird der Beamte schließlich deutlich: „Bei drei habe ich den Ausweis da, sonst packe ich Sie an! Das ist eine Androhung für die körperliche Gewalt. Eine Zwangsandrohung. Haben Sie das mit(bekommen)?“ Der 53-Jährige reagiert panisch, schreit umstehende Fahrgäste auf Französisch an: „Helfen Sie mir!“ – woraufhin der Polizist sagt: „Gut, Sie haben es mit(bekommen)“.
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Die Polizisten packen zu und ziehen den Franzosen zu Boden – dabei fixierte der Polizist den Mann, indem er ihm sein Knie auf die Halsregion drückt. Der 53-Jährige wehrt sich vehement, schlägt in Richtung der filmenden Beamtin und beißt ihr sogar in ihren Einsatzhandschuh. Polizeikollegen stürmen zur Hilfe herbei, einer fesselt die Beine des 53-Jährigen mit seinem Gürtel.
Der Franzose klagt, er müsse unter der Last des Polizisten erbrechen, ruft insgesamt 32 Mal auf Deutsch „Hilfe“. Mit der Hilfe weiterer Ordnungshüter wird er schließlich zum Polizeiauto und anschließend aufs Revier gebracht. Alkohol- und Drogentests fallen negativ aus, am darauffolgenden Vormittag wird er entlassen.
War der Einsatz der Polizisten verhältnismäßig?
Wie ist dieser Einsatz juristisch zu bewerten? Professor Markus Thiel, Spezialist für Polizeirecht an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster, betont, dass sowohl die „Anwendung unmittelbaren Zwangs“ und auch „das Fixieren mit dem Knie auf und am Kopf nicht per se unverhältnismäßig“ sei.
Rechtlich unzulässig wird es, wenn das Knie direkt auf den Hals drückt und dadurch enorme Verletzungsgefahr bestehe. Die im Body-Cam-Video gezeigten Szenen hält Thiel zumindest „aus Verhältnismäßigkeitsgründen in dieser Form für bedenklich“, da die Atmung des 53-Jährigen in seiner Bauchlage stark beeinträchtigt werden könnte.
53-jähriger Franzose vor Gericht
Ende August soll der Fall vor dem Amtsgericht München verhandelt werden. Auf der Anklagebank sitzt jedoch keiner der Polizisten, sondern der 53-jährige Franzose selbst. Ihm werden vorsätzliche Körperverletzung, tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte sowie Sachbeschädigung und Beleidigung vorgeworfen.
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Rechtsanwalt David Mühlberger, der den Franzosen vor Gericht vertritt, wird deutlich: Der Polizeieinsatz sei „eine Unverhältnismäßigkeit, wie ich sie noch nie erlebt habe“. Die Kontrolleure hätten der Bundespolizei eine „aggressive Person“ gemeldet – „Für die Beamten war der Bahnsteig damit von vornherein ein Tatort und mein Mandant ein Täter. So wurde er auch behandelt.“ Die Bundespolizei München will sich zu dem laufenden Strafverfahren nicht äußern.
Klar ist jedoch: Der Einsatz basierte auf einer Fehleinschätzung. Das Ticket das Franzosen war absolut gültig.
Erinnerung an George Floyd
Bei dem Bild eines Polizeibeamten, der eine Person mit dem Knie am Boden fixiert, werden unweigerlich Erinnerungen an George Floyd wach. Der schwarze US-Amerikaner war im Mai 2020 in Minneapolis ums Leben gekommen, als ein Polizist sein Knie auf Floyds Hals drückte. Ein Handyvideo des Vorfalls löste weltweit Empörung aus und rief die „Black Lives Matter“-Bewegung ins Leben.
Jedoch muss hier deutlich differenziert werden: Zwischen möglicherweise unverhältnismäßig hartem Eingreifen von Polizeibeamten, wie in München – und rassistisch motivierter Polizeigewalt mit tödlichem Ausgang, wie im Fall Floyd. (at)