Vor zweieinhalb Jahren wurde die Lehrerausbildung in NRW reformiert. Das Referendariat, in dem die künftigen Lehrer in der Schule bestehen müssen, wurde verkürzt. Schulministerin Sylvia Löhrmann hat eine positive Bilanz der Reform gezogen. Zu Recht? Wir haben mit zwei Betroffenen gesprochen.
Essen.
Es war nicht alles schlecht im November 2011, als Nordrhein-Westfalen die Lehrerausbildung reformierte. Mehr Praxis gleich zu Studienbeginn, mehr Betreuung der Studenten und vor allem: am Ende des Studiums ein von zwei auf eineinhalb Jahre verkürztes Referendariat. Dirk Müller (Name von der Redaktion geändert) klatschte damals in die Hände: Der Lehramtsstudent war nicht mehr der Allerjüngste und freute sich darüber, dass er seine Ausbildung nun ein halbes Jahr früher abschließen würde als geplant. „Ich dachte: Oh super, das wird ja weniger!“ Wenn er allerdings damals schon gewusst hätte, wie es wird, dann hätte er nicht so gejubelt.
Anfang dieser Woche gab NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) in Düsseldorf eine Pressekonferenz, auf der sie eine positive Bilanz der Reform zog. „Wir sichern eine Lehrerausbildung auf der Höhe der Zeit“, sagte sie. Und ihr Ministerium stellte in einer Pressemitteilung fest: die neuen Elemente der Ausbildung seien „größtenteils bereits im ersten Jahr nach der Einführung erfolgreich implementiert und von allen Beteiligten mehrheitlich als sinnvoll begrüßt und engagiert umgesetzt worden“.
Der Lehrer erzählt von seiner Ausbildung wie andere von einer Lebenskrise
Wirklich? Wir haben nachgefragt bei Dirk Müller, der heute als Lehrer an einem Berufskolleg arbeitet – und bei Harald Willert. Er leitet ein Gymnasium im Ruhrgebiet und ist 2. Vorsitzender der Schulleitungsvereinigung NRW.
Müller erzählt von seinem Referendariat wie andere von einer Lebenskrise. „Ich bin ein belastbarer Mensch, aber das hat mich wirklich an die Grenze gebracht“, sagt er. Das größte Problem bei der Umstellung des Referendariats sei die Verkürzung, über die er sich am Anfang so gefreut hatte. „Es herrscht ein wahnsinniger Organisations- und Zeitdruck. Das ist furchtbar. Ich kenne keinen Kollegen, der darüber nicht gestöhnt hätte.“
Ständig Lehrproben – „es ist absurd“
Sein Beispiel: Das Referendariat wurde verkürzt, die Zahl der Lehrproben blieb aber die gleiche. Lehrproben, so war das auch früher schon, werden von Referendaren als eine Art Schauspiel erlebt, das mit normalem Unterricht nichts zu tun hat. „Die Vorbereitung darauf ist unglaublich intensiv. 30 Zeitstunden muss man einplanen, es ist absurd“, erzählt der ehemalige Referendar Müller.
Durch die Verkürzung des Referendariats habe er nun rein rechnerisch alle dreieinhalb Wochen eine Lehrprobe gehabt. Da stellt sich schon in der Theorie die Frage: Wie viele Fortschritte kann man in dreieinhalb Wochen machen, dass sich das Ganze lohnt? Aber in der Praxis sei es noch viel schlimmer.
Bekomme ich überhaupt einen Termin beim Seminarleiter?
Müller erzählt, dass die Seminarleiter, die bei seinen Lehrproben dabei waren, nur zwei Tage pro Woche vom Unterricht befreit sind. Mit aller Fahrerei in seinem Bezirk schaffe so ein Seminarleiter zwei bis drei Lehrproben am Tag. „Für Sie als Referendar heißt das: Es ist unglaublich schwer, überhaupt Termine für Ihre vielen Lehrproben zu bekommen – und am Ende haben Sie dann auch mal nur zehn Tage Abstand. Vom Aufwand her geht das ans Unmenschliche, und Sinn ergibt es überhaupt nicht mehr.“
Harald Willert vertritt in NRW nicht die Interessen der Referendare, sondern die der Schulleiter. Doch auch er sagt: „Es ist unübersehbar, dass die Referendare durch die verkürzte Ausbildung unter einem gewaltigen Druck stehen. Und das wird durch die aktuelle Einstellungssituation noch verschärft. Der Bedarf an neuen Lehrern wird ja immer geringer, daher müssen diese Spitzennoten erzielen, um überhaupt eine Chance zu haben.“
Und für die Noten spielen die Lehrproben eine wichtige Rolle, daher kommt ja der ganze Stress.
Das große Ärgernis: Einstellungstermine
Aus Willerts Sicht und für die Arbeit der Schulleiter sind die neuen Einstellungstermine das größte Ärgernis. Früher begannen Referendare ihren Dienst am 1. August oder am 1. Februar und damit zu Beginn des Schuljahres oder zum Halbjahr. Mit der Reform wurden die Einstellungstermine auf 1. November und 1. Mai verlegt.
„Die neuen Einstellungstermine sind unerträglich“, sagt Harald Willert. „Die Vorlaufszeiten sind einfach viel zu kurz. Meine Referendare sind am 1. November eingestellt worden. Ab 1. Februar mussten sie bedarfsdeckend unterrichten. Das klingt nach einem Vierteljahr Vorbereitungszeit – aber tatsächlich blieben da, wegen Seminarzeiten und Weihnachtsferien, nur 25 Unterrichtstage! Auch die Schule muss ja in der Zeit prüfen, ob der Bewerber zum Unterricht fähig ist. Das ist fundiert in dieser Zeit fast nicht möglich.“
Die Befürchtungen von 2012 sind wahr geworden
Vor eineinhalb Jahren hatte unsere Redaktion schon einmal mit Willert gesprochen. Damals äußerte er die Befürchtung, dass die Schulen verstärkt mit Unterrichtsausfall zu kämpfen haben werden. Und so ist es auch gekommen.
Willert beschreibt, wie die neuen Einstellungstermine ihm die Planung erschweren: In seiner Schule machten acht Referendare 75 Stunden Unterricht. Wenn diese zum Halbjahr wegfielen, müsse Unterricht im Umfang dieser drei Stellen ersetzt werden. Das sei oft kaum möglich – und wenn doch, dann müssten die Schüler Lehrerwechsel im Takt eines Vierteljahres hinnehmen.
Der Referendar musste anfangen, als die Schüler abschalteten
Auch viele Referendare fluchen über die neuen Einstellungstermine. Dirk Müller fing am 1. Mai an. Er erinnert sich: Es war der Moment, in dem die Motivation der Schüler in den Keller ging. Schon nach zwei Monaten war das Schuljahr zu Ende, dann dauerte es sechs Wochen, bis er endlich wieder vor einer Klasse stand. „Die neuen Einstellungstermine sind der Schwachsinn vor dem Herrn“, findet Müller. Zudem empfindet er sie als Gemeinheit.
Aus der Schule in die Schule – dazwischen Hartz IV
Müller und viele andere haben durch die Terminverschiebung Erfahrungen mit der Armut gemacht. Früher wurde ein Referendar, der im August begonnen hatte, am 31.7. fertig – und wenn er eine Stelle hatte, dann ging es für ihn sofort am 1.8. weiter. Heute enden Referendariate aber im Mai und im November, während die Termine für die Einstellung als Lehrer die gleichen geblieben sind.
„Da haben Sie erst mal drei Monate Zwangspause“, berichtet Müller, da müssen Sie dann von Ihren Ersparnissen leben oder von Hartz IV. Arbeitslosengeld I bekommen Sie jedenfalls nicht, denn als Referendar waren Sie kein Angestellter, sondern verbeamtet auf Wiederruf. Es ist eine Schweinerei, aber das Land spart durch die Monate, in denen es Sie nicht bezahlen muss, natürlich wunderbar Geld.“
„Die Zufriedenheit steigt“, ergab eine Studie
Es dürfte daher viele überraschen, dass trotz dieser frustrierenden Behandlung die Zufriedenheit aller Beteiligten so hoch sein soll. Das Schulministerium hat die Umsetzung der Reform von Sozialwissenschaftlern begleiten lassen. Und die kamen in ihrem Bericht zu dem Ergebnis: Es lässt sich „kein Hinweis dafür finden, dass sich das berufliche Wohlbefinden im Verlauf des Vorbereitungsdienstes (also des Referendariats, d. Red.) gravierend verschlechtert. … Im Gegenteil steigt das berufliche Wohlbefinden sogar am Ende des Vorbereitungsdienstes leicht an.“ (Zu dem Bericht geht es hier.)
Der Bericht widmet sich auch jenen Dingen, die im Zuge der Reform neu in die Ausbildung übernommen wurden. So gibt es jetzt für jeden Referendar ein persönliches „Coaching“ durch seinen Seminarleiter. Ministerin Löhrmann lobte das Coaching am Montag besonders: „Mit diesem neuen Format ist es möglich, gezielt, professionell und ganz individuell an der Entwicklung der Lehrerpersönlichkeiten zu arbeiten“, sagte sie.
Sinnvoll oder nicht – das Coaching musste stattfinden
Dirk Müller hat damit andere Erfahrungen gemacht. Er berichtet: „Mein Kernseminarleiter musste zu zwei Coachingterminen zu mir in die Schule kommen. Wozu? Alles, was man fürs Unterrichten wissen muss, erfragt man schließlich bei den Kollegen in der Schule. Ich habe vorgeschlagen, die Coachingtermine ausfallen zu lassen, aber da wurde mir gesagt: Das Coaching muss stattfinden – und wenn Sie nichts auf dem Herzen haben, dann reden Sie halt über irgendwas.“
Dirk Müller kann es nicht fassen, dass für bloßes „Reden über irgendwas“ auch noch Unterricht ausgefallen ist. Und er sagt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das bei irgendjemandem was gebracht hat.“