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Ulrich Bittcher drückt Schalke am Samstag die Daumen

Ulrich Bittcher drückt Schalke am Samstag die Daumen

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Bildnummer: 01390359 Datum: 25.11.1978 Copyright: imago/Werner Otto Foto: Imago

Gelsenkirchen. 

Er bleibt sich treu: Auch das Revierderby bei Borussia Dortmund wird sich Ulrich Bittcher am Samstagnachmittag mit seinen Freunden zu Hause in Gelsenkirchen vom Sofa aus ansehen. Wie jede Woche wird er von dort den Königsblauen die Daumen drücken. Ins Stadion geht der 60-Jährige, der einst für Schalke 04 und den BVB in der Bundesliga die Schuhe schnürte, nur noch höchst selten. „Ich bin ein reiner Zeitungs- und Fernsehsportler geworden“ gibt Bittcher zu.

Dabei stehen, sagt er, die Chancen für die Knappen, beim großen Rivalen zu gewinnen, so gut wie lange nicht mehr. Doch auch das kann ihn nicht hinter dem Ofen hervorlocken. „Schalke muss vor dem BVB gewiss keine Angst mehr haben“, sagt der ehemalige Mittelfeldrenner. „Dortmund ist angeschlagen und steht mächtig unter Druck. Wenn die zu Hause auch noch gegen den S04 verlieren, dann ist dort richtig Alarm im Haus.“ Der Ex-Profi glaubt: „Dann wackelt der Trainer gewaltig. Ich habe dort gespielt und weiß, wovon ich rede.“ Klare Kante, das war und ist Bittchers Ding.

Haarschopf über den Scheitel gelegt

Aber er mag nicht gerne im Mittelpunkt stehen. Und über sich reden? Erst recht nicht. Das hat seine Gründe. Die älteren S04-Anhänger erinnern sich sicher noch an seinen wehenden blonden und ebenso schütteren Haarschopf und die akkurat über den Scheitel gelegte Frisur. Längst ist die Matte einer Kojak-Frisur gewichen.

Aber als junger Mann hat Bittcher unter seinem lichten Kopfbewuchs zu leiden: „Heute wäre es vielleicht ein Markenzeichen. Aber wenn man als Jugendlicher merkt, dass die Haare ausfallen und sie nicht dem Idealbild entsprechen, ist es nicht ganz so einfach, damit umzugehen“, sagt er.

Bei Auswärtsspielen wird er deswegen manchmal beschimpft oder ausgelacht. Das trägt nicht dazu bei, dass er gerne auf Fremde zugeht. Er sondiert genau, wem er trauen kann und wem nicht.

Wo andere „hier“ schreien, winkt er gerne ab. Selbst eine Einladung ins Aktuelle Sportstudio lässt er sausen, weil er seine Ruhe haben möchte – und trifft sich lieber mit Kumpels. „Mitunter war ich in diesen Dingen immer schon sehr eigen.“

Trotzdem setzt er sich durch. Zwischen 1977 bis 1981 absolviert der aufstrebende defensive Mittelfeldspieler sieben Spiele für die B-Elf des DFB, er steht an der Schwelle zur A-Nationalmannschaft und dort einmal sogar im erweiterten Aufgebot.

Publikumsliebling auf Schalke

Auf Schalke ist er Publikumsliebling. Von 1976 bis 1983 absolviert er für Schalke 04 168 Spiele (19 Tore) in der Bundesliga und 38 (10 Tore) in der Zweiten Liga. Ein langgezogenes „Uliiiiiii“ schallt durch das oft spärlich besetzte Parkstadion, wenn er seine Sprints über das halbe Feld ansetzt.

Nach dem zweiten Bundesligaabstieg sucht er aber das Weite. Das liegt zwar nur 40 Kilometer weiter östlich – aber emotional meilenweit entfernt. Für 700 000 DM Ablöse wechselt er die Farben und die Religion: „Ich bin ehrlich: Ich wollte finanzielle Sicherheit“, sagt er. Die Wahrheit ist auch: Noch ein Jahr in der Zweiten Liga will er sich nicht mehr antun.

Er zieht ins Sauerland. Aber beim BVB wird er nicht glücklich. Nicht nur sportlich, auch persönlich steht seine Zeit dort unter keinem guten Stern. Er verletzt sich schwer am Knie. Die Diagnose: Knorpelschaden. Halbwegs genesen, reißt ihm die Quadrizeps-Sehne. Die letzten eineinhalb Jahre seiner Laufbahn verbringt der Ex-Schalker fast ausschließlich in der Reha. Heute hat er ein künstliches Kniegelenk. Das ist der Preis für seine Karriere.

Bittcher wird Sportinvalide. Und er hat wohl auch Sehnsucht. Längst ist er in seine Heimatstadt Gelsenkirchen zurückgekehrt. Kontakte nach Dortmund hat er keine mehr. Das Stadion des BVB hat er seit mehr als 20 Jahren nicht mehr betreten. Ob er seinen Wechsel später bereut hat? „Vielleicht wäre ich als Schalker Urgestein heute in der königsblauen Hall-of-fame. Aber es hilft ja nichts. Ich habe die Entscheidung so getroffen. Und dazu stehe ich.“

Bereits mit Mitte 40 zieht sich Bittcher aus dem Berufsleben zurück und wird Privatier. Durch seine Profikarriere sowie eine anschließende Tätigkeit als selbständiger Masseur und medizinischer Bademeister hat er sich ein finanzielles Polster aufgebaut. Das reicht ihm. In seiner Freizeit spielt er Golf. „Ich bin mit meinem Leben zufrieden“, sagt er.

Kontakt mit Norbert Elgert

Kontakt zum S04 hält er vor allem über seinen ehemaligen Trainingslager-Zimmernachbarn Norbert Elgert. Mit dem Erfolgstrainer der Schalker U19 trifft er sich regelmäßig zum Essen. Ansonsten beäugt er das Business Fußball-Bundesliga eher kritisch: „Ich würde sterben, wenn ich mir anschaue, was die Jungs heute machen müssen. Nach dem Abpfiff noch durch eine Pressereihe zu rennen, das wäre für mich die Hölle“, erklärte er einmal im „Schalker Kreisel.“ Die Öffentlichkeit war und ist eben nichts für ihn.

Deshalb sitzt er am Samstag wieder im Wohnzimmer vor dem Flachbildschirm, wenn die Elf von Domenico Tedesco versucht, den dritten Auswärtssieg in Serie einzufahren. Und Bittcher hofft, dass genau das eintritt. Denn er ist überzeugt, dass der Ausgang des Revierduells ganz entscheidend für den weiteren Saisonverlauf sein wird. Für beide Teams.

So gut, wie die Dortmunder lange dargestellt wurden, seien sie nämlich nicht mehr. „Die Abwehr ist Durchschnitt. Warum sollten wir also beim BVB nichts holen?“. Bittcher spricht von „wir“ und macht damit klar, wo er seine fußballerische Heimat – trotz seines Abstechers – sieht. Alle anderen Mutmaßungen seien fast eine Beleidigung: „Leute, ich komme aus Gelsenkirchen und ich werde auch hier sterben. Noch Fragen?“. Nein!

Wenn die Knappen sich fußballerisch noch weiterentwickeln, könnten sie sich in dieser Saison endlich wieder oben festsetzen. Und warum dann nicht auch vor dem BVB landen? Die Arbeit von Tedesco gefällt ihm. Er habe endlich wieder Konstanz in das Team bekommen. Platz zwei bis vier hält Bittcher für möglich.

Dann verrät er: Beim Heimspiel in der nächsten Woche gegen den 1. FC Köln wird er nach langer Zeit mal wieder in der Arena sein. Hat er am Ende doch Sehnsucht? „Nein“, sagt er und lacht. „Mein neunjähriger Neffe wohnt in Köln und ist großer S04-Fan. Ihm zuliebe gehe ich mit ihm ins Stadion.“ So ist er, der Ulrich Bittcher.