Bochum.
„Wer sind Sie?“ – Mit dieser Frage fängt die Vernehmung von Marcel Heße in der Nacht auf den 10. März an. Ermittler Markus N. von der Polizei Bochum stellt sie dem 19-Jährigen, der ihm gegenüber sitzt. Er will einschätzen können, wie zurechnungsfähig und orientiert Heße in diesem Moment ist.
Die Antwort überrascht den Polizeibeamten, der schon von Beginn an in die Ermittlungen rund um den Mord an dem kleinen Jaden (9) aus Herne eingespannt ist: „Marcel ..äh…“ Heße stockt kurz.
Dann sagt er: „Ich bin ein Mensch.“
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• Mehr zum Prozess gegen Marcel Heße:
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Ein Mensch? „Was für ein Mensch?“, hakt der Beamte nach.
Heße weicht aus: „Wenn Sie sagen, dass ich Marcel Heße bin, fordern Sie mich auf, mich falsch zu identifizieren.“
Ermittler: „Ich glaube, er wollte Spielchen mit mir spielen“
Der Polizist wundert sich, nimmt es aber hin. „Ich weiß nicht, was er damit meinte“, sagt N. als Zeuge am zweiten Tag des Mordprozesses gegen Heße vor dem Bochumer Landgericht. „Ich glaube, er wollte Spielchen mit mir spielen.“
Beliebter (Irr-) Glaube unter Reichsbürgern
Ausgeschlossen ist das nicht. Tatsache ist aber auch: Bei Behörden anzugeben, man sei „ein Mensch“ – statt seinen Namen zu sagen – ist beliebte Praxis unter Reichsbürgern.
Der (Irr-) Glaube: Wer sich Behörden gegenüber als Mensch statt als juristische Person mit Vor- und Nachnamen identifiziert, könne vom deutschen Staat gar nicht belangt werden. Gerichte etwa seien damit außer Gefecht gesetzt.
Versuch der Umkehr von Täter und Opfer
Das ist laut Dirk Wilking eine gängige Praxis: „Reichsbürger nennen ihren Namen nicht, um die Behörden zu delegitimieren“, sagt der Rechtsextremismus-Experte, der das Handbuch „Reichsbürger“ herausgegeben hat.
Laut Wilking versuchen Reichsbürger mit dieser Taktik, die Justiz vorzuführen und im besten Fall aufzuhalten. Ob das Aussicht auf Erfolg haben könnte? „Nein, die Behörden sind selbstverständlich in der Lage, Zwangsmaßnahmen durchzusetzen, um Straftaten zu belangen“, so Wilking.
„Dahinter steckt der Versuch, sich später als Opfer darstellen zu können“, sagt Dirk Wilking. Schließlich hätten die Behörden nach Logik der Reichsbürger gar keine Befugnis, über Recht und Unrecht zu entscheiden.
Heße wollte bei der Polizei aussagen
Ähnlich wie bei Heßes Geschichte, er habe vor dem Mord an Jaden zum ersten Mal im Leben Alkohol getrunken, bleiben Fragezeichen: Was wollte er bezwecken mit dem Satz: „Ich bin ein Mensch“?
„Er wollte ohne Anwalt aussagen, schien komplett zurechnungsfähig und ausgeglichen“, sagt Ermittler N. „Er hat mir seine Geschichte über die Morde an Jaden und Christopher W. im Wortsinn diktiert, als wären seine Taten mit der Berichterstattung erst vollendet.“
Reichsbürger-Geschwafel, Alkohol, Suizid – und trotzdem kaltblütig?
Und dann das: reichbürgerhaftes Geschwafel. Alkohol. Verzweiflung, die in halbherzigen Suizidversuchen endet.
Wie all diese Angaben mit den kaltblütigen Morden zusammenpassen könnten, muss das Landgericht entscheiden. Das Urteil im Prozess gegen Marcel Heße wird frühestens im November fallen.