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Der Mord an Doris Lülf wirft viele Fragen auf

Der Mord an Doris Lülf wirft viele Fragen auf

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Foto: WAZ FotoPool
Der Mord an Doris Lülf ist auch nach sieben Jahren unvergessen. Nach ihrer Schicht in einer Spielhalle, wo sie als Aufsicht arbeitete, wurde sie überfallen und erstochen. Bis heute ist die Tat nicht aufgeklärt – obwohl die Ermittler damals jeden Stein umdrehten. Eine Frage bleibt: „Wie kann einer mit solch einer Tat einfach so weiterleben?“

Holsterhausen. 

Ihren Mörder traf Doris Lülf an ihrem Auto, das sie gegenüber der Spielhalle an der Freiheitsstraße geparkt hatte. Der Mann versuchte, ihr die Handtasche zu entreißen, versetzte ihr einen tödlichen Messerstich, als die Frau sich wehrte und um Hilfe schrie. Die 65-jährige schaffte es nicht mehr, sich in die Spielhalle zu retten, in der sie als Aufsicht arbeitete. Sie starb kurz nach 2 Uhr in der Nacht auf dem Bürgersteig. Sieben Jahre sind seit dem Mord am 2. Dezember 2004 vergangen. Trotz aller Bemühungen der Mordkommission blieb die Tat ungeklärt.

Den Passanten bot sich am Morgen des 3. Dezember 2004 ein spektakuläres Bild: Ein mit Druckluft betriebenes Zelt über dem Tatort, Beamte in Schutzanzügen bei der Spurensicherung. „Ein kalter und feuchter Tag. Das ist nicht förderlich für Spuren“, erinnert sich Jörg Czekalla. Der Erste Kriminalhauptkommissar leitete damals die Mordkommission, zu der auch Michael Arand gehörte. Er hat den Fall 2007 von Czekalla übernommen.

„Wir waren eigentlich optimistisch, dass wir ihn fassen würden“

Die penible Spurensicherung schien sich auszuzahlen. Eine übereinstimmende DNA konnte gesichert werden am Tatwerkzeug und einem schwarzen Haar, das sich am Tatort fand. „Wir waren eigentlich optimistisch, dass wir ihn fassen würden“, sagt Jörg Czekalla. Dabei: Die Täterbeschreibung aufgrund von Zeugenaussagen war vage. Eine junge Mutter, die von ihrem Balkon sah, als sie Doris Lülf schreien hörte, sah nur einen schlanken Mann wegrennen. Auch ein weiterer Nachbar konnte keine genaueren Angaben machen.

Als wenig ergiebig sollte sich die Spurensuche im Innern der Spielhalle erweisen. Der Grund: Doris Lülf hatte dort nach dem üblichen Geschäftsschluss um 1 Uhr gereinigt. Fast eine Stunde lang. „Sie wurde uns als sehr penible Mitarbeiterin geschildert. Das stimmt“, sagt Czekalla.

Vielversprechender war die Videoüberwachung der Spielhalle. Sie hatte alle Spieler aufgezeichnet, die in den Stunden vor der Tat im Raum waren. Der letzte Gast des Abends geriet schnell in den Fokus der Ermittler. Ausdauernd aber glücklos hatte er gespielt, hatte sich mehrfach an einem nahen Bankautomaten „frisches“ Geld geholt. Ein auffälliges Verhalten, denn das wäre auch in der Spielhalle möglich gewesen. Der Täter, ein frustrierter Spieler, der versuchte, sich einen Teil des verspielten Geldes durch einen Raubüberfall auf die Aufsicht zurückzuholen?

„Er hatte ein Motiv“

„Wir müssen herausfinden, ob es eine Beziehung zwischen Täter und Opfer gibt“, erklärt Michael Arand. Die Aufklärung scheint nach wenigen Tagen nah: Der Mann wurde vorläufig festgenommen, seine DNA mit den Spuren abgeglichen. „Er hatte ein Motiv“, sagt Jörg Czekalla, „viele von uns waren sich sicher: Er ist es.“

Das Laborergebnis war ernüchternd: Keine Übereinstimmung. Der letzte Gast konnte nicht der Täter sein. „Irrtum ausgeschlossen“, sagt Czekalla. Für die 20-köpfige Mordkommission begann eine Kleinarbeit, die sich bis in den Mai hinziehen sollte. „Etwa 1400 Spuren und Hinweise haben wir ausgewertet“, rechnet Michael Arand. Nach Beratungen mit Beamten des Landeskriminalamtes und Bochumer Ermittlern, die damals nach einem Sex-Täter fahndeten, der Studentinnen an der Uni überfiel, entschied man sich für einen Speicheltest.

Infrage kamen Männer, etwa zwischen 15 und 40 Jahre alt, schlank mit schwarzen Haaren. „Ein grobes Raster“, nennt das Arand. Zur Probe bat man 900 Dorstener aus Holsterhausen, Hervest, auch aus Wulfen, wo das Opfer lebte. „Wir mussten davon ausgehen, dass der Täter Ortskenntnis hatte“, begründet Czekalla. Für diese Hypothese sprach der Fluchtweg: Auf die andere Seite der Borkener Straße zur Luisenstraße, wo der Täter Handtasche und die leere Geldbörse in den Hambach warf. Maximal 200 Euro soll Doris Lülf dabeigehabt haben.

„Für mich war es ein Handtaschenraub, der eskalierte“

Weder die ersten 900 Proben, noch 200 weitere, die aufgrund von Hinweisen vorgenommen wurden, führten zum Erfolg. Überprüft wurden auch Kandidaten, die kurz nach der Tat verzogen waren. „Das hat an uns allen genagt“, sagt Jörg Czekalla. „Haben wir was übersehen, Fehler gemacht? Das haben wir uns immer wieder gefragt.“ Neue, Erfolg verheißende Ansätze ergaben sich ab dem Frühjahr 2005 nicht, die Mordkommission wurde abgebaut.

Haben die Ermittler eine Theorie? „Für mich war es ein Handtaschenraub, der eskalierte“, glaubt Czekalla. Der Täter habe dem Opfer zwar gezielt aufgelauert, die Tat geplant. Nicht aber den tödlichen Stich, den er ausführte, als es zwischen zwei Autos zum Handgemenge kam. „Er hat vermutlich nicht damit gerechnet, dass sie sich wehren würde. Als die Frau um Hilfe rief, hat er befürchtet, gefasst zu werden. Er hat möglicherweise zugestochen, um dieser Situation zu entkommen.“

Nach sieben Jahren hält sich der Optimismus von Michael Arand in Grenzen. „Die Tat ist im Gedächtnis geblieben. Es gibt immer wieder Hinweise, aber wenig Neues“, sagt er. Möglich, dass der Mörder weggezogen ist. Unwahrscheinlich, dass der Raub seine erste Straftat war, er zuvor nicht als Täter in Erscheinung trat, sagt der Hauptkommissar. „Es kann aber sein, dass dieses Erlebnis dazu geführt hat, dass er nie wieder was gemacht hat.“

Sieben Jahre verändern Menschen. „Wenn er damals 20 war, hat er heute vielleicht Familie, einen Job.“ Viele Rätsel, keine Anworten, auch nicht auf eine weitere Frage, die sich nicht nur die beiden erfahrenen Beamten immer wieder stellen: „Wie kann einer mit solch einer Tat einfach so weiterleben?“